Dizzee Rascal im Close-Up
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Dizzee Rascal über »Don’t Take It Personal«, seinen Arbeitsprozess und seine Rolle für Grime

Eigentlich bedarf Dizzee Rascal keiner Einleitung mehr. Wer sich jemals mit Rap aus dem Vereinigten Königreich beschäftigt, wird zwangsläufig über Tracks wie »I Luv U«, »Jus’ a Rascal« oder eben auch »Dance Wiv Me« stolpern. Der East-Londoner bereitete mit seinem eklektischem und unverkennbarem Debüt »Boy In Da Corner« einem ganzen Genre den Weg und etablierte Grime als eigenständige Bewegung in der Musikszene der Insel. Das Album wurde noch in seinem Erscheinungsjahr mit dem renommierten Mercury Prize ausgezeichnet und feierte vor einigen Monaten sein 20-jähriges Jubiläum. Es folgten noch viele weitere, teils kommerziellere, aber auch erfolgreichere Alben.

Doch anstatt sich zur Ruhe zu setzen, ist Dizzee auch heute noch überaus aktiv und veröffentlichte am 9. Februar sein bereits achtes Studioalbum »Don’t Take It Personal«. Wir hatten im Vorfeld die Chance, ihm dazu per Videocall einige Fragen zu stellen, um herauszufinden, was ihn heute inspiriert und wie er auf die Entwicklung der letzten Jahre zurückblickt.

Das Album kommt am Freitag raus. Wie fühlst du dich?

Es ist an der fucking Zeit. Ich will einfach, dass es jetzt rauskommt, damit ich nicht daran denken muss, dass es rauskommt.

Also, auch wenn es jetzt dein achtes Album ist, ist es nicht nur eine Routine, die du einfach abspielen kannst und das war’s?

Ja, weil ich es promoten und alles machen musste. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich mir kein Album, das ich gemacht habe, öfter angehört habe als dieses. Ich spiele es tatsächlich und genieße es sehr. Und ich bin nicht jemand, der seine eigene Musik oft hört. Aber dieses Album höre ich mir wirklich gerne an. Es macht Lust darauf, mehr Musik zu machen. Das ist echt gut.

Du hast dich also wieder gut eingelebt. Arbeitest du schon am nächsten Projekt?

Ja, ich habe angefangen, neue Musik zu machen. Auf jeden Fall.

Interessant! Aber jetzt wollen wir uns natürlich auf dieses Projekt konzentrieren. Der Titel »Don’t Take It Personal« ist durchaus interessant. Was ist die Bedeutung dahinter?

Es sind sehr sensible Zeiten und jeder nimmt alles persönlich. Wir leben in einem Zeitalter, in dem sich alle in Dinge einmischen, die sie nichts angehen, um sie zu kommentieren. Und sie reden darüber, wie empört sie sind. Wenn sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern würden, würden sie sich nicht aufregen. Das ist es also. “Nimm’s nicht persönlich”. Auch generell, wenn du das Gefühl hast, dass die Leute dich nicht so behandeln, wie du denkst, dass du behandelt werden solltest. Es geht nicht immer um dich, es geht um sie.

Ein wütender Dizzee Rascal mit Handy in der Hand
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Du sprichst auf dem Album offensichtlich einige dieser Themen und Dinge an, die einige Leute vielleicht persönlich genommen haben, aber auch klanglich ist das Album besonders. Es schlägt teils eine neue Richtung ein. Was hat dich in dieser Hinsicht inspiriert?

Als ich anfing, Beats zu machen und zu produzieren, habe ich mich mehr auf Upbeat-Sachen konzentriert. Ich wollte hauptsächlich einfach ein lustiges, leichtes Album machen. Und dann hat es natürlich auch noch andere Teile. Es wird immer ein paar entspannte, eher nachdenkliche Songs geben. Das habe ich schon immer gemacht. Aber ja, ich bin sehr basslastig auf diesem Album, eher die britische Art von Drum-and-Bass-Garage-Basslines. Es klingt sehr britisch.

Es klingt definitiv nach Großbritannien. In der Pressemitteilung zu diesem Album heißt es, dass es deine Interpretation der 90er Raves ist. Inwiefern?

Der Sound von Drum and Bass und Garage war ziemlich genau Ende der 90er, Anfang der 2000er. Aber auch beim Gesamtsound war ich sehr auf Analoges bedacht. Ich weiß, wenn man anfängt, über dieses Zeug zu reden, kommt das nicht bei jedem gut an. Aber ich wollte da raus, dass man alles ganz steril abmischt – also digitales Mixing. Deshalb habe ich mich für Hardware entschieden.

Vieles auf dem Album wurde mit Synthesizern, Kabeln und Dingen wie der Bass Station eingespielt. War es Proteus? Wie heißt das andere? Ich kann mich nicht mehr an die Namen der Keyboards erinnern. Aber Proteus war wie ein Modul, also alte Module und so ein Kram. Ich habe versucht, einen wirklich organischen und analogen Sound hinzubekommen, und in meinem kleinen Studio habe ich alles durch SSL und dann Neve-Kompressoren und all das Zeug geschickt. Dinge, für die ich mich vorher nie interessiert habe. Ich habe mich viel mehr darauf eingelassen. Auch Novation-Keyboards. Ich wollte diesen analogen Sound der 90er Jahre.

Der Sound ist bei einigen Tracks ziemlich ausgefallen, und einer davon ist »Switch and Explode«, der super eklektisch ist und von dir selbst produziert wurde. Bei allem, was darauf passiert, habe ich mich gefragt, wo fängt man mit so einem Beat an, zu produzieren?

(Dizzee steht auf und geht hinüber in seinen Wohnbereich, wo er mir seine Einrichtung zeigt).

Guck mal, hier habe ich den gemacht. In der Küche, während die Beerdigung der Queen lief. Der Name des aktuellen Beats ist »Full Coverage«, weil sie in voller Länge gespielt haben. Es war die volle Berichterstattung über die Beerdigung der Queen. Das habe ich also gemacht, bevor ich den Song überhaupt aufgenommen habe. Ich habe also diesen Beat und »POV« am gleichen Tag gemacht. Die Prozession lief durch West London und all das in der Nähe von meinem Haus. Ich habe immer gedacht, es ist ein bisschen peinlich, das zu sagen, oder komisch, ich weiß. (beide lachen)

Dizzee Rascal, wie er verrückt in die Kamera guckt und sich an den Kopf greift
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Der Song hört sich nicht so an, als wäre das die Situation gewesen.

Ich habe nicht gesagt, dass es der Soundtrack ist. Das war, was ich gerade getan hab’, ich hatte das im Hintergrund und habe ihn gespielt. Damit habe ich einfach angefangen. Ich mag Splice wirklich (Anm. d. Red.: Splice ist eine cloudbasierte Plattform, die vor allem als Sample-Bibliothek genutzt wird). Ich denke, es ist sehr nützlich. Um ehrlich zu sein, habe ich das alles vielleicht mit Splice gemacht. Ich habe einfach die Sounds gefunden. Das ist es, was ich an Ableton liebe. Es ist so einfach, Dinge zu schneiden und zu sampeln, sie zu platzieren und zu manipulieren und mit ihnen das zu tun, was man will. Es gibt eine Menge cooler Sounds.

Das Einzige ist, dass die Sounds manchmal etwas dünn klingen, aber dafür habe ich ja die Kompressoren und Equalizer und das Mischpult, um sie aufzuwärmen und sie größer und fetter klingen zu lassen. Sie klingen dann nicht mehr so wie im Schlafzimmer. Und dann auch das Mastering, das Finden des richtigen Masters und all das. Einige dieser Stücke wurden so oft neu abgemischt, aber das ist nun mal so. Ich habe einfach versucht, all die verschrobenen Sounds zu verwenden und sie zusammenzufügen. Ich hatte einfach nur Spaß und wusste nicht, was es werden würde.

Es gibt also keine Formel dahinter? Du nimmst einfach alles, von dem du denkst, dass es zusammenpassen könnte, und überlegst dir dann einen Weg?

Das bin ich im Allgemeinen. Ich schreibe nie Songs über etwas. Normalerweise fängt es mit einem Beat an, und vielleicht habe ich nicht einmal einen Refrain oder ein Thema. Ich lege einfach los. Wenn mich also der Beat anspricht, fange ich einfach wo auch immer an. Ich murmle vor mich hin und finde ein Reimschema, bevor ich überhaupt Worte eingefügt habe, wie bei einem Puzzle. Jeder Song ist wie ein Puzzle. Es ist, als würde man ein Puzzle zusammensetzen, von dem man das Bild noch nicht gesehen hat, und dann einfach wissen, wann man aufhören muss.

Dieses Puzzle fügt sich manchmal recht gut zu einem Gesamtbild zusammen. Einer der Tracks mit einem klareren Konzept ist wahrscheinlich »How Did I Get So Calm«. Für mich ist dieser Song auch eine Reflexion über das Älterwerden und das Erwachsenwerden.

Und es zu akzeptieren.

Bist du schon da? Hast du es akzeptiert?

Ja, 100%. Ich denke, das war bei diesem Album sogar noch wichtiger. Ich höre immer von allen, dass ich zurückkehren soll. Das geht vielen Künstlern so, vor allem, wenn es um ihr erstes oder ihr früheres Material geht. Alle wollen, dass sie dahin zurückkehren. Also bin ich in dem Sinne zurückgegangen, dass ich einen Großteil dieses Albums produziert habe. Ich habe viele meiner anderen Alben produziert, aber ich wollte unbedingt, dass dieses Album mich heute widerspiegelt. Vor allem in den Dingen, die ich gesagt habe, so dass es, wenn ich es mir in 5 oder 10 Jahren anhöre, wie ein Schnappschuss dessen ist, wo ich heute war.

Dein letztes Album »E3 AF« hat sich in gewisser Weise auch wie eine Rückkehr angefühlt, aber inwiefern hat sich das in Bezug auf deine Herangehensweise bei der Produktion dieses Projekts geändert?

Ich glaube, bei »E3« habe ich nicht so viel produziert. Bei diesem Projekt habe ich die Hälfte produziert, definitiv die Hälfte. Lass mal sehen. Ich habe »POV« komplett produziert, »Switch And Explode«, »Calm«, »Keep That Same Energy«.

»London Boy«.

Ja, »London Boy« komplett. Und dann habe ich »Tell Me About It« und »Stay in Your Lane« mitproduziert. Das ist also mehr als die Hälfte davon. Es gibt mehr meiner Einflüsse als auf »E3 AF«. Da habe ich vielleicht 3 oder 4 produziert. Darum ging es mir.

In gewisser Weise klingt es auch ein bisschen experimenteller.

Ich glaube, bei »E3« ging es mehr um Rap oder Hip-Hop. Das hier hat ein bisschen mehr von dem Dance-Element an sich. Ziemlich genau fünf dieser Tracks habe ich gerade erwähnt. Die sind alle um die 144 bpm oder so.

Dizzee Rascal von etwas weiter weg mit offenen Armen
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Du hast immer betont, dass Dance ein wichtiges Element im Hip Hop und auch Grime ist. Gilt das heute immer noch? Ist das etwas, zu dem die Leute deiner Meinung nach zurückkehren?

Ich habe einfach für mich persönlich gefühlt. Es ist nicht einmal immer so, dass ich Dance machen will. Ich entdecke einfach diese Genres, besonders Drum and Bass. Ich denke, die sind die Besten, was die Sounds angeht, die sie verwenden. Gestern habe ich im Auto Bou gehört und habe mir all diese Tracks auf Spotify gegeben. Einige der Sounds und Synthesizer und die Art und Weise, wie sie verwendet werden. Du musst dir mal einen Song namens »Nan Slapper« anhören.

Okay. (beide lachen)

Ich weiß, es klingt verrückt, aber die Bassline darauf klingt wie ein böses wissenschaftliches Experiment, wenn diese Bassline wie nirgendwo sonst droppt. Ich sehe niemand anderes, der das hinbekommt. Und das, ohne dass es so abwegig ist, dass man es nicht will oder dass es zu schräg ist. Es ist immer noch organisiert. Die klangliche Qualität, die Drum and Bass und viele Garage-Sounds hatten, schätze ich jetzt, wo ich älter bin, noch mehr. Der Einbezug dieser Sounds macht die Dinge für mich einfach viel interessanter. Deshalb habe ich mich bei diesem Album wohl auch mehr damit beschäftigt.

Man kann diese Einflüsse ganz klar heraushören. Ich würde aber gerne auf »How Did I Get So Calm« zurückkommen. Es gibt da eine interessante Zeile. Du sagst: „Wieso habe ich mich wie 40 gefühlt, obwohl ich erst 30 war?“ Konntest du diese Frage schon beantworten?

Ja, ich wusste es schon, als ich es gesagt habe. Es liegt einfach daran, dass ich ziemlich jung so bekannt wurde. Aber dann war ich in der Lage, mich in eine Position zu bringen, in der ich eine Menge Verantwortung hatte. Es gab Vorschüsse, Zeitpläne und so einen Scheiß, den viele Leute nicht erreichen, bis sie in ihren 40ern, späten 50ern sind.

How did I feel like 40 when I was only 30?

»How Did I Get So Calm«

Die 40er sind quasi die nächste Ära, in die du eintrittst. Du wirst ja dieses Jahr 40. Fühlst du dich jetzt mehr deinem Alter entsprechend?

Manchmal, körperlich schon. Manchmal bin ich müde, oder ich habe Rückenschmerzen und so einen Scheiß. Oder meine Kinder nerven mich zu Tode und ich bin einfach kaputt. (lacht) Aber ich weiß nicht, ich war gestern Abend mit jemandem unterwegs. Ich habe Eliza Rose getroffen, ganz zufällig bei einer Party getroffen. Sie hat diesen Song »The Baddest Of Them All« mit Interplanetary DJs gemacht.

Ich ging zu einem Typen namens LZee, der das Musikvideo gedreht hat. Er hat mich dorthin eingeladen, aber es war nur ein Haufen 20-Jähriger. Und ich hab’ zu ihr gesagt, dass ich mich dort wie ein alter Onkel fühle. Sie meinte: „Nein, Mann, du alterst nicht so.“ Und ich dachte darüber nach. Ich sehe das auch so.

Auf dem Album sind eine Menge lokaler Legenden wie P Money, D Double E und viele bekannte Künstler aus deiner Gegend und London im Allgemeinen vertreten. Aber welche jüngeren Künstler, die nicht auf diesem Album vertreten sind, hörst du derzeit?

Oh, okay. Wie ich schon sagte, LZee. Ich mag Kwengface total. Ich habe gerade angefangen, Nemzzz aus Manchester zu hören. Ich liebe die Beats, die er benutzt. Ich mag den Sound seiner Musik. Das sind nur ein paar Namen.

Es gibt also keine große Kluft zwischen der jüngeren und der älteren Generation, wenn man so will?

Nein. Ich bin nicht mehr dem Punkt, an dem ich als erstes von Newcomern höre. Aber wenn ich es mitbekomme und tatsächlich anhöre, fühle ich es normalerweise.

Es war interessant, das Interview zu sehen, das du mit Kwengface gemacht hast, und die Kommentare zu lesen. Die Leute haben gesagt, dass es da eine kleine Lücke gibt.

Fast 20 Jahre liegen zwischen uns! Das ist schon ein bisschen verrückt, weil wir alle aus demselben Ort kommen, aber man merkt gar nicht, wie unterschiedlich es ist. Ich sehe seinen Onkel oft beim Training und plaudere mit ihm. Er ist ein bisschen älter als ich, aber er gehört irgendwie zu meiner Generation. Es gibt Dinge, die wir mögen und über die wir reden, die Kwengface nicht verstehen wird.

Aber es ist schön, dass du dir seine Musik trotzdem anhörst. Wenn es um die alte Generation und lokale Gegenden und Wahrzeichen geht, ist »What You Know About That« ein ziemlich wichtiger Song, in dem du all diese Orte aufzählst. Warum ist es so wichtig, über diese Dinge Bescheid zu wissen?

Genauso wie wir so viel über die Bronx wissen und die ganze Geschichte, die sich dort zugetragen hat. Es ist unsere Version, vor allem da, wo das Vereinigte Königreich ziemlich einflussreich war. Musikalisch gesehen ist Drum and Bass gerade wieder in aller Munde. Auch Garage macht sein eigenes Ding. Grime ist fest etabliert und sogar britischer Drill hat amerikanischen Drill beeinflusst. All diese Sachen, auf die Pop Smoke aufgesprungen ist. Er war im Begriff, der größte Artist der Welt zu werden. Das war eine britische Variante einer ursprünglich amerikanischen Sache, genauso wie bei Garage. UK-Garage war auch eine Adaption von Chicago-House, aber es hatte seine eigene Identität. Es war also gut, das zu zeigen. Diese Orte, die ich erwähnt habe, waren auch ein Markenzeichen für Garage und Drum and Bass. Wir haben diese Orte gemeinsam genutzt. Wenn man sich die Kommentare anschaut, gibt es Leute, die diese Orte besucht haben, mit Grime aber überhaupt nichts am Hut hatten.

Ich nehme an, das sind auch die Orte, an denen du damals angefangen hast, als DJ zu arbeiten, oder?

Es war mehr zu der Zeit, als ich ein MC war. Na ja, einige von ihnen waren, als ich ein DJ war, einige der Piratensender.

Du warst die ganze Zeit bei all diesen Entwicklungen dabei. Grime und vor allem Drill sind heute auf einem viel größeren Level als vielleicht vor 10 oder 15 Jahren. Was ist eine Entwicklung, die du miterlebt hast, die dem Genre am meisten geholfen hat, und was ist eine Sache, von der du kein so großer Fan bist?

Das ist eine gute Frage, Mann. Das Internet und die sozialen Medien haben uns sehr geholfen. Das Gatekeeping-Element gibt es nicht mehr so sehr. Den Leuten steht es frei, ihre eigenen Sachen zu veröffentlichen. Natürlich müssen sie einen Vertrieb finden, aber sie müssen sich erst einmal selbst bekannt machen. Das hat geholfen. Das Gleiche ist aber auch ärgerlich, denn manchmal muss man nicht hören oder sehen, was die Leute über das eigene Zeug denken. Ich habe Künstler gesehen, die wegen des Kommentarbereichs auf YouTube sehr gestresst waren. Das haben wir alle irgendwann mal, aber zumindest bin ich älter, also bin ich alt genug dafür.

Meine Musik kam vor YouTube raus. Die Top-Kommentare waren ein Thema, als ich mit einem anderen jüngeren Künstler zusammen war. Er meinte: „Oh, es ist bei den Top-Kommentaren,“ und so weiter. Ich habe dieses Konzept nicht verstanden. Aber er ist jünger, also wächst er in einer anderen Zeit auf, und das ist ein Hindernis. Wäre das ganze Zeug schon draußen gewesen, hätte ich vielleicht bei »I Luv U« aufgehört. Denn zu der Zeit, als der Song rauskam, war er so abgefahren und so verrückt, dass die Meinung der Leute darüber mich vielleicht zum Nachdenken gebracht hätte. Oder »Boy In Da Corner”. Nicht alle haben dieses Album geliebt, als es herauskam. Es gab Momente, da dachten die Leute, das wäre Autounfall-Musik. Was zum Teufel ist das? Das ist doch Scheiße. Das gab es auch oft. Vielleicht hätte ich mir das zu Herzen genommen, wenn ich es schriftlich auf meinem Handy gesehen hätte.

Es ist komisch, das zu hören mit dieser zeitlichen Distanz, denn jetzt hat man das Gefühl, dass sich alle auf dieses Album einigen können. Aber eine andere Ära deiner Musik, über die sich nicht alle einig sind, ist die Zeit, als du all diese großen Dance-Songs mit Calvin Harris und Co. gemacht hast. Mit welchem Popkünstler oder -künstlerin hättest du damals gerne zusammengearbeitet, bist aber nie dazu gekommen?

Oh, das ist eine gute Frage. Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Ich bin eigentlich ganz zufrieden damit, wie es gelaufen ist. Aber was die Popkünstler angeht, die ich immer bewundert habe – und ich sehe sie als Maßstab dafür, wie man sich über die verschiedenen Epochen hinweg neu erfindet – ist Madonna. Wenn man ihre Karriere betrachtet und weiß, wie sie das in großem Stil und auf recht glaubwürdige Weise geschafft hat. Selbst jetzt, wo sie zurückkommt und ihren ersten Top-20-Song seit 15 Jahren oder so hat. (Anm. d. Redaktion: »Popular« mit The Weeknd und Playboi Carti ist im UK auf Platz 10 gechartet) Ich habe das Gefühl, sie ist der Maßstab. Seit wie vielen Jahrzehnten ist sie schon relevant?

Ich schaffe es gar nicht mehr, mitzuzählen.

Das ist es halt. Es gibt so viele ikonische Momente aus dieser Zeit mit verschiedenen Stilen. Die meisten Leute würden nicht erwarten, das von mir zu hören, aber alles von »Human Nature« bis zu fucking  »Evita«. Oder auch »Like A Prayer«. Jedes Mal, wenn sie im Fernsehen auftauchte, war es etwas Großes, wie mit »Don’t Cry For Me Argentina«. Nicht, dass ich diese Lieder mag, aber ich respektiere sie. Und jetzt bin ich in der Branche und verstehe, was es einem abverlangt. Damals hat sie Filme für Musikvideos gedreht und ist damit weltweit viral gegangen, bevor es einfacher war, dies über die sozialen Medien zu tun, manchmal auch aus Versehen. Verstehst du, was ich damit sagen will?

Auf jeden Fall.

Beyoncé hat sich auch gut geschlagen. Natürlich hätte ich gerne ein paar Songs mit Beyoncé oder Rihanna oder so gemacht. Aber nein, ich bin wirklich froh, dass ich mit Calvin Harris gearbeitet habe. Einfach zu sehen, wie viel er arbeitet und wie weit er es gebracht hat. Es ist wirklich verrückt. Und je mehr er macht, desto mehr habe ich das Gefühl, dass ich verdammt nochmal richtig lag. (beide lachen) Ich mag das. Man sollte ihn wirklich erwähnen werden, wenn man bedenkt, dass er Produzent, Autor, Sänger, Künstler, all das ist. Er ist einer der produktivsten Produzenten vielleicht aller Zeiten. Er hat es nur in kürzerer Zeit geschafft, und die Leute haben ihre Meinung darüber, was sie für gute Musik halten, oder was auch immer. Aber sein Rap-Sheet ist verrückt. Wenn du es einfach auf Spotify nachsiehst – das ist abgefahren. Ich bin mir sicher, dass nur jemand wie Max Martin (Anm. d. Red.: ein schwedischer Songwriter) so viele Hits hat wie er haben könnte, wenn wir mal ganz ehrlich sind.

Er ist definitiv einer der größten Künstler dieser Generation. Um aber auf dich zurückzukommen – in einem älteren Interview mit Laut.de, das war ungefähr zu der Zeit, als »Showtime« herauskam, hast du einmal gesagt, dass du kein Rapper bist, sondern hauptsächlich ein Produzent. In einem Interview mit NME zu »E3 AF« hast du gesagt, du bist ein „fucking serious rapper“. Das ist eine ziemlich interessante Veränderung. Was denkst du, wo du mit diesem Album stehst?

Jetzt ist es ein Gleichgewicht. Ich habe nicht als Rapper angefangen, denn ich habe eigentlich gelernt, auf Drum and Bass zu spitten. Ich habe keinen richtigen Hip-Hop gelernt. Aber ich denke, im Großen und Ganzen ist es Rappen. Nach »Tongue n’ Cheek« habe ich mit dem Produzieren ganz aufgehört. Erst mit der »Don’t Gas Me« EP von 2017 habe ich wieder angefangen. Das war quasi, um neu zu lernen und es wieder bis zu diesem Punkt aufzubauen. Jetzt würde ich sagen, ich bin 50/50, aber wahrscheinlich immer noch mehr Rapper als Produzent. Ich habe die Hälfte der Tracks produziert oder ein bisschen mehr, aber ich habe auf allen gerappt.

Fair. Die Rechnung geht auf.

Math is mathing. (beide lachen)

Herzlichen Dank! Ich bin neugierig, wohin du als nächstes gehen wirst.

Jederzeit, Mann.