Jahresrückblick: nationale Alben 2022

Jahresrückblick 2022: Die zehn besten deutschen Alben

Es ist wieder Zeit für den Mostdope-Jahresrückblick. Wir blicken auf das Jahr 2022 zurück und stellen euch unsere Bestenlisten in verschiedenen Kategorien vor. Welche Künstler*innen haben das zurückliegende Jahr mit ihren Songs, EPs oder Alben am meisten geprägt für uns?

Hier findet ihr unsere Top 10 der deutschsprachigen Alben. Welche Tracks aus diesem Jahr hat die Redaktion am meisten gefeiert?

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Top 10 internationale Alben 2022

Honorable Mentions:

Bevor die vordersten zehn Plätze kommen, gibt es hier noch einmal eine Auswahl an Alben, die das Ranking nur ganz knapp verpasst haben. Unter den vielen zur Auswahl stehenden Alben bei unserer Bestenliste haben es diese Projekte zwar nicht ganz nach oben geschafft, aber unser Jahr 2022 ebenfalls stark geprägt.

Tom Hengst – Spiel des Lebens
Pashanim – Himmel über Berlin
DISSY – ANGER BABY
Luvre47 – Herz
Casper – Alles war schön und nichts tat weh


Platz 10: Luciano – Majestic

Cover via Locosquad/URBAN

Der momentan international vielleicht erfolgreichste Rapper hat auch auf diesem neuen Streich erneut an seine Erfolge anknüpfen können. Ein Ensemble von großen internationalen und nationalen Gästen fügt sich nahtlos in den Flow des 20-Tracks-Koloss von Album ein und liefert die nötige Abwechslung, die ein Luciano zwingend braucht.

Denn das ist das Talent des Superstars: Nicht nur als Netzwerker fungiert er gut, nein, er weiß auch seine Featuregäste geschickt einzusetzen, um die Spannung das ganze Album über hoch zu halten. Der riesige Hit »Bamba« mit Aitch und BIA ist ein prominentes Beispiel dafür, weniger prominent sind dagegen die Features mit Sophie Hunger oder Paula Hartmann. Die wenigsten hätten vermutlich im Vorfeld mit Gastauftritten der beiden Sängerinnen gerechnet, aber sowohl Sophie als auch Paula passen auf das Album, als hätten sie schon immer in diese Welt gehört. Und genau diese Beispiele zeigen, wie versatil Luciano seine Alben mittlerweile aufbauen kann und auch bei seinem immensen Output abwechslungsreich und interessant bleiben kann.

Platz 9: Mädness – Maggo lebt

Cover via Mädness/Groove Attack

Viele Fans müssen sich Jahre lang auf das nächste Release von ihrem Lieblingsrapper gedulden. Nicht so mit Mädness: Drei Alben in vier Jahren. Der Gude liefert ab und bei allem Output büßt er nicht an Qualität ein.

»Maggo lebt« hat zwar kaum eine Spielzeit von 20 Minuten, doch die sieben Tracks sind sowas von auf den Punkt geschrieben. Keine Füller, keine Phrasen, einfach nur Zeilen auf höchstem Niveau und Musik, die, obwohl sie kurzweilig ist, doch Tiefgang bietet. Denn eine Sache, die niemand Mädness absprechen kann, ist sein Pen Game! Mädness gelingt es mit wenigen Worten und einer präzisen Sprache klare Bilder zu erschaffen. Kaum vorzustellen, dass er noch vor nicht allzu langer Zeit sein Karriereende in Aussicht stellte und drauf und dran war, seinen Rückzug aus dem Rap Game in die Tat umzusetzen. Doch umso erfreuter durften seine Fans darüber sein, dass das Album die Botschaft trägt seinen Frieden mit sich selber zu schließen, loszulassen, aus Fehlern zu lernen und letztlich weiterzumachen. Denn egal was ist und auch was war: Maggo lebt!

Platz 8: Kwam.E & Tom Hengst – Concrete Cowboys 2

Cover via Nur!Musik/Chapter ONE

Dass die Hamburger Lokatmatadoren Kwam.E und Tom Hengst sich erstaunlich gut ergänzen stehen ist hinlänglich bekannt, aber nirgendwo zeigen die beiden das so deutlich wie auf ihrem Concrete Cowboys-Projekt. Schon der Vorgänger aus 2020 stellte das unter Beweis, der Nachfolger aus dem Juni diesen Jahres macht endgültig den Deckel drauf. Lines werden sich hin- und hergeworfen als würden Styles P und Jadakiss wieder gemeinsame Sache zu machen, die Beats scheinen zu jedem Zeitpunkt BEIDEN wie auf den Maß geschneidert zu sein und am wichtigsten: Der Spaß am Rappen scheint aus jeder Zeile zu tropfen. Und wer die beiden einmal live gesehen hat, weiß: Dieses Album transportiert genau diesen Spaß eins zu eins auf die Bühnen dieses Landes.

Platz 7: RAPK – Odyssee

Cover via RAPK/Columbia/Sony Music

Das Berliner Duo RAPK hat im Oktober diesen Jahres ihren melodiösen Laid-Back-Trap auf Albumlänge präsentiert. Wo vorher in der Diskographie vor allem Singles und EPs dominierten, ist mit »Odyssee« nun endlich ein waschechter Longplayer erschienen, der zeigt: Die Jungs können auch kohärent ihre Tracks zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Tariq und Victor erzählen auf »Odyssee« von den zwei Herzen, die in ihrer Brust schlagen und stiften jeweils »Berlin« und »Marseille« einen eigenen Song. Die Fusion aus diesen beiden Lebensgefühlen ergibt atmosphärisch-melodiöse Songs, die vom alltäglichen Leben in ihrem Kiez erzählen und über die gesamten 29 Minuten hinweg einen ganz eigenen und spürbar anderen Vibe liefern.

Platz 6: Disarstar – Rolex für alle

Cover via Four Music/Sony Music

Direkt in Folge an das MOSTDOPE-Album des Jahres 2021, »Deutscher Oktober«, hat sich der Hamburger Rapper Disarstar nicht ausgeruht – sein Jahr 2022 war nochmal um einiges umtriebiger und vor allem erfolgreicher als das davor. Was zunächst mit der »Microdose«-EP startete und einer gefühlt endlosen Konzert- und Festivaltour seinen Lauf nahm, endete im Oktober fulminant mit dem Release seines Albums »Rolex für alle«.

Parolenhafte Songs wie der Titeltrack oder »Hunger« wechseln sich ab mit betont ruhigeren, gefühlsbasierten Songs wie »Ode an die Traurigkeit« oder »Supergirl«, sodass ein abwechslungsreiches Gesamtwerk entstehen kann. Und genau das zeigt, dass Disarstar, der zwar seit jeher für starke Texte und Botschaften gestanden, aber häufig etwas eindimensional hantiert hat, mittlerweile als Künstler mit seinem steigenden Erfolg mitgewachsen ist und längst auch auf Albumlänge funktioniert.

Platz 5: Schmyt – Universum regelt

Cover via Division/GOLD LEAGUE/Sony Music

“Ist das noch Rap?” werden sich einige fragen. Und tatsächlich: Schmyt kratzt ganz gewaltig an den Genre-Grenzen, wie sie im herkömmlichen Sinne vielleicht mal aufgestellt wurden. Ein bisschen Chanson hier, ein bisschen Pop da, eine Prise Rap rundet das ganze ab. Aber das schöne ist ja: Genre-Grenzen sind lange überholt und das hat insbesondere 2022er Hip-Hop mit seinen Techno-, Pop-Punk- oder Houseanleihen ein ums andere Mal unter Beweis gestellt. Wichtig ist doch nur: Es muss schön klingen und im besten Fall etwas in den Hörer*innen auslösen – und wenn dieses Album nicht beides tut, welches dann?

Sein Albumdebüt als Solomusiker, »Universum regelt«, nimmt sich das beste aus allen möglichen Genreklängen, verbindet es mit poesiebuchartigen Texten und einer Stimme, die ein eigenes Instrument sein könnte. Heraus kommen Tracks, die in ihrer Dichte unter die Haut gehen und nicht nur gestandene Artists wie RIN oder Haftbefehl zu Fans macht, sondern auch die Redaktion.

Platz 4: YRRRE – Feinstaub

Cover via IRRSINN Tonträger / Vertigo / Universal

Ein Album voll Eskapismus und kleinen aber scharfen Alltagsbeobachtungen. Ja, klar Musik machen ist Therapie, tausendmal gehört und auch auf »Feinstaub« zutreffend. Aber, und das ist die große Kunst von YRRRE, die seine zweite Zusammenarbeit mit Cap Kendricks zu etwas besonderem macht, er zeichnet sich ein größeres Bild in die Luft, ein überlegtes aber auch überfordertes. Alle Eindrücke, die auf einen Mittzwanziger in der Großstadt und auf der Suche nach sich selbst, einprasseln, laufen hier zusammen – teilweise in »Schlangenlinien« und nach durchzechten Nächten auch mal in starker Schräglage. Die Frage nach Sinn oder Bedeutungslosigkeit, die Existenzangst und der Wunsch nach Stabilität und Mitgefühl ist es, was »Feinstaub« prägt und den Hörer*innen mit YRRRE eine Figur zum Identifizieren und Einfühlen gibt. Seine Texte sind bittersüss. Irgendwie traurig, irgendwie schmerzhaft, aber bei alledem nicht trostlos. An YRRREs Seite fühlt man sich an Peter Fox Skizzierungen eines nächtlich verdreckten Berlins zurückerinnert, wo trotz allen sich in der Verworrenheit der Großstadt herumtreibenden Schatten und Gestalten, sich doch auch etwas Schönes und Eigenes in ihrem Zusammenspiel findet und die Stadt zum Magnet der irrenden und nach Entfaltung suchenden Generation macht. All das spinnt ein atmosphärisch dichtes Netz aus Gedankenfäden und Laufmaschen, das für seine Hörer*innen Anknüpfungspunkte schafft und während YRRRE mit seinem musikalischer Output bereits jetzt mit Komplexität und Tiefgang so überzeugt, dass es mit einem Platz unter den Alben des Jahres der Redaktion zurecht gewürdigt werden muss

Platz 3: Apsilon – 32 Zähne EP

Cover via Four Music/Sony Music

Er ist einer DER Shootingstars in diesem Jahr gewesen: Apsilon aus Berlin-Moabit. Schon Ende des vergangengen Jahres hat er mit Singles wie »Kes« oder »Sport« aufhören lassen und diese zu Beginn von 2022 in der Debüt-EP »Gast« mit einigen neuen Tracks aufbereitet.

Diesen Schwung hat er allen Anscheins nach in seine nur neun Monate später erscheinende »32 Zähne«-EP gesteckt. Auf den sieben Tracks berichtet er aus Betroffenen-Perspektive von strukturellem Rassismus, Polizeigewalt und allem voran der eigenen Identität. Diese Texte, gepaart mit seiner druckvollen Stimme und einer ganz eigenen Art zu rappen, haben ihn in Windeseile zu einem mindestens in der Szene bekannten Artist gemacht. Schon jetzt – mit nur zwei EPs und einer Handvoll Tracks im Gepäck – hat Apsilon ein erstaunlich großes Momentum geschaffen, das er mit Sicherheit für zukünftige Projekte zu nutzen weiß.

Platz 2: Paula Hartmann – Nie verliebt

Cover via Himbeertoni / Four Music

Ein “modernes Großstadtmärchen” hieß es immer wieder, wenn in diesem Jahr über Paula Hartmanns Debütalbum »Nie verliebt« gesprochen wurde. Und tatsächlich hat die Wahlhamburgerin nicht nur mit dem Albumcover starke Bezüge zu der Gattung aufgebaut: Sie erzählt von verirrten Gestalten, guten und weniger guten Figuren und einem Haufen Probleme, die es zu lösen gilt. Der Unterschied nur zu den herkömmlichen Märchen. Es gibt »Kein Happy End«. Stattdessen finden die Szenen zumeist in verrauchten Bars oder auf dem U-Bahn-Heimweg nach einer durchzechten Nacht statt und die Bösewichte, hier meist in Form von Ex-Freunden oder nachstellenden Typen dargestellt, lassen die Protagonistin zumindest gedanklich nicht zur Ruhe kommen.

Diese Schwere und zumeist melancholische Aura umgibt das ganze Album und taucht für die 30:44 Minuten alles in ein gedämpftes Licht. Diese ganz besondere Atmosphäre wird vor allem durch ihre wortgewaltigen Bilder getragen, die sie durch eine unzählige Menge an Metaphern schafft. Kein Wunder, dass Luciano, Haftbefehl oder Casper Schlange stehen, um mit ihr gemeinsam zu arbeiten. .

Platz 1: OG Keemo & Funkvater Frank – Mann Beisst Hund

Cover via Chimperator

Schon als das Album am 7. Januar rauskam, war für viele Leute klar: Das hier ist es. Das ist das beste Album, das 2022 zu bieten haben wird. Und auch wenn solche Aussagen normalerweise spätestens zur Mitte des Jahres langsam überholt sind, hat es sich in diesem Fall endgültig bewahrheitet. Zu hoch war die Messlatte, die OG Keemo und sein kongenialer Partner Funkvater Frank mit »Mann Beisst Hund« gelegt hatten. Sie haben ein Album geschaffen, das (vielleicht nicht nur) in diesem Jahr seinesgleichen gesucht hat. Ein Album wie ein Film: Drei halbfiktive Figuren, verflechtete Erzählungen aus mehreren Perspektiven, dramatische Wendungen und das alles auch noch auf einem musikalisch konstant hohen Niveau. Nein, das hier ist ohne Frage das beste Album, das Deutschrap in mindestens diesem Jahr hervorgebracht hat.