Bevor die große Zeit der Jahresrückblicke beginnt, wollen wir einen Blick auf den vergangenen Monat werfen. Mit Orbits Debütalbum »Countless Feelings But So Few Words«, dem selbstproduzierten »AUX KIDS« von Acidfrank oder Tapes von Emma Rose, Vega und Softboy Ivo hatte der November eine ordentliche Bandbreite zu bieten. Das bestätigen auch unsere drei Alben des Monats.
Jassin – Arsenalplatz

Arsenalplatz, eine große Freifläche in Jassins Heimatstadt Lutherstadt Wittenberg, ist nicht nur Albumtitel, sondern auch Hauptschauplatz der zwölf Songs. Ein Jahr nach der Veröffentlichung seiner Debüt-EP »Kinder können fies sein«, einem prall gefüllten Festivalsommer und einem tadellosen Single-Run liefert der junge Newcomer mit »Arsenalplatz« eine Erzählung über die Höhen und Tiefen des Erwachsenwerdens in Ostdeutschland. Coming-of-Age aus Sachsen-Anhalt auf Albumlänge.
Genauer gesagt geht es um die Suche nach Zugehörigkeit, Fragen der Identität, die Auseinandersetzung mit transgenerationalem Schmerz und eine generelle Überforderung mit der eigenen Gefühlswelt. Diese Themen, eigentlich normal für Personen in der undefinierten Phase zwischen Teenager und Erwachsenen, wurden im Falle von Jassin noch durch eine rasant explodierende Karriere als Musiker ergänzt.
Im Laufe des Albums erarbeitet sich der junge Künstler seinen eigenen Umgang mit diesen Hindernissen, zeigt rohe Verletzlichkeit und politische Haltung und gibt jedem Gefühl eine Daseinsberechtigung. Musikalisch erinnert das Ganze an Folk-Einflüsse à la Bon Iver oder auch melancholischen Indie-Pop à la Schmyt – (Insbesondere die Ad-Lips auf »Sonnenbankflavour«). An dieser Stelle wäre ein wenig mehr Experimentierfreude angenehm gewesen. Schlussendlich bewegt sich die LP hauptsächlich im Bereich der Synth-Pads und Indie-Gitarren und hat sich damit ein gutes Stück von den Rap-Einflüssen, die noch auf »Kinder können fies sein« zu hören waren, entfernt.
Nichtsdestotrotz hat Jassin mit »Arsenalplatz« ein Debütalbum veröffentlicht, dass sich sehen lassen können. Ohrwürmer über Ohrwürmer, einen begehrten Feature-Gast wie Edwin Rosen und eine allmählich einsetzende Zufriedenheit. Wir können definitiv gespannt sein, was wir in Zukunft noch von ihm zu hören kriegen!
Michail Weiss
OG LU – assig aber cute

Während Frankfurt dieser Tage durch die Haftbefehl-Doku erneut in aller Munde ist und seine verdienten Lorbeeren für sein Deutschrapvermächtnis einsammelt, packt OG LU parallel dazu die Mainstadt kurzerhand mit frischem Sound auf die Karte, ganz ohne Nostalgie. Die schon aus dem von Hafti eigens besungenen Stadtteil Gallus entstammende Rapperin schafft mit ihrem zweiten Tape »assig aber cute« auf den ersten Blick einen Widerspruch, wenn sie die heutzutage überall in Memes und Popkultur auftauchende überzeichnete Cuteness in Titel und Coverart verpackt, doch räumt im Verlauf des Tapes in Windeseile damit auf.
Denn wo sie sich einerseits auf »Knoppers« noch als Barbie bezeichnet doch direkt darauf folgend mit Kampfsport-Referenzen um sich schmeißt und ansatzlos die Frankfurter Fäuste spielen lässt, wird schnell klar: OG LU ist viel wütender als gewisse Emojis weismachen könnten. Wenn Polizeiautos brennen sollen, Oppressionen aufgezeigt werden und Sparringspartner im Sekundetakt herbeizitiert werden, um anschließend auf die Fresse zu bekommen, dann ist das alles, aber nicht mehr cute. Viel mehr zeigt sich hier auf zehn Tracks eine von Wut über Ungerechtigkeiten genährte Künstlerin, die in der Musik ein Ventil gefunden hat, um sich darüber Gehör zu verschaffen.
Dass sie bald auf ihre bislang größte Tour geht, im Sommer bei K.I.Z die Vorgruppe gespielt hat und von Szeneakteur*innen von Aria Nejati bis Tom Hengst und Wa22ermann ihr verdientes Hak erhält, zeigt: das Aufwärmen ist endgültig vorbei, jetzt wird in den Ring gestiegen.
Matthi Hilge
Pashanim – junge ceos 1

In seiner Release-Frequenz bleibt Pashanim unberechenbar. Mal eine Single, mal ein Mixtape, mal »junge ceos 1« fünf Jahre nach »junge ceos 2« – stets natürlich aus dem Nichts. Auch inhaltlich bleibt alles beim Alten. Innovative Elemente finden sich vor allem in den Produktionen, zum Teil in den Flows aber auch in den neuen (mitunter unverhofft lustigen) Winkeln, die Pashanim für die immer gleichen Erzählungen findet.
„Fick ma’ USA, lak, was für Supermacht? / Ich zieh’ ‘nem Ami seine Sachen in der U-Bahn ab / Es war Herbst, die Sonne schien, ich hatt’ ein’n super Tag”
Pashanim auf »step up«
Es ist eine Menge Vertrautheit, die sofort den Wohlfühl-Effekt einsetzen lässt – wie beim wiederholten Binge-Watching der immergleichen Sitcom – gepaart mit genug Abwechslung und Kurzweiligkeit, um die Neugier aufrechtzuerhalten, keine Langeweile aufkommen zu lassen und nie zu übersättigen. Mit welcher Konstanz Pashanim nun auf diese Weise seit mehr als sechs Jahren schlichtweg gute Musik liefert, ohne sich dabei vor Experimenten und neuen Einflüssen zu verstecken, ist beachtlich.
In ihrer Kürze und ohne Konzeptdruck bleiben insbesondere EPs ein Heimspiel für den Berliner – vielleicht sogar ein bisschen zu sehr. Denn die Erwartbarkeit ihrer Qualität bestärkt das latente Gefühl, dass Pashanim sein volles Potenzial noch immer nicht ausgeschöpft hat. Als würde er immer nur etwas mehr als das Nötigste tun (weil er weiß, dass es ausreicht) und als wären alle Veröffentlichungen bis dato lediglich Teaser für den einen Moment, in dem er kompromisslos seine Komfortzone verlässt und künstlerisch endlich voll ans Limit geht.
Intuitiv würde man das in Form eines Albums denken, vielleicht droppt der ausgemachte Cineast aber vor der nächsten LP erst einmal wortwörtlich „Filme wie Wim Wenders” (»Näher«). Ähnliches hatte er schon auf »grünewürfelflow«, seiner ersten EP in diesem Jahr, angekündigt. Zuzutrauen wären ihm die großen Visionen für Werke beider Art allemal.
Wir wären in jedem Fall bereit, ihn nächstes Jahr kreativ komplett entfesselt zu erleben. Gleichzeitig weiß man, dass Pashanim mit vollem Recht in seinem eigenen Tempo arbeitet und wenig auf fremde Erwartungen gibt. Solange dabei weiterhin regelmäßig Projekte wie »junge ceos 1« erscheinen und er es nicht ernst meint, wenn er sagt „Scheiß’ auf Rap, weil ich brauch’ langsam andere Standbeine”, werden sich seine Fans kaum beklagen können.
Magnus Menzer




