Immer längere und wärmere Tage bedeuten für Musikliebhaber vor allem eines: einen weiterer Sommer voller Festivals, Open Airs und Nächten mit Bluetooth-Boxen in Parks. Wie jedes Jahr ist die Musikbranche wieder endgültig aus dem eher releaseärmeren Winterschlaf erwacht und hat uns in den letzten Wochen eine Fülle von Releases beschert, die darum konkurrieren, als Soundtrack für die kommenden Monate zu dienen.
Die Einigung in der Redaktion, welche Alben wir in dieser Rubrik hervorheben möchten, fiel für den Mai besonders schwer. Peter Fox liefert mit »Love Songs« den Nachfolger zu einem echten Deutschrap-Klassiker, Fatoni meldet sich mit »Wunderbare Welt« zurück und auch Samy Deluxe hat im Zusammenspiel mit Morlockko Plus auf »Daddy’s Home« neues Feuer gefunden. Auch BIBIZAs unkonventioneller Ausflug in die »Wiener Schickeria«, dem wir uns bereits in einem Soundcheck ausführlich gewidmet haben, soll hier erneut gewürdigt werden. Trotzdem haben wir uns drei Alben von Acts herausgesucht, die in diesem Jahr auf so einigen Festivalbühnen stehen und den Sommer entscheidend prägen dürften. Den Anfang macht in gewohnt unaufgeregter Manier makko, der auf »Lieb mich oder lass es, Pt. 1« den passenden Sound für laue Sommernächte liefert. Yassin knüpft wiederum auf »Für immer« an die Introspektive seines ersten Soloalbums an und scheut sich nicht vor existenziellen Fragen. Zuletzt hat Levin Liam, der in den vergangen Monaten wahres Star-Potenzial bewies, mit seinen »Levin Liam Leaks« ein Tape releast, das man unbedingt auf dem Schirm haben sollte.
makko – Lieb mich oder lass es, Pt. 1
Gerade erst rausgekommen, schlappt makkos »Lieb mich oder lass es, Pt. 1« noch rechtzeitig in die Top 3 der Alben des Monats Mai. Der Moment könnte nicht besser sein, ein solches Album zu droppen, denn: der Sommer ist unleugbar da. Alle Leute, die schon mit ihren Bluetooth-Boxen in den Parks sitzen und nur darauf warten, dass der diesjährige Soundtrack zum Sommer rauskommt, könnten hier fündig werden.
Vielleicht aber, haben Hörer*innen diesen ja auch schon gefunden. Mit »P.S.«, »Dein Lügner«, »Pueblo«, »Echt« und »Nie mehr auf Wolke 7« sind bereits fünf Singles vor Release des 13-Track-langen Albums erschienen. Wer die bisherigen Lieder kennt, wird nach Veröffentlichung von Lieb mich oder lass es, Pt.1« nicht weiter überrascht sein. Sie sind nicht etwa ausgeschmückt oder experimentell, sondern makko-Tracks, die ein Soundbild von vorne bis hinten durchtragen. In Geschwindigkeit variierende Trap-Hats, entspannte 808’s und verträumte Samples gepaart mit makkos unverkennbarem Gesangs-Flow.
Auf »P.S.» hat der Berliner nach der »Nachts Wach« EP ein weiteres mal mit Miksu und Macloud zusammengearbeitet und auch seine sonstige Feature-Mentalität beibehalten. Es werden keine Vocal-Artists gefeatured, was das Album persönlicher macht und dadurch einen noch größeren makko-Stempel bekommt.
Inhaltlich geht es auf dem Album um Liebe und andere zwischenmenschliche Bereiche des Lebens, die schwer werden können. Makko selbst beschrieb es in einer Instagram-Umfrage unter anderem mit den Worten “Schwere Sachen mit Leichtigkeit nehmen, dann trägts sich easier”. Und genau so klingen seine Texte. Schwere Themen verpackt er in seiner leichtfüßigen Art und regt ohne Sinnkrisen auszulösen zum denken an.
Auf »Erzfeind« erfährt man, dass er selbst sein einziger Stolperstein ist, einen Dämon hat er auch laut »Pueblo« und durch »Echt« wird nochmal deutlich: makko ist echt. Und so ist auch sein Album. »Lieb mich oder lass es, Pt.1« verströmt eine Leichtigkeit und Realness, die seinesgleichen sucht.
– Tim Mahler
Yassin – Für immer
Eigentlich wird Yassin für immer seinen Platz in Deutschraps Geschichtbüchern als eine titelgebende Hälfte von Audio88 & Yassin haben. Aber was sich schon 2019 mit »YPSILON« angekündigt hat, wird jetzt, vier Jahre später, endgültig Gewissheit: Yassin funktioniert auch als Solokünstler wahnsinnig gut – wenn auch gänzlich anders als im Duo.
Auf seinem neuen Album »Für immer« knüpft der Wahlberliner an sein Solodebüt an und widmet sich erneut seiner Biografie. Auch wenn Audio88 & Yassin Alben in der Vergangenheit schon immer deutlichere Einschläge an persönlichen Songs hatten, so ist es doch nicht vergleichbar, was Yassin hier an Einblicken gewährt. Auf 13 Songs, die zu einem Großteil von Dienst&Schulter produziert worden sind, schlägt Yassin in eine ähnliche Kerbe wie vier Jahre zuvor – und macht doch einiges anders. Alleine der Track »Mir geht’s gut« stellt gefühlt alles auf den Kopf, wofür der Name Yassin in den vergangenen Jahren stand. Wo sonst häufig Misanthropie und Zynismus regierten heißt es mit einem Mal: “Liebe mein Leben gerade so sehr, dass ich mich liebe dafür”. Die letzten Jahre haben scheinbar einiges im Kopf verändert und das schlägt sich im Sound und den Inhalten des Albums nieder.
Folgerichtig sind Gäste auf dem Album gefeatured, die ähnliche Reifungen in den letzten Jahren durchlaufen haben: Tua steuert auf »So weit weg« die wohl am meisten nachhallendste Passage des Albums bei und Döll lässt seine besiegte Spielsucht auf »Brenne« noch einmal Revue passieren. »Ohne uns« mit dem schon lange in Aussicht stehenden Schmyt-Feature ist ein Rückblick auf verschwommene Trennungszeiten und auch sein Bruder im Geiste, Audio88, darf für den Albumcloser noch einmal seine Liebe zu Yassin vorstellen. Das vielleicht spannendste Feature kommt aber von Newcomerin Hanna Noir, die auf einem ihr zugeschnittenen, poppigen Garagebeat eine gewisse Frische und Abwechslung reinbringt.
Dass »Für immer« in meiner Monatsliste auch Größen wie Peter Fox abhängt liegt vor allem an der extrem runden Aufmachung, die hier sichtlich akribisch geleistet wurde. Das Artwork von Mathias Fleck lässt schon vor dem Hören des ersten Tracks erahnen, was auf einen zukommt. Die Instrumentals der Songs kommen dank der Festlegung auf (mainly) ein Produzentenduo wie aus einem Guss. Musikalisch ist das dank eines nicht zurückscheuenden Yassins und der Unterstützung seiner nicht minder experimentierfreudigen Gäste ein Album, das in seiner Tiefe und Detailverliebtheit deutlich länger nachhallt als viele seiner Pendants.
– Matthi Hilge
Levin Liam – Levin Liam Leaks 2023 (Mixtape)
Wer es in einer Feature-Liste neben Hitgarant*innen wie Herbert Grönemeyer, Henning May, Nina Chuba oder Lena schafft, Part und Hook zum bis dato erfolgreichsten Song der ganzen Platte beizutragen, muss schon etwas ganz besonderes an sich haben. Ob es Levin Liams Art zu texten, seine Stimme oder die Harmonie mit KitschKrieg und Trettmann ist, bleibt Spekulation. Fakt ist, »Für dich da« ist mit gutem Abstand der Hit des Albums und das kommt nicht von ungefähr.
Auch im Intro zu Levin Liam‘s neuem Mixtape lebt die Kollaboration nochmals auf. Mit einem KitschKrieg-Beat, aber ohne Stimmeinsatz von Trettmann wird deren Klassiker »Geh ran« zu »Geh nicht ran« umgemünzt. Erneut geht die Kombination prächtig auf. Mit »Uber X« folgt an zweiter Stelle der Track, den man als Singleauskopplung bereits im COLORS-Format bestaunen konnte.
Während die ersten beiden Songs der Platte emotional und ehrlich ganz persönliche Erlebnisse und Beziehungen mit viel Raum für Interpretation aufarbeiten, befasst sich das restliche Tape an vielen Stellen mit allgemeineren Fragen von Selbst- und Fremdwahrnehmung. Wie egal die Meinungen anderer eigentlich sein sollten und welche entscheidende Rolle sie am Ende doch spielen. Dieser Zwiespalt beschäftigt Levin Liam bereits auf dem dritten Track und soll noch einige Male aufgeworfen werden.
Ich denk’ doch eigentlich überhaupt nicht über die nach. / Doch das ist das Spiel und wir sind die Spieler.
Levin Liam auf »Spieler«
Er reflektiert und kreidet an, bei sich und bei anderen. Auf diese Weise überwindet er Zwänge, die ihn selber fesseln und erreicht so ein beeindruckendes Level an Unbekümmertheit. Es ist genau diese pure Lässigkeit, die ihn auszeichnet; dieses trockene Selbstverständnis, textlich wie melodisch, das ihn in der einen Zeile angriffslustig flowen, in der nächsten verletzlich singen und dann plötzlich wieder ganz nüchtern und kühl auftreten lässt, ohne auch nur einen Funken seiner Glaubwürdigkeit infrage zu stellen.
Dabei bewegt der Hamburger sich in einem organischen Soundbild, das warm, harmonisch und melodisch den perfekten Boden für seine Stimme bildet. Und während »Vergiss mich nicht zu schnell« (2022) noch sehr seicht, teilweise sogar etwas träge erschien, hört man ihn auf seinen neuen »Leaks«, vielleicht auch aufgrund der vielfältigen Produzenten, abwechslungsreicher, mutiger und freier denn je.
Worum es geht, ist die Vision von einem neuen Sound, den man so in Deutschland noch nicht gehört hat. Einem Sound gleichermaßen zum laut Aufdrehen mit offenen Fenstern im Auto wie zum Augenschließen mit Kopfhörern oder zum Viben an einem Sommertag am See – einem Sound, der am folgenden Statement keinen Zweifel lässt.
Ich bin gekommen, um zu bleiben, schlechte Nachrichten für jeden der mich nicht sehen will.
Levin Liam auf »Stehe Still«
– Magnus Menzer