Alben des Monats: März 2022

Alben des Monats | März 2022

Das erste Quartal in 2022 liegt hinter uns und es wurden wieder einige Releases unter die Lupe genommen. Neben verschiedensten nennenswerten Releases von u.a. 01099, Alligatoah, Audio88 & Yassin, Big Pat und dem von uns bereits im Interview mit DISSY eingehend besprochenem »Anger Baby«, fällt die Auswahl der Alben aus dem März dieses Mal doch etwas überraschend anti-Mainstream aus. Was diesen Monat bei der Redaktion auf Heavy Rotation lief erfahrt im Beitrag.

Ebow – Canê

Mein einziger Fight ist, dass meine Leute frei sind

Dersim62
Albumcover »Canê«

Auch nach knapp 10 Jahren, oder wie Ebow es selbst auf den Punkt bringt weit vor Sero und Mero, wird eine der progressivsten Stimmen im Game noch immer nicht müde, auf soziale Missstände und den Struggle marginalisierter Gruppen um Wahrnehmung auf Augenhöhe nach aufmerksam zu machen. Auf »Canê« manövriert Ebow ständig zwischen ihrem eigenen Geltungsbedürfnis und dem Ruf, eine Stimme für eine ganze Generation zu werden.

Dieser scheinbare Zwiespalt kulminiert auf dem Centerpiece »Prada Bag«, dessen repetitive Hook und losem Gesangspart sich nicht direkt erschließt. Die Oberflächlichkeit, die sich mit dem Geflexe über die Prada-Tasche schon beinahe eingebrannt hat, zerbricht aber mit einem Schlag im gesprochenen Interlude, in dem Ebow unmissverständlich klarmacht, warum sie sich vermeintliche kapitalistische Belanglosigkeiten zu eigen macht und in ihrer Musik neben Themen wie kultureller Aneignung und queerer Liebe, die kaum andere Artists ansprechen, auch immer wieder nach gängigen Motiven greift. 

So schafft »Canê« auch den Spagat zwischen Representern wie dem minimalistischen »ARABA« und dem treibenden »Giesing81« auf der ersten Hälfte sowie lockeren, durchaus tanzbaren Rhythmen auf »Shy« oder dem großartigen »Trouble« auf der zweiten Hälfte. Diese Seiten verbindet Ebow auf ihrem neuen Album derart geschickt, dass sie sich schon vor dem letzten Song zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen. Wenn sie dann auf dem Titelsong über einem nostalgischen Instrumental, das den ansonsten zeitgeistigen und oftmals überraschenden Produktionen am Ende einen angenehm vertrauten Abschluss verschafft, davon rappt, dass sie selbst „zwischen Straßenklamotten und Je suis très chic“ steht, ergibt alles Sinn.

Roman Zingel

Lugatti – Cansado

Albumcover »Cansado«

Deutschraps Heavyweight steigt erstmals alleine in den Ring und verteilt Punches an die ganze Szene. Das langersehnte Solo-Album von Lugatti ist endlich da. Nachdem es ihm sein Bruder von der Küste 9inebro bereits vergangenes Jahr mit »Shades« vormachte, zieht Gatti nun mit »Cansado« nach. Auf die Frage, ob er der Aufgabe ein Projekt auf Albumlänge selbständig zu tragen, gewachsen ist, gibt er mit diesem Release eine ganze klare Antwort: Ja!

In gewohnter laidback Manier nimmt Lugatti seine Hörer*innen mit auf einen Trip in den Kölner Süden. Seine Heimatliebe zieht sich eben so wie seine Liebe zum Gras wie ein roter bzw. eigentlich mehr grüner Faden durch das die gesamte Spieldauer des Albums. Zugegebenermaßen kann dieser monothematische Ansatz auf Dauer etwas Langweile aufkommen lassen, welche jedoch durch Lines wie „Chill mit stabilen Jungs doch häng auch mit korrekten Lappen ab“ und pointiert gesetzten Featuregäste durchbrochen wird. Neben 9inebro, der natürlich auch auf einem Soloprojekt nicht fehlen darf und Tom Hengst mit dem Lugatti bereits in der Vergangenheit auf dem Kollabo Tape »Bärenbruder« zusammengearbeitet hat, sticht vor allem ein Feature besonders heraus: Donvtello sorgt mit seinem Part auf der letzten Single-Auskopplung »Cadillac« für eines der Highlights des Albums und stellt einmal mehr unter Beweis, warum er in Sachen Technik und Flow zu Deutschlands Elite gehört. 
Insgesamt schaffen es alle Features ihre eigene Note mit einzubringen, ohne dabei den Ton des Albums zu verfehlen. 

Wie bereits beim Inhalt der Texte werden auch soundtechnisch, bis auf Ausnahme des Drum’n’Bass Exkurses auf „Bleiben vs Gehen“ keine großen Experimente gemacht. Traya gibt nach wie vor die 808 und bleibt seinem Memphis/Phonk inspiriertem Sound treu. Mal verträumt, mal voll ins Gesicht weiß er stets zu überzeugen und harmoniert perfekt mit Lugatti’s Stimme und Flow. Da den Beats genügend Platz zum Atmen gegeben wird, wirken sie phasenweise selbst wie Features und prägen das Album maßgeblich. Wer auf „Cansado“ ein lyrisches Storytelling Feuerwerk á la OG Keemo erwartet hat, wird sicherlich nicht auf seine Kosten kommen. Doch diesen Anspruch erhebt Lugatti auch gar nicht. Auch ohne große Experimente und thematischer Vielseitigkeit schafft er es ein kurzlebiges, unterhaltsames Album auf die Beine zu stellen, das getragen von Traya-Beats den ein oder anderen Banger und Mellow Bars für warme Sommernächte bereit hält.

Fynn Pschiuk

Young Meyerlack – WATTBA

Albumcover »WATTBA«

Nicht donnerstags 23:59 Uhr, nein, am Sonntag, dem 27.03.2022, hat Young Meyerlack sein neues Studioalbum »wattba« veröffentlicht, pünktlich zur Umstellung auf Sommerzeit. Der Zeitpunkt hätte nicht treffender gewählt sein können, denn »wattba«, kurz für „what a time to be alive”, ist ein Album voller Frühlingsgefühle, ein Album zum Zurücklehnen wie zum Tanzen, zum Sich-Verlieben wie zum Sich-Verlieren.

Zweigeteilt in eine Rap- und eine „Ghettobass”-Hälfte schafft Young Meyerlack es auf der komplett selbstproduzierten Platte all seine Alter Egos gekonnt in Szene zu setzen und mal wieder unter Beweis zu stellen, dass er mehr als „bloß” ein Rapper ist.

Magga ich bin doch kein Rapper, Baby ich bin Ali Whales

Young Meyerlack auf erinimilasso

Young Meyerlack gibt auf dem Album collagenartig Einblick in verschiedenste Facetten seines Lebens, besser noch seines Lebensgefühls: Dolce Vita in Bremen zwischen Wellness und Liebe, Basketball, Skaten und Hafen. Der ETR-Member weiß einfach, wie er Köpfe zum Nicken, Füße zum Wippen und Skateboards zum Flippen bringt. Nebenbei schafft er es mühelos Melodien im Ohr festzusetzen und unverkennbar authentisch Geschichten zu erzählen. Zwischendurch scheint in vielen Zeilen und in seiner kompletten Delivery der typische Meyerlacksche Charme durch, der einen immer wieder unweigerlich lächeln lässt.

Wer ist der gechillteste Lover auf der Erde, mit Maske im Gesicht aus Lavaerde

Young Meyerlack auf wellness

Egal wo und wann, er ist „am Leben, um einhundert zu geben” und steckt hörbar hundert prozent Leidenschaft, tänzelnde Leichtigkeit und gewohnte Sensibilität in seine Tracks. Auf den zumeist lockeren, glockenklaren Beats kommt selten Schwermut auf. Passend zum Frühlingsanfang blüht Young Meyerlack vor allem in sonnigen Vibes, easy living und grundlegendem Optimismus auf. Getreu dem Motto „what a time to be alive”. So wird »wattba« zum idealen Soundtrack für einen entspannten Tag im Park, hält aber nebenbei immer noch genug Tiefe im Soundbild und Experimentierfreudigkeit parat, um zu keinem Zeitpunkt flach oder austauschbar zu wirken.

Tatsächlich kann es sogar ein paar Durchläufe dauern, bis man es schafft, sich auf Young Meyerlacks unberechenbare Verspieltheit einzulassen  – vielleicht auch, bis man locker genug ist, um in seine Welt einzutauchen. Doch die Geduld zahlt sich ebenso wie Meyerlacks Mut zur Avantgarde aus. Denn was sich entfaltet, ist Wellness für die wintergeplagte Seele und eine bitter nötige Auszeit von Negativmeldungen im Weltgeschehen, die sich jeder von Zeit zu Zeit nehmen dürfen sollte.

Young Meyerlack ist sich bewusst, dass „what a time to be alive” in Zeiten wie diesen einen faden Beigeschmack bekommt. Auch deswegen hat er die Promo vor Album-Release gering gehalten. Ohne schlechtes Gewissen darf man das Album dennoch als kleine Auszeit hören und verstehen, um sich gerade in schwierigen Zeiten und gerade bei all der Leichtigkeit die es versprüht, den eigenen Privilegien eines Lebens in Frieden dankbar bewusst zu werden.

Magnus Menzer