Soundcheck: BIBIZA - Wiener Schickeria
Foto via Amine Sabeur

Durch die »Wiener Schickeria« mit BIBIZA

„Dekadenz in Wien, ja das versteht der Deutsche nie“. Aber was man nicht versteht, erscheint manchmal umso reizvoller. Die Hauptstadt Österreichs entwickelte in den vergangenen Jahren eine immer größere Strahlkraft in der musikalischen Welt und hat mit Acts wie Verifiziert, Eli Preiss und eben BIBIZA einige der interessantesten Artists der hiesigen Szene hervorgebracht. Die Metropole liefert in all ihren Facetten für BIBIZAs nunmehr viertes Album »Wiener Schickeria« eine bunte Kulisse, in der sich der Protagonist zu orientieren versucht. Das ganze Album wirkt wie ein einzelner Erzählstrang, der vom Intro mit Erzähler und den wiederkehrenden Spoken Word-Elemente auf Songs wie »Regen« zusammengehalten wird. So erzählt BIBIZA aus seiner Welt und von seinem Wien und gibt einen Einblick in ein abenteuerliches Leben, bei dem am Ende nicht ganz klar bleibt, wie erstrebenswert es überhaupt ist.

Dabei fängt am Anfang alles noch so harmlos an. Das eigenwillige, wenn auch etwas zähe Intro kommt ungeniert mit einem eindrucksvollen musikalischen Aufgebot daher. Warum die Banane krumm ist? An diesem Punkt völlig egal.

Die Laune bleibt auch auf den bereits ausgekoppelten »Opernring Blues« und »Schick mit Scheck« ausgelassen. Wenn BIBIZA hier nach dem Spritzwein ruft, wirkt es, als gehöre ihm die Welt. Im Gegenzug für die treibende Bassline und das grandiose Gitarrensolo legt man sie ihm gerne zu Füßen.

Man bringet mir den Spritzwein, bitte / Weil nur so finde ich wieder zurück zu meiner Mitte

»Schick mit Scheck«

Der Rausch

Auch »Eine Ode an Wien« knüpft an diese Leichtfüßigkeit an gibt jedoch ein erstes Anzeichen auf die Dämonen, die den Protagonisten des Albums später jagen sollen: „Keiner für alle, hier ist jeder nur für sich“. Aber noch kümmert das nicht. Der Rausch, den das erste Drittel entfacht, bauscht sich nur weiter auf und kulminiert in einer durchzechten Nacht im Stadtpark, die dann auch das wahrscheinlich beste Video der Platte hervorbringt.

Überhaupt die Videos – die konsequente Ästhetik lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass sein neuestes Album BIBIZAs bisher ambitioniertes Projekt ist. Ähnlich wie The Weeknd, der im immer gleichen Anzug auf »After Hours« weiter und weiter in sein Verderben rutscht, lässt sich »Wiener Schickeria« wie die Chronik einer ekstatischen Nacht auf Taxi-Rückbanken, dekadenten Feiern und schließlich in einem abgeranzten Elektroschuppen hören. Genau dort landet BIBIZA auf »KiK (Skit)« und dem zerstörerischen »Blau«. Das Fedde La Grande-Sample liest sich auf dem Papier wahrscheinlich wie ein Fiebertraum, funktioniert in dieser Phase aber perfekt.

Dass auf jeden Höhenflug ein Fall folgen muss, wird auf der zweiten Hälfte des Albums deutlich. So dauert es nicht lange, bis sich die »Schöne Dame« von der »Akademie der bildenden Künste« als »Femme Fatale« entpuppt. Kein Wunder, dass auch sein Versprechen, für diese Dame mit den Drogen aufzuhören, wieder gebrochen wird. Nicht aber, bevor uns Filous mit einem Sample von Mozarts kleiner Nachtmusik ein absolutes musikalisches Highlight beschert.

Ja dich zu lieben, nein das tut nicht gut / Und dich zu hassen hab ich so oft versucht

»Femme Fatale«

Der Geist des Großmeisters

Ein Text zu »Wiener Schickeria« wäre aber nicht komplett ohne Erwähnung der anderen Wiener Legende, deren Geist über allem schwebt. Ganz eindeutig bezog BIBIZA Inspiration von Falco, dessen Themen, Style und an vielen Punkten auch Stimmfarbe hier ins 21. Jahrhundert transportiert wird. BIBIZA schafft es aber trotz aller Ähnlichkeiten über die gesamte Laufzeit durch die vielen Interludes wie »Ballern am Balkon« oder »Babylon Freestyle« eine breite Palette an rocklastigen, tanzbaren und gerade gegen Ende der Laufzeit sentimentalen Momenten zu schaffen. In seiner Vielseitigkeit liegt auch die größte Stelle des Albums, denn trotz der Vielzahl an Genres und Stilen, denen man auf »Wiener Schickeria« begegnet, trägt alles klar die Handschrift von BIBIZA und seinen Produzenten.

Gegen Ende, wenn »Marie« unerreichbar und aufgegeben erscheint, wird »Wiener Schickeria« am persönlichsten. Genau in diesem Moment bröckelt auch die Fassade, die im Taumel der Ekstase aufgebaut wurde und die Oberflächlichkeiten, die auf »Blau« noch als Sympathie verkauft wurden, verpuffen in der Einsamkeit. So bekennt BIBIZA: “Es geht um Oberflächlichkeiten, man soll die Oberfläche meiden / Aber die Oberfläche ist das, was die meisten verstehen”. Und auch wenn dies auf einem Song mit dem Titel »Wer leidet mit mir?« zunächst reichlich pathetisch daherkommt, wird doch deutlich, was dem Protagonisten auf dem Album in seinem Rausch letztlich fehlt.

Wer leidet mit mir außer meine Lunge und Leber?

»Wer leidet mit mir?«

So fügt sich dann auch »Regen«, dem Johannes Madl ein weiteres gitarrenschweres und herrlich sentimentales Instrumental beschert, als finaler Punkt wunderbar ein, auf dem BIBIZA als Erzähler nicht nur die durchzechte Nacht sondern sein Leben als solches noch einmal resümiert und sich fragt, inwiefern das Schicksal ihn zu dem Punkt gebracht hat, an dem er nun steht. Gerade dieser Blick zurück kommt mit einer Menge Pathos daher, die für den einen oder die andere etwas zu viel sein mag. Überhaupt wünscht man sich an manchen Stellen auf »Wiener Schickeria« hin und wieder, dass BIBIZA seine Texte etwas eleganter verpackt. Vielleicht macht aber gerade genau das den „Schmäh“ aus. Und dass er diesen verstanden hat wie kaum ein anderer, beweist dieses Album nur allzu deutlich.

Du checkst nicht den Schmäh / Du bist viel zu ernst

»Ballern am Balkon«

Tracklist: BIBIZA – Wiener Schickeria

01. Guten Morgen (mit Nicholas Ofczarek, prod. Filous)
02. Opernring Blues (prod. Johannes Madl)
03. Schick mit Scheck (prod. Johannes Madl)
04. Eine Ode an Wien (prod. Filous)
05. Ballern am Balkon (prod. BLVTH, 7kcalls)
06. Eine Ode an Bibiza
07. Alkoholiker (prod. Johannes Madl)
08. Stadtpark Insomnia (prod. Filous)
09. KiK (Skit) (prod. Enzo Gaier)
10. Blau (prod. Johannes Madl & Enzo Gaier)
11. Schöne Dame (prod. Enzo Gaier & Filous)
12. Akademie der bildenden Künste (prod. Nikolai Potthoff)
13. Marie (prod. Filous)
14. Femme Fatale (prod. Filous)
15. Höhenstraße (prod. Filous)
16. Mr. Pessimist (prod. Johannes Römer)
17. Wer leidet mit mir? (prod. Filous)
18. Am Weg in die Villa (prod. Filous)
19. Babylon Freestyle (prod. Filous)
20. Regen (prod. Johannes Madl)