Der August ist durch und es war ein Brett von einem Monat für alle Deutschrapfans. Samy Deluxe droppt mit »Hochkultur 2« nicht einfach nur ein Album, sondern liefert uns eine Zeitreise durch 50 Jahre Hip-Hop-Kultur. Yecca ist die Newcomerin, die mit ihrem Debüt »KIDS« zeigt, dass man mehr als nur ein Genre rocken kann. Und Calman? Der vollendet mit »Mensch aus Fleisch« seine Album-Trilogie und geht dabei auch schwierigen Themen wie Sehnsucht und Sterblichkeit nicht aus dem Weg.
Klar, das Wetter war nice, aber die Releases, die diesen Monat gedroppt sind, stehen dem in nichts nach. Also, Kopfhörer auf und checkt mit uns die Alben, die den August so besonders gemacht haben.
Samy Deluxe – Hochkultur 2
„Wer hätt gedacht, dass ‘ne Subkultur, die im Ghetto entsteht / Irgendwann so viele Menschen bewegt auf dem kompletten Planet?“ (»Martinshorn«) Nur wenige könnten hierzulande wohl besser nachzeichnen, was für einen großen Stempel Hip-Hop unserer Kultur aufgedrückt hat als Samy Deluxe. Sein nunmehr neuntes Solo-Album »Hochkultur 2« erscheint nicht nur am 50. Geburtstag des Genres, er widmet ihm auf dem Opener »Martinshorn« auch eine Ode, die den beträchtlichen Weg der einstigen Sub-Kultur nachzeichnet.
Das nachfolgende »Roter Velour« schlägt mit seinen Vocal Chops und den Scratches von DJ Desue in eine ähnliche Kerbe. Genau dieser Sound, auf dem sich der Altmeister offensichtlich ganz in seinem Element fühlt, sollte bei so ziemlich allen, die nicht erst seit gestern Rap hören, jede Menge Nostalgie aufkeimen lassen. Überhaupt bietet »Hochkultur 2« gerade am Anfang mit seinen Boombap-Beats unter anderem von Morlockko Plus und dem ASD-Throwback-Track jede Menge Möglichkeiten, um in Erinnerung zu schwelgen.
Samy ruht sich aber nicht auf den Lorbeeren und Sounds vergangener Tage aus. Mit »Vendetta« beginnt eine lange introspektive Reise in die letzten Jahre und die Probleme, die der Erfolgsdruck und auch die Pandemie mit sich gebracht haben. Im Interview mit Curse berichtet er, lange Zeit gar keine Lust mehr darauf gehabt zu haben, Musik zu machen. Über die Laufzeit von seinem neuen Album schafft Samy es nachvollziehbar darzustellen, wie er aus diesem Loch auch herausgefunden hat:
Zum Glück lernte ich schon früh, immer alles zu riskieren Meinungen von den andern ignorieren, Antwort liegt in dir
»Waxfigur«
Wurd’ ein Leader durch die Lieder, schau, zu was das führt Wachsfigür in Haute Couture
Überhaupt merkt man die Schaffensprobleme dem finalen Album nicht an. Tracks wie »Yves Klein« und »Brainwash« liefern als Gegenpol zum old-schooligen Sound des Einstiegs eine breite Palette. Zudem steuert Bazzazian einige Beats bei und macht das stimmige »MikroDose« mit einem flächigen Instrumental zu einem echten Highlight der Platte.
Insgesamt lassen sich überhaupt einige Höhepunkte auf der knappen Stunde Laufzeit finden. Denn in welchen Gefilden Samy gerade auch fischt, ist er doch immer versiert bei der Sache. Möglicherweise hätte sich die Tracklist an manchen Stellen etwas kürzen können, um uns abgedroschene Zeilen wie „Selbst Veganer wollen Beef, schmeißen Steaks auf den Grill“ zu ersparen, aber in Anbetracht von Samys neugefundener Leidenschaft sind solche Momente durchaus zu verschmerzen. Überhaupt möchte »Hochkultur 2« trotz aller Hingabe für die Kultur nie zu verkopft daher kommen, denn: „Nehmt das alles nicht so ernst, das ist nur Entertainment“ (»ASD Track«). Und entertainen kann Samy Deluxe 2023 zweifellos noch immer.
– Roman Zingel
Yecca – KIDS
Deutscher Hip-Hop ist (gottseidank) mittlerweile aufgebrochener denn je. Techno-, EDM-, Trap-, Boombap- oder Popeinflüsse wo man nur hinschaut machen das ganze Genre wie man’s dreht und wendet einfach ergiebiger und vor allem spannender. Mittendrin in dieser sich seit Jahren weiter öffnenden Spielwiese befindet sich mit Yecca eine Künstlerin, die gefühlt alle Einflüsse gleichzeitig vereinen möchte.
Aufeinander treffen sie alle auf ihrem nun frisch erschienen Debütalbum »KIDS«, das seit gut einem Jahr mit Singles angeteasert wird und nun endlich in voller Länge erschienen ist. Schon die titelgebende Erstauskopplung untermalt nicht nur ihre melodie- und genrefreudige Art Musik zu machen, sondern auch ihren inhaltlichen Ansatz. Im Vordergrund steht ganz klar das Einfangen dieses ganz bestimmten Vibes, den man nur genau dann hat, wenn kurzzeitig alles ausgeblendet wird und wirklich einzig und allein der Moment zählt.
Cups sind kalt, Lächeln spiegeln sich im Eis
Yecca auf KIDS
Alle Sorgen bleiben weg, solang das bleibt
Dieses Eintauchen in unbeschwerte Momente zieht sich nahtlos durch die 14 Track ihres Debüts. Die 24-Jährige singt und rappt von warmen Sommerabenden mit der Clique, von kühlen Getränken und von tiefgehenden Begegnungen – aber auch von den Heartbreaks zwischendrin, die daraus resultieren (können). Momente, mit denen wohl jede*r Mittzwanziger bestens relaten kann und deshalb auch gut als musikalische Untermalung für genau solche Zeiten dienen können.
Und auch wenn sich viel um diesen hedonistischen Lebensstil dreht bleibt Yeccas Debüt alleine durch die vielen musiklaischen Einschläge stets kurzweilig und interessant. »Denkmal« (feat. Alex Lys) bedient sich bspw. am Wir Sind Helden-Lied und holt den Kultsong inkl. sanfter Synths und geflippter Aussage in die 20er Jahre. Das Whitey en Vogue-gefeaturete »Wenn ich könnte« dreht dagegen – vielleicht auch dem Feature geschuldet – schon ein bisschen mehr an der BPM-Zahl und stellt die Affinität für technoide Instrumentals eindrucksvoll unter Beweis. »I LIKE« schlägt mit seinem von Maxe (seines Zeichens Dante YN-Hausproduzent) produzierten Instrumental in eine ähnliche Kerbe, steuert aber textlich deutlich mehr in Richtung unaufdringlicher Lovesong.
Highlight des Albums bleibt aber definitiv »Was hast du davon«, auf dem Yecca neben ihrer diverser Musikausrichtung vor allem ihr riesiges Stimmtalent am Mikrofon zeigt. Ihr Gespür für eingänge Melodien kommt nie so stark hervor wie auf diesem Track. Mit seiner recht poppigen Ausrichtung und der Darbietung ihrer Stimme könnte vielleicht spätestens dieser Track als Bewerbung für größere Musiker*innen dienen, die ein wenig mehr Musikalität in ihren Songs benötigen.
– Matthi Hilge
Calman – Mensch aus Fleisch
Calmans Album ist ein schweres Stück Lyrik mit viel Tiefgang, knisternden Beats und Distortions, mit zarten Hoffnungsschimmern unter einer großen Wolke aus Melancholie. Es ist die ewige Suche nach dem Sinn für einen »Mensch aus Fleisch«.
Auf seinen Produktionen fühlt sich der Rapper wohl. Flows und Beats, Stimme und Samples schmiegen sich aneinander, wissen ihr Tempo aufeinander abzustimmen und kennen ihre jeweiligen Stärken. So erscheint das Album von vorne bis hinten in sich geschlossen. Jede Zeile ist ein Baustein des großen Ganzen und kein Song entflieht dem roten Faden.
Die Singles »Rüstung« und »Was wir wollen« (feat. DISSY) stechen hervor. Aber auch jeder Einsatz der wiederkehrenden weiblichen Gesangsstimme, die – vor allem auf dem erdrückenden »Frühstück« – Calmans Düsterheit zauberhaft kontrastiert, ist ein Highlight.
Antworten kann Calman auf seine großen Fragen nur selten finden. Vielleicht fällt es gerade deswegen so leicht, mit diesem »Mensch aus Fleisch« zu sympathisieren, der kein Geld hat, sich in Tagträumen, Ängsten und Sehnsüchten verliert und immer wieder neue Kraft sammeln muss, um seiner Lebensrealität zu begegnen. Gefangen in seinen Bedürfnissen, Prinzipien und Widersprüchen kann Calman nur auf eines vertrauen, den unaufhaltsamen Lauf der Dinge zwischen lieben und sterben.
»Mensch aus Fleisch« ist ein Kontrastprogramm zum Hamsterrad aus Social Media Hypes und Algorithmusoptimierung. Es ist traurig und nüchtern, aber trotzdem schön und gewaltig. Man sollte es gehört haben.
– Magnus Menzer