Wo ist der Rap? – Kevin Abstract veröffentlicht Indie-Rock Album »Blanket«

Am 3.11.2023 erschien Kevin Abstracts 4. Soloprojekt »Blanket«. Mit dem Longplayer öffnet der Musiker seinen musikalischen Kosmos hin zu Indie-Rock und dreht Rap und Hip-Hop mit einem Schulterblick den Rücken zu. Ein nahezu gänzliches Genre-Commitment, auf dem er seine Rock-Qualitäten unter Beweis und seine Rap-Karriere erst mal in den Hintergrund stellt. »Blanket« wirft eine Decke über alles, was Kevin Abstract bisher gemacht hat und erfindet sich neu ohne sich selbst zu verraten.

Am 17.11.2022 besiegelte das Album »The Family« die Trennung des Musiker-Kollektivs Brockhampton (zum Mostdope-Artikel). Wo eigentlich die Musik einer ganzen Band zu hören sein sollte, hörte man nur einen: Kevin Abstract. In 17 Songs thematisierte er die Trennung der Gruppe und versuchte sie so zu verarbeiten. Ein harter Schnitt nach ca. sieben Jahren Bandgeschichte.

Nun, knapp ein Jahr später, ersteigt er mit »Blanket« aus der Asche.

Was sich auf »The Family« bereits durch »Any Way You Want Me« oder »My American Life« angedeutet hatte, ist die musikalische Richtung. Roher Indie-Rock mit gepitchten Stimmen, verzerrten Gitarren, flüsternden Flows und sanften Tunes. Ein Gemischtwarenladen mit dem Topic des Rocks, auf dem sowohl der schrille, laute Song »Blanket« (hier im Mostdope Spotlight) als auch der sanfte, kuschelige »What Should I Do?« ihren Platz finden.

Indie-Rock mit Rap-Effekt

I wanted to make, like, a Sunny Day Real Estate, Nirvana, Modest Mouse type of record […] but I wanted it to hit like a rap album.

Kevin Abstract über Album »Blanket«

Was soll man sagen, genau so hört es sich auch an. Besonders »Today I Gave Up« erinnert an Nirvana, nicht nur des Titels wegen. Dazu kommt eine Prise Blink182, die man auf »Running Out« vernimmt und wer sich noch an Metro Station erinnert, catcht auch diese Vibes.

Zwar stehen nun Gitarren und Gesang im Vordergrund, doch im Kern bleibt Kevin Abstract Rap. Wie man das merkt? Hört man beispielsweise die geflüsterten Strophen auf »When The Rope Post 2 Break«, merkt man, dass der Flow eindeutig durch Rap inspiriert ist, auch wenn alles drum herum nicht danach schreit. Ebenso auf »Madonna«: Beat und Stimme spielen so zusammen, dass es an einen entspannten Strand-Rap-Song erinnert. Dass er dazu noch ein gemumbeltes, vernuscheltes „She thinks she Madonna“ singt, unterstreicht die Hip-Hop-Ästhetik. Die Drums auf »Scream« oder alle Passagen, in denen seine Stimme gepitcht ist, sind weitere Indizien.

Der Musiker zeichnet sich ohnehin als ein experimentierfreudiger aus und hat auch deshalb scheinbar wenig Mühe, verschiedene Musikrichtungen zu kreuzen. Ob er sich nun am vorherrschenden Zeitgeist des Rock-Revivals bedient, es aus einem inneren Antrieb macht – oder beides, sei mal dahingestellt. Er schafft es jedenfalls die Genres so zu mixen, dass der Vibe beider aufkommt auch wenn es vorrangig Rock ist.

Vergleicht man beispielsweise »Blanket« mit den Alben der Rap-Kollegen slowthai oder Lil Yachty, die sich ebenfalls dieses Jahr dieser Idee des Crossovers bedient haben, balanciert Kevin Abstract am gekonntesten. Lil Yachtys Album »Let’s Start Here.« tendiert mehr zu Rock und slowthais Album »UGLY« (hier im Soundcheck) dann doch eher in Richtung Rap. Und ja, Musik ist kein Wettkampf. Jedes der Projekte ist ein Unikat und Geschmack liegt im Auge der Betrachter*innen. Doch am Ende des Tages ist der Anspruch ein Rock-Album mit Rap auszubalancieren ein Qualitätsmerkmal.

Kindheit meets Horror

Neben der Musik ist auch die Optik und Thematik auffällig. Wer sich in der Promo-Phase des Albums hat teasen lassen, hat auch die Kuscheltier-ähnlichen Maskottchen gesehen. Der Look eher untypisch, groß und beeindruckend aber doch flauschig und freundlich. Sie sind immer an der Seite eines Jungen in rotem T-Shirt, der wohl Kevin als Kind zu sein scheint. Zusammen zeichnen sie die Kindheit des Künstlers in kurzen Videos nach. Videospielen auf dem Röhrenfernseher, einer Wasserrutsche und Wassereis werden mit einer Horror-Figur, Jump-Scares und anderen Kindheitsängsten gekontert. Dazu spielen Song-Snippets vom Album.

Aus unschuldigen Zeiten erwächst der Horror des Erwachsenwerdens und lässt vermuten, dass Kevin Abstract viel zu früh in die Abgründe der Menschheit blicken musste, welche hier metaphorisch dargestellt werden.

Die Thematik prägt das Album

Das Nostalgie-Horror-Gefühl der Videos passt zum Sound – und zum Text. Er singt, spricht und flüstert über Dinge, die inhaltlich an seine Kindheit angelehnt sind und maßgeblich den Look und die Problematik des Albums prägen. Am deutlichsten zeigt sich dies im eröffnenden Track »When The Rope Post 2 Break«:

Something scary’s/
Sneaking above us/
Just trust me/
You don’t gotta look/
Grab the blanket/
Pull it over/
No need to risk it/
Let’s just stay put

Kevin Abstract »When The Rope Post 2 Break«

»Blanket« steht für Schutz, »Blanket« steht für Kindheit, »Blanket« steht für Angst. Er greift auf, was er erlebt hat. Mal spricht er direkt über die Vergangenheit, mal münzt er es um auf die Gegenwart. Er bezieht sich auf Vergangenes und merkt, wie es ihn verändert hat.

Memory, memory/
There’s new yous and new mes

Kevin Abstract »Blanket«

Kevin Abstract ownt mit »Blanket« die Ängste seiner Vergangenheit. Die personifizierte Angst mit der Horror-Maske aus den Videos wird entmachtet.

Er setzt (mutmaßlich) sich selbst die Maske auf, schminkt sie, kämmt die Perücke, schießt ein Foto von sich und macht es zum Cover des Albums.

Fazit
Kevin Abstract ist einfach Kevin Abstract. Bei ihm kann man immer mit etwas Neuem und Aufregendem rechnen, genauso wie mit Qualitativ hochwertiger und einfach guter Musik. Das Kindheit/Horror-Konzept spiegelt sich in allen dazugehörigen Facetten des Projekts wieder und hinterlässt Hörende mit Gefühlen der Nostalgie, Unruhe und Wohlbehagen. Ein Album zum rauf und runter hören. Eine unbedingte Empfehlung an Freunde des Indie-Rocks - und natürlich auch des Raps.
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