„He was a great musician and a great writer. Just always had a smile on his face, and that’s something that I commend“, sagte Kendrick Lamar einst im September 2018 kurz nach dem tragischen Tod von Mac Miller. Was damals schon offensichtlich war, wurde spätestens mit der Veröffentlichung seines Albums »Circles« unumstößlich: Mac Miller gehört zu den größten Rappern der 2010er Jahre. Was 2020 noch als Katharsis seines künstlerischen Schaffens und Abschluss seiner Karriere gelten sollte, bekommt jetzt eine neue Wendung. Zwei Tage vor Mac Millers 33. Geburtstag veröffentlicht das Team um seine Familie das lange als verschollen geglaubte Album »Balloonerism« und komplementiert damit das Puzzle seiner Diskografie mit einem bis dato fehlenden Stück.
Wenn man mit Mac Miller Fans spricht, ist den meisten das Album schon lange ein Begriff, denn inoffizielle Versionen irren bereits seit Jahren durchs Netz. Aufgenommen wurde »Balloonerism« 2014 und reiht sich somit zwischen den Projekten »Watching Movies With the Sound Off« und »Faces« ein. Im März 2023 bestätigte Madlib, dass er an einem bisher unveröffentlichten Projekt von Mac Miller arbeitete. Welches genau er damit meint, war zu dem Zeitpunkt noch nicht klar. Aufklärung gab es letztendlich knapp eineinhalb Jahre später, während des »Camp Flog Gnaw« Festivals, wo ein kleiner Teaser Trailer zwischen den Sets von Sampha und The Alchemist & Friends die Veröffentlichung des Albums bestätigte. Zudem wurde angekündigt, dass das Album von einem Kurzfilm unter der Regie von Samuel Mason begleitet wird. Seine Familie schrieb kurz darauf über Instagram:
Wir glauben, dass das Projekt sowohl die Breite seines musikalischen Talents als auch seine Furchtlosigkeit als Künstler zeigt. In Anbetracht der Tatsache, dass inoffizielle Versionen des Albums seit Jahren im Internet kursieren und dass die Veröffentlichung von Balloonerism etwas war, das Malcolm häufig als wichtig für ihn bezeichnete, hielten wir es für angemessen, der Welt eine offizielle Version des Projekts zu präsentieren.
Die Kunst der Weiterentwicklung
Als Künstler, dessen Musik von stetiger Weiterentwicklung geprägt war, zeichnete sich Mac Millers Sound bis etwa 2013 durch eine Coming-of-Age-Ära aus. Er war experimentierfreudig, lieferte gerne humorvolle Lines und zeigte seine jugendliche Seite. Das Jahr 2014 war eine der prägendsten Phasen in Mac Millers Karriere. Zum einen befand er sich mental in einer dunklen Zeit, zum anderen vollzog er einen bedeutenden Wandel. Er verließ das Pittsburgher Indie-Label Rostrum Records, bei denen er unter anderem das Mixtape »K.I.D.S.« und sein Debütalbum »Blue Slide Park« veröffentlichte, und wechselte mit Warner zu einem Major. In den darauffolgenden Jahren schlug er einen reiferen Weg ein. Seine Alben wurden konzeptioneller, die Songs wirkten durchdachter und erzählten zusammenhängende Geschichten. Mac setzte sich häufiger mit Themen wie Selbstreflexion, Liebe oder auch Vergänglichkeit auseinander. »Balloonerism« steht genau für diesen Übergang. Das Album spiegelt diese Phase der Entwicklung von Mac Miller wider – nicht nur zeitlich, sondern auch musikalisch.
Die vorab erschienene Single »5 Dollar Pony Rides« legt den Grundstein für das Album. Über ein verspieltes Jazz-Instrumental reflektiert Mac mit einer Mischung aus Sehnsucht und Frustration über eine komplexe Beziehung und die Hin- und Hergerissenheit zwischen sofortiger Aufmerksamkeit und einer tieferen emotionalen Bindung. Besonders hervorzuheben sind vor allem Thundercat am Bass (der beinahe auf jedem Song auf dem Album vertreten ist), Kintaro am Keyboard und die Percussions von Ronald Bruner Junior.
„Die erste Person, die an mich glaubte“
Der Name, der beim Blick auf die Tracklist sofort ins Auge sticht, ist SZA. Die 35-Jährige, die kürzlich mit der Veröffentlichung ihres Albums »LANA« sowie der Ankündigung einer gemeinsamen Tour mit Kendrick Lamar für Aufsehen sorgte, liefert ein echtes Highlight. Der Track »DJ’s Chord Organ« ist ein experimenteller und psychedelischer Trip, produziert von Mac Miller selbst und untermalt durch SZAs wunderschönen Gesang und bittersüßen Lyrics über Einsamkeit und Sehnsucht.
You’ve been up for three days with one nap
»DJ’s Chord Organ«
I know you miss the nighttime
I know you miss your lifetime
Tell me the truth about it
Der Song markiert die erste offizielle Zusammenarbeit der beiden Künstler und das obwohl sie bereits seit den Anfängen ihrer Karrieren immer wieder kooperiert haben. Mac Miller produzierte beispielsweise unter einem seiner vielen Alter Egos Larry Fisherman den Song »UR« auf SZAs 2014 erschienener EP »Z«. SZA trägt außerdem zum Chorus von »Friendly Hallucinations« bei und ist damit gleich zweimal auf dem Album vertreten. 2018 schrieb sie über ihn in einem Post:
Du warst die erste Person, die ich hier kennengelernt habe. Du hast mich jeden Tag zu dir kommen lassen und mir den Raum gegeben, so zu sein, wie ich wollte. Du warst für mich da auf eine Weise, die ich niemals in Worte fassen oder zurückzahlen kann. Meine Dankbarkeit dafür ist grenzenlos. Du warst die erste Person, die an mich geglaubt hat und mit mir etwas erschaffen hat.
Einblick in dunkle Gedanken
Emotional wird es auch auf dem Track »Funny Papers«, der ein absoluter Höhepunkt des Albums ist. Mac verbindet dabei positive und negative Aspekte von Zeitungsinhalten mit seinen eigenen Gefühlen. Der Song erzeugt mit seinem Text schon fast eine „beatlesque“ Stimmung und erinnert an den 1967 erschienenen Song »A Day in the Life«. Der Titel „Funny Papers“ wirkt dabei leicht paradox: Zum einen steht er für den humorvollen Teil der Zeitung, zum anderen spricht Mac Miller im Song über ernste und deprimierende Themen, begleitet von einem wunderschönen Klavier. Besonders eindringlich ist die Zeile: „Didn’t think anybody died on a Friday“ – eine Aussage, die besonders unter die Haut geht, wenn man bedenkt, dass Mac Miller selbst Jahre später an einem Freitag verstarb. Der Song endet mit den Worten „Why does it all matter?“ und hinterfragt damit die Vergänglichkeit des Lebens.
Die Songs »Do You Have a Destination« und »Stoned« greifen ähnliche Themen auf. Mac Millers düstere Gedanken und Texte über Drogenkonsum ziehen sich beinahe durch das gesamte Album. Zeilen wie „Need to let the drugs go. Tryna find Heaven, I get high but never come close“ auf »Do You Have a Destination« sind dabei nur eines von mehreren Beispielen.
Der Song »Shangri-La« ist ein ruhiger und atmosphärischer Track, der wie der Titel verrät, die Vorstellung eines paradiesischen Ortes aufgreift. Der Begriff „Shangri-La“ stammt ursprünglich aus dem Roman »Lost Horizon« von James Hilton, in dem er einen idyllische und abgeschiedenen Rückzugsort in Tibet beschreibt. Gleichzeitig bezieht sich der Titel auch auf Rick Rubins Musikstudio in Malibu, in dem Mac im Sommer 2014 viel Zeit verbrachte. Der spätere Song »Rick’s Piano« ist eine Hommage an diese Zeit.
Trotz der überwiegend positiv klingenden Instrumentals enthält das Album viele melancholische und bedrückende Stücke, die dabei vor allem in abstrakte Sphären ausschweifen und eine Seite des Pittsburghers zeigen, die man so nicht immer von ihm gewohnt ist. Für Fans seiner Mixtapes »Faces« oder »Delusional Thomas« dürften jedoch viele Parallelen erkennbar sein, da dort ähnliche Themen und Sounds aufgegriffen werden.
If I die young, promise to smile at my funeral
»Shangri-La«
Yeah, it’s just a rule to follow
If you’re lax, you can lose tomorrow
Ein Finale mit großer Wirkung
Neben dem bereits angesprochenen SZA-Feature gibt es auf dem Album einen weiteren besonderen Moment: Auf dem Track »Transformations« tritt Mac Millers als sein eben angesprochenes Alter Ego Delusional Thomas in Erscheinung. Der Track ist einer der experimentellsten des Albums und beeindruckt mit seiner psychedelischen Stimmung, die durch staubige Drums, das Zischen eines Feuerzeugs und das Klirren von Eiswürfeln in einem Becher eine düstere Atmosphäre erzeugt. Macs hohe und zum Teil verzerrte Stimme machen ihn zu einem der spannendsten Songs auf dem Album und zu einem Highlight in der Tracklist. Das Album endet mit dem Track »Tomorrow Will Never Know«. Ein Song, der das Album nicht besser hätte zusammenfassen können. Ein 12-minütiges, wunderschönes, düsteres und psychedelisches Epos über das Streben nach innerer Erleuchtung, das den Hörer bis zur letzten Sekunde in den Bann zieht.
Zum Abschluss sollte dennoch die Frage aufgeworfen werden, inwieweit sich ein posthumes Release wie dieses überhaupt genießen lässt. Auf dem Album finden sich, wie auf »Rick’s Piano« oder auf »Manakins«, direkte Bezüge zu Mac Millers Tod. Er spricht offen über das Thema, was dem gesamten Hörerlebnis eine ernüchternde Stimmung verleiht. Gerüchten zufolge empfand Mac »Balloonerism« damals als zu deprimierend und widmete sich stattdessen der Arbeit an »Faces«, welches er schließlich selber fertigstellte und der Veröffentlichung vorzog. Zwar wird aus dem Umfeld von Mac Miller immer wieder betont, wie wichtig ihm dieses Album gewesen sei, doch es bleibt unklar, welche Songs er tatsächlich für die Öffentlichkeit vorgesehen hatte. Thundercat schrieb 2020 in einem Tweet: „Nicht alles ist dafür gedacht, einfach so veröffentlicht zu werden. Mac und ich haben an vielen verschiedenen Dingen gearbeitet. Er hat das getan, was er für richtig hielt.“
Das sind natürlich alles nur Spekulationen und man muss dazu erwähnen, dass Mac Millers Familie bis jetzt hervorragende Arbeit geleistet hat, sein Vermächtnis und seine Privatsphäre nach seinem Tod zu wahren. Sie haben ausschließlich Projekte veröffentlicht, von denen sie sicher waren, dass Mac sie auch für eine Veröffentlichung vorgesehen hatte – was offenbar auch bei diesem Album der Fall ist.