Soundcheck: Little Simz - No Thank You
Cover via Forever Living Originals

Little Simz bekommt endlich die Liebe, die sie verdient

Letzte Woche stand ganz unter dem Stern der UK Rapperin und Multitalent Little Simz. Zum einen erschien am Montag ohne große Ankündigung ihr neues Album »NO THANK YOU«, zum anderen konnte ich Little Simz nach langem Warten endlich wieder live im Übel & Gefährlich anlässlich ihrer »Sometimes I Might Be Introvert« Tour erleben.

Foto via Karolina Wielocha

Little Simz möchte zurecht nicht nur als weibliche Rapperin bezeichnet werden. Für sie ist female rapper ein Label welches sie als Artist zu sehr einschränkt. Sie ist eben auch viel mehr als das. Eine wahre Künstlerin, die ihrer Berufung bereits seit ihrem neunten Lebensjahr nachgeht. Introvertiert, stark, förmlich aus jeder Pore strömt Talent und dazu arbeitet sie härter als die meisten anderen. Auch der Pfad als unabhängige Künstlerin ist kein leichter. Dieses Jahr musste sie ihre Nordamerika Tour absagen, weil es finanziell einfach nahezu möglich ist, mit Live Band außerhalb Europas zu touren, ohne aus eigener Tasche drauf zu bezahlen. Ein harter Preis für kompromisslose Kunst. Aber alle die kürzlich bei einem ihrer Konzerte waren wissen, dass es das wert ist. Es ist ein langer und mühsamer Weg, aber dafür einer, der beweist das sie ein Rückgrat aus Stahl hat und eine Stimme die nicht klein zu kriegen ist. In Hamburg spielte sie letzte Woche im Club Übel & Gefährlich. Eine Location, die so besonders ist, wie die Künstlerin selber.

Das Konzert sollte eigentlich schon im Januar stattfinden und wurde dann aufgrund der damals noch strengeren Pandemie Einschränkungen verlegt. Die Karten hatte ich also fast genau ein Jahr vor Konzert Beginn gekauft. Der Abend war aus vielen Gründen ganz besonders. Little Simz hat ihre Hamburg Konzerte bis jetzt immer im Übel & Gefährlich gehabt, also quasi Heimspiel in Hamburg. Bei ihrem Konzert 2018 während der The Poison Ivy-Tour musste noch die Hälfte der Location mit Trennvorhängen abgehängt werden und selbst dann war der Saal noch nicht ausverkauft. Simz und ihre Band hatten sich damals nicht davon aufhalten lassen und dennoch eine auf gut deutsch sehr geile Show abgeliefert. Little Simz hatte schon damals eine unglaubliche Bühnenpräsenz, die einen einfach in den Bann zieht und komplett in ihre Musik abtauchen lässt. Fast viereinhalb Jahre später war die Hallentrennung nicht mehr nötig und die Location war komplett ausverkauft. Etwas das sie und ihr DJ direkt mit großen strahlenden Augen zu Beginn des Konzerts verkündeten. Auch daran merkt, man wieviel sich bei Little Simz in den letzten Jahren getan hat: drei Alben-, zwei Mobo Awards- und eine Hauptrolle in der britischen Drama Serie Top Boy später und Simz ist keine unbekannte Underground Rapperin mehr. 

Little Simz hat endlich die Liebe bekommen, die sie schon lange verdient hat. Das Hamburger Publikum zwar zu Beginn bei der PreShow ihres DJs und Maestros ODC noch etwas steif und eingefroren – kurz kam mir schon die Angst hoch, dass es eines der Konzerte wird, bei denen man sich für die Energie der eigenen Stadt schämt – doch als Simz dann aber die Bühne betrat, wurde der Schalter umgelegt und das Publikum schaltete spürbar ein paar Gänge höher. Endlich kam in dem Club auf dem Heiligengeistfeld Fahrt auf. Ich kann ehrlich sagen, dass ich noch auf keinem Konzert in Hamburg oder Berlin war bei dem das Publikum dem Artist so viel Energie, aber auch Empathie entgegen gebracht hat. Little Simz hat absolut abgeräumt und auch gezeigt wie sie sich als Live Künstlerin entwickelt hat. Obwohl sie diesmal ohne Band, dafür aber mit DJ unterwegs war – auch das sicherlich eine notwendige finanzielle Entscheidung – hat das der Show nicht geschadet. Es war für mich ungelogen das beste Konzert des Jahres, da kann selbst Kendrick Lamar einstecken.

Nach jedem Song gab es minutenlanges Gekreische und Applaus aus dem Publikum welches Little Simz auch als alten Bühnenhasen sichtlich gerührt hat. Während »Point and Kill« und »Fear No Man« hat der Ausdruckstanz des Publikums neue Höhen erreicht. Neben einem neuen experimentellen Techno Song, den sie ein paar Tage zuvor in Berlin aufgenommen hatte, wurde das Konzert dann tatsächlich mit »Venom« beendet und das Publikum ist eskaliert. Unglaublich toll. Als der Club nach dem Konzert als Aufräum-Musik dann »Gorilla« von ihrem neuen Album gespielt hat, kamen Little Simz und ODC spontan doch nochmal für eine kleine Dance Session auf die Bühne.

Songs von ihrem neuen Album hat sie nicht gespielt, aber aus einem guten Grund: die bekommen wir dann auf der nächsten Tour zu hören.

Nun aber zum neuen Album »NO THANK YOU«. Ohne große Ankündigung veröffentlichte Little Simz letzten Montag ihr neues Album. Ihre Begründung: große Worte sind nicht ihr Ding sie spricht lieber direkt durch ihre Musik und genau das hört man auch. Der Intro Track »Angel« gibt den Ton des ganzen Albums an. Man kann deutlich den Einfluss des Super Producer Teams Sault hören. Einerseits durch die Produktion von Inflo, dem UK Producer Genie und Kindheitsfreund von Little Simz, der auch schon hinter »Sometimes I Might Be Introvert« und »Grey Area« steckte. Aber auch UK Sängerin Cleo Sol welche auf »Angel« im Refrain zu hören ist. Das ganze Album hat einen deutlich anderen Ton als Introvert, was aber keine Kritik ist. Es ist vielleicht weniger episch und majestätisch als der Vorgänger, steht aber unter keinen Umständen in dessen Schatten –Im Gegenteil! Sie macht hier genau das, was sie am besten kann. Ehrliche Lyrics, Lebensweisheiten und eine unglaubliche Lässigkeit treffen hier auf Beats, die genauso besonders sind wie die Stimme von Little Simz selbst. »NO THANK YOU« steht für sich und muss sich nicht behaupten. »Angel« ist da nur eines von vielen Beispielen. Passend endet der Song mit dem Satz:

So, please don‘t take my kindness for a weakness/
‘Cause I got Angels.

Auf »Angels« folgt »Gorilla«, der wohl der größte kommerzielle Banger des Albums werden wird. Eingestimmt durch ein kurzes Orchester Snippet, das einen Hauch Hollywood in sich trägt, folgt ein grooviger Beat, den ich laienhaft als Kontrabass identifizieren würde. Leichtfüßig wie ein Boxer im Ring tänzelt Simz hier über den Beat. Ein Swagger, den sie zwei Lieder weiter auf »No Merci« nochmal übertrifft. Der Titel an sich ist schonmal ein sehr schönes Wortspiel: “Nein Danke” in Französisch aber klanglich eben auch wie “No Mercy” also “keine Gnade”. Genau darauf will sie mit diesem Song aber auch hinaus. Jede Menge angestaute Wut über Rassismus, Sexismus und Ungerechtigkeit die Little Simz im Laufe ihres Lebens erfahren und erlebt hat. Der Song startet mit einem schwungvollen Beat, verstärkt durch Streichinstrumente, welche sich dann ab der zweiten Minute langsam in ein etwas dunkleres Dröhnen wandeln. Genau zum passenden Zeitpunkt während Simz parallel über Machtverhältnisse in der Musikindustrie rappt. Nach der klaren Ansage der ersten drei Minuten kommt der Wandel. Die Musik lullt im Hintergrund, der Beat entspannt und Little Simz singt zart im Hintergrund Affirmationen: “You’re only human too, do yourself a favour. They do not deserve you, you can‘t be their saviour.” Worte die wir alle öfter hören müssten.

Die Wut steigert sich im nächsten Song »X« welcher quasi als direkte Ansage gegen das rassistische System fungiert. Insgesamt alles Themen die weder im Hip-Hop noch in Little Simz Diskographie fremd sind, umso trauriger, dass die Zeiten immer noch so ungerecht und hart sind, dass es wichtiger denn je ist öffentlich und oft darüber zu sprechen. Durch die anschwellende Orchester Musik und einem Chor welchen Little Simz durch ihre Verse leiten, bekommt man als Hörer*in direkt den Anreiz um Simz in ihrem Protest zu folgen. »X« ist ein Lied auf dem Simz mal wieder ihre Stärke für politischen Rap zur Schau stellt und damit einen starken Protest Song geschaffen hat.

Diese unbequemen Wahrheiten werden auch auf »Heart on Fire« angesprochen “Devil Works hard, but the business works harder” ist nur eine von vielen Zeilen die nach dem Hören im Kopf hängen bleiben. Ein Song, der sehr viel Schmerz in sich trägt. Der Refrain verleiht das Gefühl hier fehle eigentlich nur noch Michael Kiwanuka als i-Tüpfelchen. Dennoch spricht der Chor einem aus der Seele wenn von dem Stress gesungen wird der leider eben auch zum Leben der meisten dazu gehört. 

Foto via Karolina Wielocha

Das absolute Highlight des Albums ist der Song »Broken«. Ein Lied, das mich so tief beeindruckt hat, dass ich es eigentlich seit der Veröffentlichung von »NO THANK YOU« auf Dauerschleife höre. Little Simz trifft hier einen Nerv der bei vielen Fans und vor allem auch vielen weiblichen Fans ein Gefühl auslöst als wenn sie einem direkt in den Kopf geguckt- und alle negativen Gedanken in einen Song gepackt hat. Für alle, die gerade eine harte Zeit durchmachen, mal wieder an sich selbst Zweifeln, dieses Lied ist für euch – wortwörtlich Balsam für die Seele. Durch den Beat gewoben wiederholen sich immer wieder die Worte „Feel youre broken and you don’t exist. When you feel youre broken and you cannot fix it“ die mal lauter, mal leiser eingespielt werden. Dadurch entsteht eine schaurige emotionale Ebene, welche die Worte von Simz nur noch wirkungsvoller machen.

Little Simz ist eine extrem vielschichtige Künstlerin die sowohl eine Kämpferin mit unglaublichem Swagger ist, aber sich in ihren Songs auch immer wieder von einer sehr emotional offenen Seite zeigt. Songs wie »Sherbet Sunset«, »Little Q«, »I Love You, I Hate You« und jetzt eben auch »Broken« sind Lieder die mich immer am längsten beschäftigen. Es ist eben diese Offenheit und damit auch verletzliche Seite von Simz, die zu einer ihrer größten Stärken als Künstlerin geworden sind. Ich denke das ist auch ein Grund warum Simz von ihren Fans fast schon verehrt wird, weil ihre Lieder ihnen direkt aus der Seele sprechen.

Eigentlich verdient jedes Lied hier meiner Meinung nach eine eigene Beschreibung und Huldigung. Nach »Broken« wird der gesamte Ton hoffnungsvoller. »Sideways« ist der Song den wir ab sofort hören wenn wir uns mit zu vielen toxischen Menschen auseinandersetzen, die unsere Flamme halten wollen. »Who Even Cares« ist der Song den wir als Soundtrack für unser Leben nutzen sollten, besonders an langen und harten Arbeitstagen. Das letzte Lied und damit Outro des Albums ist »Control«, ein Song der das Album perfekt abrundet und unsere düsteren aber auch hoffnungsvollen Gedanken perfekt auf den Punkt bringt. 

Zusammenfassend macht Little Simz auf »NO THANK YOU« das, was sie am besten kann, sie stellt ihr ganzes lyrisches Talent unter Beweis und spricht dabei eine Wahrheit, die zwar manchmal unbequem ist und auch wehtuen kann, eben weil sie so genau zutrifft. Aber genau das macht uns ja nicht nur zu Fans sondern zu Anhänger*innen von Little Simz. Egal welche Herkunft, Geschlecht oder welche Schubladen uns auch immer einschränken wollen, Little Simz versteht uns. Sie teilt diesen Schmerz, den Kampf und auch die Lebensfreude mit uns. Es ist ein Album voller Frustration und Wut über die Ungerechtigkeiten. Ungerechtigkeiten die Simz als Schwarze Frau in der Musikindustrie spürt, aber auch im Leben an sich. Diese Gefühle sind alle nachvollziehbar und authentisch. Für uns Hörer*in werden sie zu einer Art Blaupause, in der wir unsere eigenen Emotionen und ähnliche Situationen schnell wiederfinden. Little Simz muss sich nicht mehr behaupten, sie ist endlich angekommen und kann auf Augenhöhe neben UK Größen wie Stormzy stehen. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Künstlerin. Ihr neustes Album »NO THANK YOU« ist besser als jede Therapie. Bevor ihr also in das nächste spirituelle Lebens-Coach Buch á la Eckert Tolle oder Stefanie Stahl investiert solltet, ihr lieber Little Simz hören.