BIBIZA in einem Taxi im Dunklen
via Marko Mestrovic

BIBIZA zieht weiter durch die Nacht »bis einer weint«

Vor etwa anderthalb Jahren lud Franz Bibiza zu einer wilden Nacht durch Wien ein. Der Mann aus dem 6. Bezirk, der bis dato vor allem von Rap beeinflusste Songs und Alben veröffentlichte, fand mit »Wiener Schickeria« einen einzigartigen Stil, der ihm sogar den Amadeus Award in der Kategorie “Best Sound” bescherte. Auch auf unser hauseigenen Bestenliste landete das Album daher weit oben. Auf »bis einer weint« knüpft BIBIZA genau dort an, wo sein Vorgänger endet. Ein riskantes Unterfangen, das auch den Protagonisten der neuen Platte bis an seine Grenzen treibt.

Ähnlich wie »Wiener Schickeria« beginnt das Album mit einem getragenen, etwas sperrigen Intro. »bis einer weint« läutet mit Gitarrenfanfaren und üppigen Drums ein weiteres mitreißendes Kapitel in BIBIZAs Diskographie ein. Als Titeltrack ist der Song auch sichtlich darum bemüht, das Konzept der kommenden Stunde einzuführen. Wer aber schon letztes Jahr zugehört hat, weiß genau, worum es geht: Exzesse, Höhenflüge, Abstürze und natürlich auch um Wien.

Seine Heimatstadt verlässt BIBIZA zunächst demonstrativ auf »aufnimmawiederschaun«, das ein erstes Highlight auf dem Album bildet. Siegessicher thront er auf einem untergehenden Schiff und schafft es, von der ersten Sekunde an zu fesseln. Die schamlose Attitüde, mit der das Unheil seinen Lauf nimmt, lässt für den weiteren Verlauf nur Gutes ahnen:

Hallihallo, Grüß Gott, du schönes tiefes Loch
Natürlich spring’ ich rein, oder, Baby, du kennst mich doch

»aufnimmawiederschaun«

Im Strudel der Nacht

»bis einer weint« erzeugt ab diesem Punkt wie schon die Schickeria eine sogähnliche Wirkung, die nur wenig Luft zum durchschnie-, äh, -schnaufen lässt. Die kurzen Songs, die ohne große Umschweife sofort reinstarten, halten das Tempo hoch und machen so viel Spaß, dass man BIBIZA auf »Nicht schon wieder!« entgegnen möchte: “Doch, bitte nochmal genau das!”

Auf »Discoschnupfen« bekommt BIBIZA zum einzigen Mal Unterstützung von einem Gast. Der Schauspieler Nicholas Ofczarek, der auf »Wiener Schickeria« bereits das Intro eingesprochen hat, tritt hier als Doktor auf, der BIBIZA zunächst noch den Spiegel vorhält, dann aber unentwegt ebenfalls in den Strudel des Protagonisten mitgerissen wird. Dieser zeigt sich wie immer kokett und mag seinen drohenden Verfall noch nicht wahrhaben. Dafür verpackt BIBIZA auch zugegebenermaßen ziemlich zweckhafte Reime wie “Pandemie” auf “Hatschi” noch viel zu charmant. Die erneute Rekrutierung von Ofczarek spricht dabei nicht nur für die Kontinuität in BIBIZAs Schaffen derzeit, sondern auch für die überragenden Videos, die ihn auch dieses Mal begleiten.

Das Album geht in dieser Phase nur noch nach vorne. Kein Wunder, dass es BIBIZA auf »check in / check out« in den Mile High Club hoch in die Lüfte trägt. Mit seinen aufwändigen Percussions und der funky Gitarre stellt der Track ein weiteres Highlight dar, das zudem wunderbar in »Luxusparese« übergeht. Hier zeigen sich zwei große Stärken von »bis einer weint«: Die Kontinuität und der Fluss des Albums spricht für einen stringenten Produktionsprozess, bei dem von vorne an alles gedacht wurde. Außerdem brilliert das Album immer wieder mit grandiosen Bridges vor der eigentlichen Hook. Hier packt BIBIZA einen Flow aus, der direkt aus der Feder vom ewigen Inspirationsquell Falco stammen könnte, um uns sein größtes Geheimnis zu offenbaren:

Ich hab ein halbes Gramm Kokain an meinem Arsch
Durch meine Attitude und Confidence wünscht mir jeder einen guten Start

»check in / check out«

Die Abrechnung

Dass die Hemmungslosigkeit, die BIBIZA bis dato an den Tag legt, nicht ohne Konsequenzen bleibt, ist wenig überraschend. Anders als auf bisherigen Songs wird »bis einer weint« Richtung Mitte seiner Laufzeit fast schon politisch. So prangert »Luxusparese« den Exzess der Wiener Schickeria offen an und zieht Parallelen zur Ignoranz der EU gegenüber der Lage an den Außengrenzen. Auf »Der Mann mit der Glatze« kommt es endgültig zum Zusammenbruch der Weltordnung, die ein Mann in Krawatte durch den Druck auf einen Kopf auslöst. Wer genau gemeint ist, bleibt offen, dabei bietet das aktuelle Weltgeschehen ohnehin genug Projektionsfläche für eine passende Figur.

Wenn BIBIZA auf »DIE RECHNUNG KOMMT« dann zur Kasse gebeten wird, geht es wie immer schnell. Die Parts sind kurz und wechseln sich in rasantem Tempo ab, das von den vielen Gitarrenriffs noch weiter getrieben wird. Überhaupt ist »bis einer weint« im zweiten Drittel sehr rockig, auch »Rauchen ist tödlich!« etwa kommt kratzig und nur minimal melodisch daher. Passend wird aber genau an dieser Stelle ein Cut gesetzt, der das Album zumindest musikalisch mit Ausnahme des Brechers »DONAU« langsam aber sicher ausklingen lässt.

Eine Ode an das Tanzen un die Frauen

Inmitten der Extase schlägt die vierte Videoauskopplung »Tanzen« ganz andere Töne an. Wie ein Chanson-Sänger tritt BIBIZA auf die Bühne und hinter die Protagonistin zurück, die nun im Zentrum des Geschehens steht. Auch wenn der Song ungewollt an Tracks von beispielsweise Max Giesinger erinnert, bringt er seine starke Message in Kopfstimme glasklar und mit noch genug Schmäh rüber:

Ich will ja nicht so tun, mir wurd es ja auch erklärt
Dank gilt meiner Mami und der Frau, die ich verehr’
Freizügiges Gewand heißt nicht: „Bitte mach mich an“, sondern
„Ich bin mit den Mädels heute aus und habe Fun“

»Tanzen«

Obwohl »Tanzen« insgesamt daher absolut gelungen ist, offenbart das Album in dieser Thematik seine vielleicht größte Schwäche. Eine weibliche Bezugsfigur taucht auch auf »hinfalln« und »Böses Spiel« als zentrale Rolle auf. Wo »Wiener Schickeria« BIBIZAs Angebeteter aber durch Songs wie »Marie« und »Akademie der bildenden Künste«, bleibt diese auf »bis einer weint« leider ziemlich blass.

Die Suche nach dem roten Faden

Auf den übrigen Songs, die allesamt gut produziert sind, fällt die vierte Wand. BIBIZA wendet sich viel persönlicher direkt an die Hörenden und bekennt “Leider leb’ ich wirklich so, wie ich es auf den Songs erzähle” auf »Böses Spiel«. Eine wirkliche Konsequenz lässt das letzte Drittel aber vermissen, zumal dies gar nicht nötig gewesen wäre. Die Reise des Protagonisten, die »bis einer weint« bis dato erzählt, ist so voller Höhe- und Tiefpunkte, dass sie genug Anhaltspunkte bietet, um genau diese Themen zu reflektieren.

So wirkt es daher leider etwas zu gewollt, wenn »Gute Nacht« zum Abschluss Zeilen aus dem Intro wieder aufgreift, um den Rahmen ganz explizit zu machen. Wo »Regen« auf dem letzten Album noch ein echtes Schmankerl bot, endet »bis einer weint« daher zwar konsequent, aber ohne neue Akzente zu setzen. 

BIBIZA mit zwei Füßen im Gesicht
via Marko Mestrovic

Das soll trotzdem nicht heißen, dass der Abschluss keine Lichtblicke bereithält. Das Pixies Cover von »Where Is My Mind?« auf »schwimmen« gelingt ziemlich gut und »Böses Spiel« ist eine makellose Indie-Nummer, die live bestimmt Spaß macht. Überhaupt liefern filous, Johannes Madl und Enzo Gaier, die am häufigsten in den Credits auftauchen, durchweg abwechslungsreiche Produktionen ab. »bis einer weint« ist noch einmal bandlastiger als sein Vorgänger geworden, was BIBIZA aber gut zu Gesicht steht. Trotzdem sorgt das Album mit Passagen wie dem Rap-Part auf »nirgendwo dazwischen« oder »Salamander & Chamäleons«, das den Rock ‘n’ Roll nach Wien holt, immer wieder für Überraschungen.

Kontinuität und Wandel

Am Ende von »bis einer weint« bleibt unweigerlich die Frage, ob das Album an seinen großartigen Vorgänger herankommt. Mit Protagonisten im Video wie dem Taxifahrer, der Covergestaltung und den Themen gibt es viele Parallelen zwischen beiden Releases. Ein weiterer Punkt ist, dass beide Alben für sich genommen sehr rund sind. »bis einer weint« ist unterhaltsam, hält einige Hits bereit und ist trotz seiner stolzen Laufzeit von knapp einer Stunde ziemlich kurzweilig. Wäre es anstelle von »Wiener Schickeria« erschienen, hätte es letztes Jahr vermutlich ähnlich eingeschlagen wie sein Vorgänger. Dieses Mal geht das Konzept daher noch immer auf, aber ein drittes Album in derselben Kerbe bräuchte vermutlich eine andere Verpackung. Bis dahin können wir uns aber zum Glück mit mittlerweile einigen gelungenen Songs über Wasser halten, bis uns die »DONAU« von dannen reißt. 

Fazit
»bis einer weint« ist ein facettenreiches, unterhaltsames Album, das an vielen Stellen an seinen Vorgänger anknüpft. Gerade gegen Ende flacht das Tempo jedoch ab und die Platte wirkt etwas bemüht um einen konzeptuellen Ausgang, den es in der Form nicht gebraucht hätte.
7