Es ist wieder Zeit für den Mostdope-Jahresrückblick. Jeden Adventssonntag blicken wir auf das Jahr 2023 zurück und stellen euch unsere Bestenlisten in verschiedenen Kategorien vor. Welche Künstler*innen haben das zurückliegende Jahr mit ihren Songs, EPs oder Alben am meisten geprägt für uns?
Einen Tag vor dem 4. Advent stellen wir euch hier unsere Top 10 der deutschsprachigen Alben vor. Welche Tracks aus diesem Jahr hat die Redaktion am meisten gefeiert?
Honorable Mentions
Bevor die vordersten zehn Plätze kommen, gibt es hier noch einmal eine Auswahl an Tracks, die das Ranking nur ganz knapp verpasst haben. Unter den über 40 zur Auswahl stehenden Alben bei unserer Bestenliste haben es diese Projekte zwar nicht ganz nach oben geschafft, aber unser Jahr 2023 stark geprägt.
• Peter Fox – Love Songs
• Ansu – Soul über Ego
• Goldroger – Goldie
• Nina Chuba – Glas
• Casper – nur liebe, immer.
Platz 10: futurebae – Berlin Love Affair (VÖ: 03.11.2023)
Nach drei EP’s, dutzenden Singles und noch mehr Genreexperimenten seit 2020 gab es dieses Jahr nun endlich futurebae erstmalig in Albumlänge. Die Wahlberlinerin mit dem Faible für freie Liebe, Sekt und Ohrwurmhooks hat mit »Berlin Love Affair« dabei ein Debüt vorgelegt, das ihre vielen Soundausflüge vereint und in einen Rahmen steckt ohne dabei ansatzweise eingrenzend zu klingen. Viel mehr scheint sie sich auf einem Album so richtig austoben zu können – und das ist ja allgemein ganz ihr Ding, egal ob in den Berliner Clubs, in den Sommeraffären oder eben in Genres aller Art. Es folgt völlig unironisch Pop-Punk auf Hyperpop auf Electro und jeder dieser Ausflüge fühlt sich nicht eine Sekunde fehl am Platz an. Wie die titelgebende Stadt kennt das Album schier kein Limit.
Platz 9: Longus Mongus – Endlich Wieder Sommer (VÖ: 23.02.2023)
Ein Album, das »Endlich Wieder Sommer« heißt und im Februar veröffentlicht wurde? Das schreit ja förmlich nach Longus Mongus. Das Soloalbum des BHZ-Members ist aber weit mehr als der übliche Klamauk, der ihn immer so ein wenig umgibt. Auf »Endlich Wieder Sommer« wechselt die Stimmung des Öfteren ins Ernste, wenn der Berliner sich durch Liebeskummer und Schwermut hangelt. Doch an dieser Stelle kommt der Titel des Albums zum Tragen, denn auf kalte Zeiten folgen gerade bei einem Longus Mongus auch unter Garantie wieder die warmen. Und so schwingt bei jedem noch so kleinen Anflug von Selbstzweifel auch ganz schnell wieder die positive Ader mit, die Longus eben seit Beginn ausmacht.
Platz 8: Eli Preiss – b.a.d. (VÖ: 21.04.2023)
Auf ihrem zweiten Album erleben wir eine ganz andere Eli Preiss als noch 2022 auf ihrem bunt-quirligen Debüt »LVL UP«. Die Computerspiel-Metaphern weichen ebenso wie die blonden Haare, stattdessen treten nächtliche Erzählungen, rote Haare und deutlich düsterere Ästhetiken in den Vordergrund. »b.a.d.« ist nicht nur von außen betrachtet eine Weiterentwicklung der Wienerin, sondern macht auch inhaltlich große Schritte in Sachen Kohärenz. Durch das ganze Album zieht sich der rote (oder hier viel mehr blaue) Faden einer pulsienden Nacht, die Eli mit allen ihren Höhen und Tiefen durchlebt.
Das mündet in einem nochmals deutlich ausgereiften Album und zeigt: Es gibt auch nach ihrem Debüt noch weitere LVL UPs.
Platz 7: RAPK – Champions (VÖ: 24.11.2023)
Kurz vor Ende des Jahres haben RAPK mit ihrem zweiten Album »Champions« noch einmal ein kleines Highlight für 2023 vorgelegt. Nachdem das Debüt »Odyssee« aus dem vergangenen Jahr schon bewiesen hat, dass die Berliner mit ihrem französisch angehauchten New Wave-Sound auch auf Longplayern funktionieren, kommt nur ein Jahr später die nächste Bestätigung.
Und Tariq und Victor bestätigen nicht nur ihre Form aus dem letzten Jahr, sondern entwickeln ihre längst dem Untergrund entwachsene Rezeptur sogar noch ein Stück weiter. Gerade mit Blick auf den Abwechslungsreichtum ist auf »Champions« noch einmal ein Schritt nach vorne erkennbar. Ganz besonders deutlich wird das zur Mitte des Albums: Da ist das beinahe psychedelisch anmutende »Pharmacy«, auf das über das aufbauende »Cortez« nur wenige Zeit später das Souly-gefeaturete »Shutdown« mit seinem treibenden Bass folgt und damit die ganze Bandbreite der sich stetig steigernden 10997er abbildet. Schon jetzt steigt die Vorfreude auf das unweigerlich folgende dritte Album der beiden.
Platz 6: BRKN – Rahat EP (VÖ: 10.03.2023)
Auch wenn man 2023 vergeblich auf den Nachfolger von BRKNs letztem Album »Drama« gewartet hat, musikalisch wurde man trotzdem versorgt. Bereits recht früh im Jahr droppte der Berliner die sechs Tracks starke »Rahat«-EP, die rein durch die inhaltliche und musikalische Stärke problemlos in dieses Ranking schafft. »Rahat«, das bedeutet so viel wie “ruhig”, “gelassen” oder “entspannt” und kann als Grundstimmung, sowohl musikalisch als auch thematisch, gefasst werden. Auch wenn es wie bspw. auf »Sad in Mérida« gerne mal zumindest instrumental kurz knallen kann – BRKN scheint über die vergangenen Jahre viel mit sich selber ausgemacht zu haben und innere Ruhe als oberstes Ziel auserkoren haben.
Platz 5: Levin Liam – Levin Liam Leaks 23 (VÖ: 12.05.2023)
Was für ein Jahr hatte Levin Liam bitte? Gefühlt ploppte alle drei Wochen eine Benachrichtigung auf, dass er jetzt wieder irgendwo neu als Voract gebucht wurde und genauso hatte man den Eindruck, dass er jeden Freitag in irgendeiner Form etwas releaste: Features bei OG Keemo, Trettmann, Flavio oder Ansu reihten sich nahtlos an eigene Singles am laufenden Band. Viel produktiver als Levin ist im Deutschrap dieses Jahr wohl kaum eine*r gewesen.
Sein Tape »Levin Liam Leaks 23« macht den Anschein eines Abbilds dieser verrückten letzten Monate. Es demonstriert einen Levin, der musikalisch noch freier dreht und sich noch mehr ausprobiert als noch im letzten Jahr, als so langsam die ersten Stimmen seinen Aufstieg prophezeiten. Spätestens ’23 hat er wohl bewiesen, dass seine unverkopfte und ganz eigene Art Musik zu machen endgültig in Deutschland angekommen ist. Man kann nur mutmaßen, wo es ’24 wohl für den Hamburger noch hingeht.
Platz 4: Bibiza – Wiener Schickeria (VÖ: 12.05.2023)
Wien ist seit einigen Jahren neben Berlin vielleicht DIE Hochburg für Newcomer*innen, die einen frischen Ansatz in eine manchmal etwas zu stagnieren drohende New Wave bringen. Da ist es nur fair, dass der Stadt in diesem Jahr nun mit »Wiener Schickeria« auch ein ganzes Album gewidmet worden ist, das die österreichische Hauptstadt in all seinen Facetten zeigt. Bibiza, der in den vergangenen Jahren eigentlich eher mit Laidback Flow, 808s und Ski Aggu oder makko-Feats aufgefallen ist, hat für dieses Album einmal eine 180 Grad-Soundkehrtwende vorgenommen und eine ganz eigene Mischung aus Rock, Indie und Hip-Hop geschaffen, die nicht zuletzt auch wegen der Herkunft entfernt an den Wiener Großmeister Falco erinnert.
Ein 21 Tracks-Album, wo kein einziger Track zu skippen ist – sowas gibt es nicht häufig.
Platz 3: Verifiziert – adhs (VÖ: 02.03.2023)
Seit 2021 ist Verifiziert wiederkehrender Bestandteil in unseren Jahresrückblicken – und das bisher ausschließlich über Singles. Wie bei so vielen ihrer Generation gab es erstmal Singles hier, Features da, eine kleine EP hier – alles erstmal ruhig angehen lassen. Wer die Wienerin aber über die letzten Jahre verfolgt hat wird schon geahnt haben, dass sie genug Stoff und mehr als genug musikalische Diversität für einen Langspieler im Gepäck hat. Und so ist Anfang 2023 nun endlich das Debütalbum von Veri erschienen, das ihr – so kann man schon jetzt festhalten – noch einmal einen weiteren großen Push in ihrer Karriere verschafft hat. Auftritte auf dem splash! und zahllosen weiteren Festivals, ein sehr erfolgreiches Feature bei 01099 und die erste eigene Tour.
Kein Wunder aber, wenn man ihr Debüt »adhs« hört. Auf gleich 15 Tracks zeigt sie sich gewohnt verträumt, melancholisch und melodisch und lädt geradezu ein zum Autofahren durch die Straßen, das übrigens immerhin gleich sechs Mal alleine im Titel der Tracks adressiert wird. Neben diesen bekannten Vibes kommt auf Albumlänge nun aber auch die titelgebende ADHS-Diagnose hinzu, der sie einen ganzen Track widmet. Auch wenn sie immer wieder betont, dass es kein ADHS-Album sei, ist es doch extrem wichtig, dass Awareness geschaffen wird und die gerade bei Frauen so häufig falsch oder gar nicht diagnostizierte Krankheit ins Gespräch zu bringen.
Schon 2021 prophezeiten wir, dass es nicht das letzte Mal seien würde, dass man ihren Namen in unseren Jahresendlisten lesen würde – und auch jetzt ist es nicht gewagt zu sagen, dass 2023 ebenfalls nicht das letzte Mal gewesen sein wird.
Platz 2: Trettmann & KitschKrieg – Insomnia (VÖ: 17.03.2023)
Nachdem Trettmann seit 2019 nur noch sehr sporadisch von sich hat hören lassen, gab es im Januar 2023 endlich wieder Lebenszeichen aus Leipzig – und dann gleich alles auf einmal:
1. es gehe ihm endlich wieder besser
2. neues Album kommt im März
3. es ist das letzte Album mit dem kongenialen und nicht von seiner Seite zu denkenden Producerkollektiv KitschKrieg
Viele Infos auf einmal zu verarbeiten, doch Tretti wäre nicht Tretti, wenn er diese vielen Umschwünge nicht auch musikalisch verarbeiten würde und sein Album gewissermaßen als Erklärung für die vielen Fragezeichen nutzen würde. »Insomnia« erzählt autobiographisch von seinen letzten Jahren und folgt dabei dem Verlauf seiner Depression und der titelgebenden Schlaflosigkeit, die mit der Zeit langsam weicht und in langen (und ebenso schlaflosen) Partynächten mündet. Über elf Songs steigert sich das Tempo der Platte so von langgezogenen, melancholischen Klängen zu Beginn bis hin zu euphorischen Dancehall-Sounds und gestaltet sein Comebackalbum damit ziemlich rund. Auf die Zukunft ohne KitschKrieg an der Seite darf man trotzdem gespannt sein.
Platz 1: Souly – Ich wünschte, es würd’ mich kümmern (VÖ: 31.03.2023)
Trap auf Deutsch ist so eine Sache. Viele versuchten es in den letzten Jahren, fast genauso viele scheiterten daran. Zu häufig werden die amerikanischen Vorbilder entweder eins zu eins kopiert oder aber gänzlich über den Haufen geworfen und in zweifelhafter Manier ein kaum funktionierender Sound kreiert.
Und dann gibt es Künstler wie Souly, die seit ihrem ersten Erscheinen in der Szene alles richtig machen und für frischen Wind sorgen. Mit ganz offenen Anlehnungen an Chief Keef oder Playboi Carti werden zwar durchaus den Protagonisten der amerikanischen Szene Tribut gezollt und doch ist es ein ganz eigener Einschlag, den Souly auf die bereits bestehenden Strukturen draufpackt. Die titelgebende Unbekümmertheit von »Ich wünschte, es würd’ mich kümmern« schlägt sich in jeder Zeile des Albums nieder und über die gesamte Spielzeit kommt man nicht vom Eindruck weg, dass er eigentlich nicht weniger Ficks geben könnte, ob die Inhalte nun Pulitzer-Preis verdächtig sind.
Denn wie er in der (sehr zu empfehlenden) Unplugged-Session @ Ergüns Fischbüde erzählt, geht es auf seinem Debüt vor allem um “Scheine, Münzen und vor allem um bunte Bündel”. Ein wenig kurz gegriffen ist das schon, denn immerhin spielt auch die bei ihm mal mehr und mal weniger existente Liebe eine Rolle – aber größtenteils ist es dann an Inhalten auch. Wer aber eine derart begrenzte Handlung so unterhaltsam und vor allem musikalisch hochwertig delivern kann, kann mit Fug und Recht behaupten, dass er wirklich unbekümmert ist. Und vielleicht ist es genau das, was den deutschen Hip-Hop noch eine Spur erfrischter wirken lässt.