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Levin Liam – Leaks und Leichtigkeit

Erzieher*innen, Eltern, Frank Ocean Fans – Manche Menschen sollten besser mit einem gut belastbaren Geduldsfaden ausgestattet sein. Unser heutiger Next Up Artist Levin Liam verfügt ganz offensichtlich nicht darüber. So ehrlich offenbart er sich in seiner neuesten Single »Keine Geduld«. Dennoch hat er in den letzten Monaten mit seinem unvorhersehbar sporadischen Release-Rhythmus zumindest seinen Fans und vielleicht auch ein bisschen sich selbst ein gutes Maß dieser Geduld abverlangt. Doch das Warten lohnt sich, wenn es aus Levins künstlerischem Perfektionismus resultiert.

Jener muss zweifelsfrei stark ausgeprägt sein, denn Levin Liams Kunst ist im Endprodukt stets pure Ästhetik. Schaut man sich eins seiner Musikvideos an, folgt man seiner Mimik, der Storyline die ohne jegliche Dialoge, nur durch die Musik und geschickt eingefangene Bilder transportiert wird, könnte man leicht denken, es handele sich nicht um das Musikvideo eines Newcomers, sondern um einen Arthouse-Film. Das kommt nicht von ungefähr. Denn Levin ist nicht nur Sänger und Produzent sondern auch Schauspieler – ein echtes Multitalent also und förmlich gemacht für die große Bühne.

Erstmals einem größeren Publikum präsentierte er sich mit der Veröffentlichung seiner Debüt-EP »For Myself« Anfang des letzten Jahres und der dazugehörigen visuellen Untermalung in Form eines extra dafür konzipierten Kurzfilms. Diese EP eingeschlossen hatte der Hamburger bis dato ausschließlich auf englisch released.

Nach einigen „Leaks” auf Youtube kam nun der offizielle Switch. Aus Liam Levin wurde Levin Liam und die erste deutsche Single auf Streaming-Plattformen ist mit »Keine Geduld« seit letztem Freitag überall hörbar.

In den Startlöchern steht zudem bereits das deutschsprachige Debüt-Tape »Levin Liam Leaks«, das allerdings in vollständiger Form nur streng limitiert und physisch erhältlich sein wird. Eine Tatsache die zum einen fehlenden Urheberrechten für verwendete Samples geschuldet ist, zum anderen aber auch wunderbar zum Gesamtwerk Levin Liam passt. Sein Gespür für Stil und Zeitgeist, die Videos in Retro-Aufmachung mit verwackelten Analog-Aufnahmen, 4:3-Format und Fisheye-Optik. All das verlangt geradezu nach einer besonderen Form der Veröffentlichung, die wie er selber sagt, als Alternative zu „fast consumable Playlist-Musik” verstanden werden darf.

Fast consumable Playlist-Musik macht Levin Liam also allein schon wegen seiner unkonventionellen Form des Outputs ganz bewusst nicht. Dennoch ist eine gewisse Massentauglichkeit in seinem Sound nicht zu übersehen. Das ist Rap, der keine Angst hat Pop zu sein, mit Soul in der Stimme und Indie-Ästhetik. Hinzu kommen authentische Botschaften und introspektive Zeilen im Stile eines Tagebucheintrags, die er geschmeidig ineinander überfließen lässt. 

Ich bin nicht mehr empfänglich für so Phrasen, hör ich etwas ständig, hat es wenig Bedeutung.

Levin Liam auf Video Games Freestyle

Stimme, Flow, Beats – hier stammt alles aus einer Feder und das spürt man. Levin Liam erzeugt eine angenehm organische Klangwelt, deren Melodien sich im Ohr festsetzen und zum Mitsingen auffordern.

In seinen Musikvideos sieht man den 22-Jährigen zumeist scheinbar ziellos vor schönen Landschaften oder verloren in der Großstadt, nicht selten geht gerade die Sonne unter. Genau so fühlt sich seine Musik an. Wie suchen ohne finden zu müssen, wie Urlaub machen und sich „einfach treiben lassen”, wie im Park liegen oder mit einem Bier zum Strand schlendern. Von den Samples und Beats bis zu Texten und Delivery. Levin Liam steht für Leichtigkeit, für lockere Lebensweisheiten, Liebe zum Detail und laue Sommerabende. Aber nicht für die Art von Leichtigkeit, bei der jeglicher Bezug zur Realität am Horizont verloren geht. So schön die Szenen sein mögen, die Levin und Creative Director Jan Mahnke in den bisherigen Musikvideos einfangen, sie sind nie glatt geschliffen, nicht durch die rosarote Brille betrachtet.

Und ich hab weniger Panik zurzeit, auch wenn wenig nicht gar nicht mehr heißt

Levin Liam auf Worte

So lässt Levin von Zeit zu Zeit durchschimmern, womit er bei aller Verzeihlichkeit und Hoffnung noch immer zu kämpfen hat. Seine Musik zu hören, heißt Teil seiner Reise zu werden. Diffuse Rückblicke, neue Erkenntnisse, alte Zweifel und überfällige Geständnisse neben mutigen Prognosen auf dem Weg zur Selbstfindung. An vielen Stellen scheint Levin sich schon gefunden zu haben, doch er ist noch längst nicht am Ziel.

Und ich weiß, bevor ich sterb’, lass ich noch Leute von mir hören, so viel ist sicher.

Levin Liam auf Video Games Freestyle

Es bleibt spannend, ihn auf dieser Reise zu verfolgen und es lohnt sich in jedem Fall neben Hingabe für versteckte Details auch ein bisschen Geduld mitzubringen.