Die Alben des Monats: März 2023

Die Alben des Monats | März 2023

Mostdope hat im März drei Alben ausgewählt, die vorgestellt werden sollten: Trettmanns »Isomnia«, Soulys Debütalbum »Ich wünschte, es würd’ mich kümmern« und »adhs« von Verifiziert.

Trettmann stellt mit seinem neuen Album erneut sein außergewöhnliches Talent unter Beweis, komplexe Themen auf einfache und eingängige Weise darzustellen. Das Album behandelt Themen wie Liebe, Beziehungen, persönliche Entwicklung und Selbstreflexion und symbolisiert zudem das Ende der erfolgreichen Zusammenarbeit mit KitschKrieg. Souly, einer der spannendsten Acts der deutschen Rap-Szene bietet auf seinem Debütalbum tiefe Einblicke in sein Innenleben. Dabei zeigt sich der Münsterländer besonders Geschmackssicher bei seiner Feature Auswahl und veredelt die Tracklist mit LAYLA, Gianni Suave und OG Keemo, die das Album um weitere Facetten ergänzen. Verifiziert wiederum setzt mit ihrem verträumten Cloud-Poprap ein wichtiges Zeichen für mehr Bewusstsein und Aufklärung in Bezug auf ADHS bei Frauen und rundet damit die Auswahl der Alben für diesen Monat ab.

Ein vielfältiges Line-up, das es sich anzuhören lohnt.

Souly – Ich wünschte, es würd’ mich kümmern (A)

Album des Monats: Souly - IWEWMK
Cover via Groove Attack

”tchu tchu” macht die Adlib-Gun und schießt zwei Kugeln durch Soulys Herz. Er so: ”Ich wünschte, es würd’ mich kümmern”. Der Titel seines Debütalbums, ein bipolarer Halbsatz mit Aussagekraft in zwei Richtungen. Juckts ihn jetzt oder nicht?

Sieht man die Videos seiner Releaseparty, kommt man nicht drumherum dies zu bejahen. Freude, Authentizität und Turnup. Souly fühlt seine erste Platte hart. Es ist ein Vibe-Album, bei welchem es zuerst ums Erleben, danach erst ums Verstehen geht. Abgesteckt durch demonstrativen Konsum und Liebe.

Das ist Yves Saint Laurent/
Das ist Jean Paul Gaultier/
Das ist Christian Dior/
Und, ja, ich schwör’, bin ich reich, ja, dann bist du es auch
.

Style und das Geld

Alles innerhalb dieses Kosmos’ wird vom Rapper so vorgetragen, dass man durch Betonung und Pointierung weiß, wie er es meint. Dramatische Gesangsmomente und abwechslungsreichen Flow-Pattern transportieren Hunger und Nachdenklichkeit gleichzeitig.
Neben den bereits bekannten Gästen LAYLA und Gianni Suave hoppt kein geringerer als OG Keemo auf einen Track namens »Bunte Bündel«. Banger. Seine Connections helfen ihm nicht nur zu mehr Reichweite, sonder führen auch zu guter Musik. Wem er zu verdanken hat, das er es überhaupt bis dahin geschafft hat, weiß er auf »Für immer« in Worte zu fassen.

Ich leb für Micha und für Niklas, Aubi, Matt, die ganzen Homies/
Ja, ich schwör’, ich leb’ für immer, ey

Für immer

Souly hinterlässt den Eindruck, dass er sich in seiner momentanen Verfassung, mit allen Ups und Downs, wohl fühlt. Doch was denkst du? Juckts ihn jetzt oder nicht?

Tim Mahler

Verifiziert – adhs (A)

Album des Monats: Verifiziert - adhs
Cover via Columbia / Sony Music

Kurz bevor die Pandemie gestartet hat, kam aus Wien ein erstes zaghaftes Anklopfen an der Haustür der deutschsprachigen Musikszene: Verifiziert aus der österreichischen Hauptstadt veröffentlichte mit »Golf 4« ihre erste Spotify-Single. Es folgte genau eine weitere Single bevor Corona erstmal als Thema übernahm und die (Musik)Welt in den Ausnahmezustand stellte.

Was aber für manche Künstler*innen in Mutlosigkeit und Resignation resultierte, sorgte bei Veri eher für das Gegenteil: Unbeirrt machte sie weiter und kam über die Corona-Jahre erst so richtig in Fahrt. Vielleicht war ihr verträumter Cloud-Poprap genau das, was einigen Menschen zuhause gerade fehlte – jedenfalls wuchs mit jeder weiteren Single ihr Bekanntheitsgrad wieder ein kleines Stückchen. »Butterflies«, »Schlaflos« (unser Nr. 1 Deutschrapsong 2021) oder »Tschick« sammelten Millionen von Streams und sorgten dafür, dass die Wienerin Meilensteine in Form von splash!-Auftritten, Support bei Casper oder ihrer ganz eigenen Show Verifiziert & Friends mit im Flex sammeln konnte.

Doch irgendwann, früher oder später, kommt bei jedem Artist die Feuerprobe mit dem ersten eigenen Album. Das Debüt ist das Werk, das in späteren Zeiten fast schon traditionell immer wieder als Vergleichsstufe herangezogen wird. Bei Verifiziert ist es nun – 3 1/2 Jahre nach »Golf 4« – so weit gewesen: »adhs« ist Anfang März mit insgesamt 15 Tracks erschienen und führt ihre Karriere nun erstmalig auf einen Langspieler zusammen. Die titelgebende Diagnose hat sie selber erhalten, wie sie im “Danke, gut”-Podcast erzählt. Auch der Titeltrack nimmt Bezug auf die Diagnose und gibt so ein wenig den Rahmen für das, was folgt.

Hab die panic attacks auf mein Album gepackt

Verifiziert auf »adhs«

Die bei Frauen häufig falsch oder gar nicht diagnostizierte Erkrankung ist aber nur eins von vielen Themen, die Verifiziert auf ihrem Debüt behandelt. Wie auch auf den Singles, mit denen sie bekannt geworden ist, steht allem voran ihre Gefühlswelt im Mittelpunkt. In bildgewaltigen Worten werden wir mitgenommen auf »Nasse Straßen«, fahren mit ihr im »Suzuki Swift« und haben nur noch einen »Halben Tank«. Generell nehmen Autofahrten keinen kleinen Teil ihrer Lyrics ein – aber was eignet sich auch besser um diese verschwommenen, melancholischen Vibes aufzuzeichnen, die wohl jede*r während einer nächtlichen Autofahrt schon mal hatte?

»adhs« markiert in jedem Fall einen großen Punkt in ihrer andauernden Karriere. Veri hat ihren Stil längst gefunden, über die Jahre hin immer ausgefeilter und alles gipfeln lassen in diesem Erstling.

– Matthi Hilge

Trettmann & KitschKrieg – Insomnia

Album des Monats: Trettmann & KitschKrieg - Insomnia
Cover via SoulForce Records

“Egal wann mein Album kommt, es war zu lang / Tut mir leid, ich erklär’s dir irgendwann”. Für einen der größten Rapstars hierzulande sind knapp vier Jahre seit dem letzten Album »Trettmann« mit kaum Lebenszeichen wirklich eine lange Zeit. »Insomnia« liefert nun die Erklärung dafür und gibt einen Einblick in die Dinge, welche die Hit-Maschine davon abgehalten haben, weiter von Halle zu Halle zu touren und neue Musik zu liefern. Das letzte Album von Trettmann und KitschKrieg steht dabei vor der schwierigen Aufgabe, den Durst nach neuer Musik zu stillen, die letzten Jahre aufzuarbeiten und gleichzeitig das Ende einer für das Genre prägenden Ära einzuläuten.

Die lange Wartezeit hat sich gelohnt. Mit »Insomnia« gelingt den Beteiligten ein rundes Konzeptalbum, bei dem jeder Takt genau abgestimmt ist. Schon der Umstand, dass Features wie Bilderbuch allein für ein Gitarrenriff oder das Amapiano-Trio 255 für ein Outro eigens auf das Album geholt werden, zeigt die Liebe zu den Details, die in »Insomnia« eingeflossen sind. Das Konzept ist dabei so einfach wie effektiv. Vom getragenen »6 Nullen« über das bitterböse »Timeline« bis zum rauschhaften »Tauchen« durchläuft Trettmann die Phasen der Trauer und verarbeitet so gewissermaßen nicht nur die Trennung von seiner langjährigen Partnerin sondern auch seinen Partnern in Crime KitschKrieg.

Ein letztes Mal schaffen Fizzle und Fiji Kris Klangwelten, die den nach wie vor ungezwungen modernen Sound von Trettmann perfekt ergänzen. Das dichte Loch, umgeben von Mauern aus wabernden Synthies, in das Trettmann auf »6 Nullen« fällt dient dabei als Startpunkt von einer Entwicklung, die sich stetig aufbaut und in der zweiten Hälfte in triumphalen Momenten wie dem großartigen »Stefan Richter« oder dem leicht beschwingten »Im Loop« kulminiert. Spätestens hier wird auch nicht mehr mit sich gehadert, sondern die eigenen Schwächen akzeptiert, um daraus etwas Neues zu schaffen.

Trag’ Brille everyday, sie versteckt den Pain / Die Tränen, all die Tränen machen mich heut so souverän

Stefan Richter

Trettmann, der in Interviews im Vorfeld des Albums immer wieder betonte, dass sich die Phase mit KitschKrieg auserzählt habe, überlässt an vielen Stellen von »Insomnia« seinen Features das Wort. Das funktioniert mal schlechter wie mit Henning May, dessen Stimme in Effekten fast ertrinkt und mal besser mit Levin Liam, der aus der Szene bald vermutlich nicht mehr wegzudenken sein wird, sehr gut. »Für dich da« ist nicht nur ein schön leichter Liebestrack, sondern bringt auch das KK-Feeling von Tracks wie »Retro Shirt« zurück. Auch die Shootingstars Nina Chuba und Paula Hartmann machen eine gute Figur, wobei die Länge von Paulas Part auf »Gekreuzte Finger« doch recht deutlich macht, dass dieser Song ursprünglich eben nicht für Trettmann sondern die Berlinerin gedacht war. 

Wenn der letzte große Rave mit einem Outro, das mit Modeselektor entstanden ist, endet und wieder in die Klänge vom Anfang anknüpft, beschließt »Insomnia« eine Albumtrilogie, die Maßstäbe und Trends gesetzt hat. Die Tretti Sessions, in denen der Wahl-Leipziger neuerdings sogar in Farbe zu sehen ist, lassen aber Hoffnungen aufkommen, dass »Insomnia« nicht nur Ende einer alten Ära, sondern auch Startschuss einer neuen ist. 

– Roman Zingel