Alben des Monats | Oktober 2021

Road to Album of the year. Wir nähern uns dem Dezember und damit auch der Zeit der Jahresrückblicke. Noch ist es etwas hin, aber die letzten Contender bringen gerade noch ihre Alben in Startposition.
Wer mit seinem Release im letzten Monat und im Kampf um die Krone schon mal ins engere Auswahlfeld vordringen konnte, erfahrt ihr hier.

RIN – Kleinstadt

„Bedeuten Kommas vor der Null ich bin jetzt eingedeutscht?“ In der Rapszene längst angekommen, begibt sich RIN auf seinem dritten Album »Kleinstadt« auf die Suche nach seinen Wurzeln und findet noch deutlicher als bisher seine eigene Stimme. Dieselbe Stimme, die schon Hooks von Millionenhits eingesungen hat, sorgt auch auf dem neuesten Werk des Bietigheimers für zahlreiche Ohrwürmer. Wenig verwunderlich daher, dass RIN selbst den Giant Rooks auf »Insomnia« nicht den überaus radiotauglichen Chorus überlässt, sondern selbst das Ruder in der Hand behält. 

Albumcover »Kleinstadt«

Überhaupt wirkt RIN, der mit Features immer äußerst spärlich umgegangen ist, auf »Kleinstadt« vielleicht stärker denn je wie der Mittelpunkt seiner eigenen Erzählung. Der ungewöhnlich persönliche Rahmen, den »Yugo« und »Mrznja« (dt. Hass) bilden, hält das Gebilde zusammen, das zwischen Pop-Allüren wie dem sommerlichen »San Andreas« und Einlaufsong-Material wie dem gnadenlos kämpferischen »Sado« hin und her wandert. 

Dass sich trotz der vielen gelungenen Auskopplungen unter den 18 Songs noch so viele Perlen finden lassen, ist zu großen Teilen auch Alexis Troy und Minhtendo zu verdanken, die dem Großteil von »Kleinstadt« ein Klangbild von einzigartiger Vielfältigkeit verleihen. Ähnlich komplex wie die Identität RINs ist auch seine Musik geworden. Der Sound der Kleinstadt, der schon bis jetzt erstaunlich große Wellen geschlagen hat, wird daher in naher Zukunft kaum abebben.

– Roman Zingel

9inebro – Shades

9ine wird zu 9inebro und betritt Neuland. Das erste Solorelease aus dem Kinder der Küste-Camp ist erschienen und hat eindeutig bewiesen: Es geht auch alleine. Zwar bleibt der soundtechnische Stützpfeiler Traya weiterhin der maßgeblich Beteiligte in der Produktion, aber Bruder im Geiste Lugatti ist auf nur zwei der insgesamt 13 Tracks vertreten und überlässt ansonsten 9ine die Bühne. Die nutzt er um sich auf »Shades« reflektierter, introspektiver und definitiv auch zeitgeistig zu geben, wie etwa auf der ersten Auskopplung »Sound of the South«:

Albumcover »Shades«

Machst das, was ein Mann tut – Ja, dann mach das mal
Ich weiß nicht, was ein Mann tut – Ich mach’, was ich mag

Der altbekannte Vibe steht aber natürlich trotzdem an erster Stelle und so dominieren nach wie vor Zeilen über lange Nächte, Rosé aus dem Cup und Unzen von Ott. Besonders hervorstechend ist und bleibt die gelebte Positivität, die in so gut wie jeder Zeile bei 9ine mitschwingt. Kaum jemand im deutschen Rap zurzeit strahlt so viel positive Energie aus – ob auf oder neben den Tracks. Diese Stärken können auf »Shades« so stark wie nie zuvor ausgespielt werden und machen es so zu einem großartigen Solodebüt.

– Matthi Hilge

Neromun – Blass

»Blass« ist ein Album, das sich jeglicher Hektik verwehrt und dabei in seiner vollen Atmosphäre direkt ins Herz geht, wenn man es nur lässt. Was Neromun in diesen 30 Minuten mit seiner Stimme an Seele und Mut beweist, ist einzigartig in Deutschland und ebenso polarisierend.

Die langsame, häufig repetitive Vortragsweise verleiht den oft kryptischen Zeilen enormes Gewicht – manche brennen sich förmlich ein:

Meine Geschwister sind Ikonen, ALLE.

In einem Moment spürt man die pure Erschöpfung aus Neromuns Stimme, im nächsten wird man von einem energischen Flow neu mitgerissen.

Albumcover »Blass«

Diese ganz eigene Dynamik zieht sich als roter Faden durch das Album und entfaltet eine fesselnde Wirkung, die das Hören in vorgesehener Chronologie zusätzlich belohnt.
Gerade in Zeiten, in denen Alben sich finanziell kaum noch lohnen und Musik immer mehr für passiven Konsum produziert wird, fühlt »Blass« sich an wie eine Auszeit. Eine ruhige Insel inmitten tosender Schnelllebigkeit und eine Kampfansage dem algorithmusoptimierten Einheitssound. Schwer und langsam mag es nach dem ersten Eindruck wirken, tief und einnehmend zieht es spätestens nach dem dritten Durchlauf in seinen Bann.

In jeder Sekunde des Albums spürt man, wie wohl sich Neromun in dieser – seiner – neuen Soundwelt fühlt. Ungeachtet aller subjektiven Wahrnehmungen ist es wohl diese Tatsache, die am schwersten wiegt.

– Magnus Menzer