Staff Pick: Ms. Lauryn Hill - The Miseducation of Lauryn Hill
Label: Ruffhouse Records

Ms. Lauryn Hill – The Miseducation of Lauryn Hill

Gerade erst Anfang diesen Jahres ist »The Miseducation of Lauryn Hill« für über zehn Millionen verkaufte Einheiten allein in den USA mit dem Diamant-Status ausgezeichnet worden. Etwas mehr als 20 Jahre nach Veröffentlichung ist Lauryn Hill damit auch zahlentechnisch in einer ganz exklusiven Liste angekommen. Für die Einordnung: Erst elf Rapper*innen haben eins ihrer Alben über zehn Millionen Mal verkauft bekommen. Lauryn ist dort neben Artists wie Eminem, Biggie, den Beastie Boys oder 2Pac gelistet – überhaupt sind in dieser illustren Liste vorher nur Männer gewesen, bis Ms. Lauryn das ein für alle Mal geändert hat. Ein weiteres Unterstreichen des Impacts, den die Rapperin aus New Jersey mit diesem Album hatte und immer noch hat. Was ist das besondere an diesem Album?

Um die Dramatik rund um die Trennung von Lauryn Hills Ex-Band Fugees ausführlich zu behandeln, bräuchte es einen eigenen Beitrag, aber dies ist gewissermaßen der Auslöser für ein Soloprojekt der damals gerade 23-Jährigen gewesen. Das zweite Album der Fugees, »The Score«, hatte sich zwei Jahre davor zu einem riesigen Erfolg aufgeschwungen und war zu diesem Zeitpunkt längst über die Grenzen von Hip-Hop und den USA hinaus erfolgreich. Ein Album, das sowohl dein Bruder als auch deine Mutter im Schrank gehabt haben und an Erfolg wohl kaum zu toppen sein könnte – haben zumindest alle gedacht. Lauryn aber hat mit ihrem Solodebüt bewiesen, dass man diesen Hype sogar noch übertreffen kann.

»The Miseducation of Lauryn Hill« bringt auf Albumlänge alle Stärken hervor, die sie auf »The Score« schon gezeigt hat und erweitert den Sound dabei sogar nochmal um einiges. Da ist die Leadsingle »Doo-Wop (That Thing)«, die ganz offen mit dem Pop flirtet und diese gewisse Massentauglichkeit mit sich bringt. Es gibt MTV-Awards, so weit das Auge reicht, für diesen Song – vom Besten R’n’B Video bis hin zum Video des Jahres ist alles dabei und lässt Lauryn zu einer der erfolgreichsten Künstlerinnen des Jahres werden.

Da ist aber auch der Rückbezug auf deutlich Hip-Hop-lastigere Tracks im Stile der Fugees mit Songs wie »Lost Ones« oder dem boombappigen »Final Hour«. Überhaupt kommen auf diesem Album – ähnlich wie bei »The Score« – viele verschiedene Klänge und Einflüsse zusammen. Reaggae, Gospel und R’n’B reichen sich ebenso die Hand wie Soul und ganz klassischer Rap in seiner Ursprungsform. Das lässt die knapp 70 Minuten des Albums zu keiner Sekunde erstarren, stattdessen passiert andauernd etwas Neues und man wird förmlich gezwungen dauerhaft zuzuhören. Da trifft es sich gut, dass die abwechselnd als Rapperin oder Sängerin auftretende Lauryn viel zu erzählen hat. Sehr viel sogar, denn das Drama rund um die Trennung von den Fugees sitzt ihr noch in den Knochen und will durch Musik verarbeitet werden. Dazu kommt eine Schwangerschaft, die auf »Miseducation« ebenfalls stark thematisch vertreten ist. Kurzum: Es kann gar nicht viel mehr Stoff geben, der dieses Album hätte legendärer machen können. Jeder Track erzählt eine Geschichte, es wird an manchen Stellen spirituell, an vielen emotional und an noch mehr einfach nur schön.

Was für viele fest als Startpunkt einer großen Solokarriere gesehen worden ist, entpuppt sich rückblickend als ganz kurzer Zenit in der Karriere der Ms. Lauryn Hill. Auf ihre Solodebüt folgt kein weiteres Album mehr, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt wohl kaum hätte größer sein können. Wer weiß aber, ob folgende Alben ähnlichen Impact gehabt hätten oder daran hätten anknüpfen können. Es ist eine der vielen What-If-Geschichten des Hip-Hop. So oder so bleibt der Zauber rund um die kurze, aber dafür umso ertragreichere Zeit Mitte bis Ende der 90er auf ewig bestehen.