Es ist mittlerweile fast acht Jahre her, dass Frank Ocean mit »Endless« und »Blonde« im doppelten Release vollständige Projekte veröffentlicht hat. Selbst die letzten Singles »Dear April« und »Cayendo« liegen bereits über vier Jahre zurück im Corona-Frühling 2020. Ein Untergangsfestivalauftritt, eine Luxusschmuckmarke und diverse streng limitierte »Blonde« Vinyl Veröffentlichungen später sind die Spekulationen über neue Musik weiterhin hoch. Besonders, da die veröffentlichten Singles bis zum tragischen Tod seines Bruders auf ein Album hindeuteten.
Doch während der mysteriöse RnB/Indie Pop Crossover Artist weiterhin auf sich warten lässt, bleibt nur die Möglichkeit, das alte Material zu hören oder sich mit der Musik von ähnlichen Künstler*innen auseinanderzusetzen, die unter anderem in diesem Artikel aufgelistet werden. Es ist klar, dass ein Frank Ocean in allen Facetten nicht durch einen einzigen Künstler oder Künstlerin abgebildet werden kann, insofern werden diese Moneyball-esque in einzelne Elemente aufgeteilt, die Ähnlichkeiten zum Werk von Ocean vorweisen.
Jai Paul
Wenn man Frank Ocean mit einem weiteren Künstler ersetzen möchte, der selten bis gar nicht Musik herausbringt, so landet man schnell bei Jai Paul. Paul teilt sich nicht nur diese Eigenschaft oder einen Spot beim Coachella 2023 (mit besserem Ausgang) mit Frank, sondern auch experimentelle Produktionen und zum Teil ähnliche Stimmeinsätze.
Die Musik des mysteriösen UK-Künstlers ist dabei fast nur auf Demos und Leaks beschränkt, die mittlerweile allerdings auch den Weg zu Spotify gefunden haben und in einem kurz-vor-dysfunktionalen Mix aus RnB und groovy Tanzmusik eine klare eigene Handschrift tragen. Aktuell betreibt Jai mit seinem Bruder AK Paul das Projekt und Label Paul Institute, über das unter anderem Fabiana Palladino dieses Jahr ein Album veröffentlicht hat.
FKA twigs
Wenn es um experimentelle Artists in der Twilightzone verschiedener Genres mit Wirkung in den 2010ern geht, darf FKA twigs nicht fehlen. twigs ist das zerbrochene, glitchy Gegenstück zu Frank’s cleanem und elegantem Sound. Mitsamt ihrer zwei Alben »LP1« und »MAGDALENE«, von einigen unter den Alben des Jahres 2019 gehandelt, ist sie mindestens zum Kritikerliebling geworden. Spätestens die gefüllte Featureliste des 2022 veröffentlichten Mixtape »CAPRISONGS« um The Weeknd und Shygirl hat FKA twigs einen Platz im Mainstream beschert.
An Frank Ocean erinnert neben einer fünfjährigen Pause zwischen »LP1« und »MAGDALENE« auch die persönliche thematische Auseinandersetzung in den Texten (wenn auch auf anderer Ebene) und das Gefühl, in jedem Track nur 5 Schritte von Hip-Hop entfernt zu sein, während sich die Musik irgendwo um RnB, Soul, Pop, Dance und Indie dreht, ohne zu sehr festgelegt zu sein – nichtmal innerhalb derselben Songs.
So geht es auch weiter mit dem gerade für Januar 2025 angekündigten Album »EUSEXUA«, bei dem die gleichnamige erste Single direkt den Hang zum Experimentieren auf tanzbarer Basis und über das Konstrukt Genre hinweg weiterhin festigt.
katlix
Verträumter Indie-Rap mit verrauchter Stimme auf abwechslungsreichen Beats, die von DnB bis hin zu klassischen Pop Gitarren reichen. So klingt die Musik von Lukas Wegertseder, besser bekannt als katlix. Nach seinem Einstieg in die Szene 2019 mit konventionellen Rap-Releases probierte sich der junge Künstler aus und erzielte Ende 2022 und Anfang 2023 mit seinen Singles »115 Tage« und »Missed Calls« erste Erfolge. Im Anschluss folgte Ende letzten Jahres die »U3« EP, ein durchdachtes Projekt, das die Stationen der Hamburger U-Bahn Linie U3 als Analogie für die verschiedenen Phasen einer Liebesbeziehung verwendet: ein Kreislauf, der sich genau wie der ringförmige Fahrplan der U3, stets aufs neue wiederholt.
katlix‘ Musik erinnert in vielerlei Hinsicht an frühe Frank Ocean Tracks. Sie ist geprägt von einer juvenilen Leichtigkeit, die kontrastierend melancholische Themen wie Herzschmerz und Fragen der Selbstfindung in einer überstimulierenden Welt besingt, ähnlich wie es Ocean 2012 auf »channel ORANGE« tat. Hinzu kommt die musikalische Vielseitigkeit auf diesem Projekt: Von klassischen Akustikballaden wie »Bad Religion« zu Elektro-House Synths auf »Pyramids« lässt er sich, genau wie katlix nicht von Genregrenzen beschränken. Insbesondere die Pop-Einflüsse auf katlix’ Song »nie wieder (mundsburg)« wecken Erinnerungen an an frühe Veröffentlichungen von Frank Ocean wie »Swim Good« oder »Novacane« aus 2011.
LAYLA
Beim Stichwort Vielseitigkeit darf man LAYLA nicht vergessen, deren Name gleich unter “facettenreich” im Duden steht. Während Frank Ocean sich irgendwo zwischen experimentellem R’n’B, Neo-Soul und Pop bewegt und auf Songs wie »DHL« oder seinem Feature-Part auf A$AP Rocky’s »Purity« sogar in ruhiger Manier rappt, geht die selbstbewusste Münsteranerin das Ganze ein wenig ungenierter an.
Angefangen mit dem Trap-Brett »Choppa« und einer zugehörigen Youtube-Session beim Untergrund-Kanal ABOVEGROUND erlangte sie 2020 schnell einen festen Platz in der Szene und wechselte von dort an spielerisch zwischen entschleunigten Bedroom R’n’B (»24/7«), reduziertem UK Garage (»Waterloo«), Four-to-the-floor Rap mit Attitüde (»Fruchtsaft«) und wieder zurück zum kompromisslosen Trap (»Dichter«). Mit aktuellen Releases wie »Lügenbold« legt sie eine soulige Wärme an den Tag, die man in Deutschland selten sieht. Hierbei kommt auch die Inspiration internationaler Idole wie Erykah Badu, Lauryn Hill und Sade zum Vorschein.
Eine weitere Gemeinsamkeit zu Frank Ocean ist außerdem ihre enge Verflechtung mit der (deutschen) Hip-Hop Szene, die sie, wie Frank mit Tyler the Creator und JAY-Z, in gefeierten Features mit KALIM oder Souly unter Beweis stellt.
Berq
Das Übereinanderlegen von Stimmen ist seit der Erfindung von Chören und spätestens Brian Wilson und den Beach Boys keine Neuheit mehr. Dennoch ist es immer wieder ein sehr zufriedenstellendes Gefühl, eine schön harmonisierte Passage aus mehreren Voicelines zu hören, so etwa zum Ende von »White Ferrari« oder aber auch in »Rote Flaggen« von Berq. Berq, 20 Jahre alt, ist mittlerweile längst kein Geheimtipp mehr für alle, die minimal unter der Oberfläche des deutschen Indie Ozeans stöbern.
Auf »Rote Flaggen«, einem Track der mittlerweile über 29 Millionen Spotify Streams vorweisen kann, ist das abwechselnde Aufsplitten und Zusammenführung der eigenen Stimme das Markenzeichen und reizt so das »White Ferrari« Moment auf ein maximalistisches Level der Harmonisierung mit ihm selbst. Positiverweise ist auch zu erwähnen, dass Berq gerade erst vor zwei Jahren mit seinen Releases angefangen hat und insofern noch deutlich mehr Output in der Zukunft erwartbar ist und das ohne Spekulation wie bei Frank Ocean.
James Blake
Jedem, der sich in den letzten 10-15 Jahren intensiver mit Hip-Hop auseinandergesetzt hat, sollte der Name James Blake ein Begriff sein. Die Beschreibung “your favourite artist’s favourite artist” trifft genau wie bei Frank Ocean auch auf ihn zu. Diesen Status hat er sich im Laufe der Jahre zum Einen durch diverse eigene maßgebende Projekte in Genres wie Post-Dubstep, RnB und Gospel verdient und zum Anderen aber auch durch die Zusammenarbeit mit einigen der größten Artists weltweit. Für Acts wie Travis Scott, Dave, Rosalía und Kendrick Lamar hat er nicht nur Featureparts, sondern auch Produktionen geliefert.
Insbesondere mit Frank Ocean hat Blake in der Vergangenheit mehrfach kollaboriert. Auf Oceans epochalen Werk »Blonde« hat der Londoner Credits auf den Songs »Solo«, »Skyline To« und »Godspeed«. Von letzterem veröffentlichte er 2020 sogar eine atmosphärische Coverversion, die bloß aus einem Akustik-Piano und seinen einzigartigen Vocals besteht.
Dieser kreative Austausch hat auch schon andersrum stattgefunden: Ocean hat ebenfalls Credits auf James Blakes 2016er Album »The Colour In Anything«. Vor allem auf dem Song »My Willing Heart« wird der Einfluss von »Blonde« ersichtlich.
Alex G
Was hat Frank Ocean mit Singer-Songwiter-Musik gemeinsam? Sehr viel. Alex G landet alleine schon wegen des Mitwirkens auf »Blonde« auf dieser Liste, wo er auf mehreren Songs die Gitarre spielte. Alex G, dessen letztes Projekt der Soundtrack für den Film »I Saw The TV Glow« war, ist ein Virtuose an der akustischen Gitarre. Quasi die Endstufe aller am Lagerfeuer »Wonderwall« Spielenden.
Vor allem erzeugt Alex G sowohl auf eigenen Songs (»Sarah« & »Mary«) durch die alleinige Gitarre und Stimme eine ganz besondere Intimität, die sich auch z.B. auf »Self Control« wiederfindet, wo er ebenfalls die Gitarre eingespielt hat. Alex G hat vielleicht nicht die Stimme eines Frank Ocean, dennoch kann er auf eigenen Tracks ähnliche Gefühlslagen erzeugen.
Blood Orange
Außerhalb von Brent Faiyaz, Sonder und The Weeknd ist Blood Orange vielleicht im Sound am nächsten an Frank Ocean gelegen. Sowohl die Stimme, als auch das instrumentelle Crossover zwischen R&B, Indie und Neo-Soul sind schnell wiedererkennbar. Darüber hinaus schafft er Parallelen zu Ocean auch durch inhaltlichen Bezug auf Queerness, Identität und Geschlechterrollen, die sich durch die nichtlinearen Songstrukturen winden, während die Gefühle der Songs irgendwo zwischen experimenteller Machart und einem angenehmen Schwebegefühl angesiedelt sind.
Blood Orange ist auch nicht nur eindimensional unterwegs. Der multitalentierte Brite, welcher mittlerweile in New York lebt, brachte bereits unter seinem richtigen Namen Dev Hynes und den Pseudonymen Lightspeed Champion und Blood Orange Musik heraus, die nicht nur Tracks und Alben auf klassische Art umfasst, sondern auch Filmmusik und Musik für den Broadway.
Schlussendlich ist es nicht einfach, Frank Ocean zu ersetzen und auch jede Fragmentation seiner Art, Stimme und Musik kann nicht 1-zu-1 abgedeckt werden. Aber das muss es ja auch nicht. Jede*r der hier genannten Künstler*innen bietet für sich etwas ganz besonderes und ist auch ohne den Vergleich wert, Aufmerksamkeit für die eigene Musik zu bekommen. Gleichzeitig ist durch die fehlende Ersetzbarkeit auch immer ein Hoffnungsschimmer zu spüren, dass Frank Ocean vielleicht doch irgendwann wieder über kryptische Instagram Stories hinaus Musik in die Öffentlichkeit gibt.
Wir können gespannt sein!