Soundcheck: BLK ODYSSY - Diamonds & Freaks
Cover via Empire

ARE WE DIAMONDS, OR ARE WE FREAKS? BLK ODYSSYS WELT DER LUST UND LIEBE

Seit ihrem Debütalbum »BLK VINTAGE« haben sich BLK ODYSSY schnell einen Namen gemacht. Mit dem oft atmosphärischen, sehr eigenen Sound haben sie eine treue Fangemeinschaft um sich versammelt. Künstlerisches Mastermind der Gruppe ist Produzent, Sänger, Rapper und allgemein Artist Sam Houston. Auf dem erstem Album ging es noch um Verlust, Zorn und Trauer. Alles Gefühle, die Houston selbst während seines Aufwachsen und vor allem auch durch den Tod seines Bruders durchlebt hat. Das neue Album »DIAMONDS & FREAKS« geht genau die andere Seite des Gefühlsprektrums an. Es geht um Lust und Liebe und Leidenschaft.

Das Album wird von BLK ODYSSY promotet als »DIAMONDS & FREAKS – The Erotic Novel Of Love & Lust«. Die fünfzehn Tracks sind aufgeteilt in vier Kapitel, durch die uns Keisha Plum – die Holy Mother of Stank – und die Funklegende Bootsy Collins führen. Die Kapitel sind thematisch unterteilt und neben uns mit durch eine Achterbahn der Gefühle und Erotik. Dabei verlieren BLK ODYSSY hier trotz ganz anderer Thematik zum vorherigen Album kein bisschen an Atmosphäre.
Sämtliche Genres werden als Tool Box benutzt und jede Kollaboration sitzt perfekt. Jazz trifft auf P-Funk, Hip-Hop auf R&B und Soul und dennoch ist es kein Klischee und keine Nachahmung. Der Einfluss von Bootsy Collins und Parliament & Funkadelic ist zwar deutlich rauszuhören. Es ist aber vielmehr auch die Philosophie dieser, die BLK ODYSSY sich zu eigen macht, um Genregrenzen aufzubrechen. Es ist eine offene Studie über Lust und Begierde, die wir so nur sehr selten zu hören bekommen. 

CHAPTER 1 – DOPAMINE & HENNESSY

»Dopamine & Hennessy« ist nicht nur der Titel des ersten Kapitels sondern auch der Titel des ersten Tracks. Eingeleitet wird der Song durch Keisha Plum, gefolgt von einer scheinbar aufgewühlten Sprachnachricht einer betrogenen Liebhaberin. Sam Houston eröffnet den den Track mit expliziten Lyrics, die Intimitäten im Rausch von „Cocaine, Dopamine & Hennessy“ beschreiben. Neben Plum und Houston sind auch Bootsy Collins, CHERRI VALLI und Eimaral Sol zu hören. Letztere leitet dann vom Rausch in die Ekstase über.

Wessen Ohren danach noch nicht glühen, sollte beim zweiten Track besser hinhören. Die Hitze wird auf »Ms. Sweet Tea« in keinster Weise runtergedreht. Im Gegenteil, der Beat bleibt smooth und untermalt damit perfekt das Gefühl von endlos berauschender Leidenschaft:

Okay, verse two, keep it real, I hope my words don’t trip me / She taste like sweet tea, she must be from Mississippi / I’m feeling nervous so I spit outrageous shit / I said: “Girl, you look so good, I’d suck yo’ daddy’s..”
Pause.
I’m playing / But one can never be smooth when the dog in him is chasing / And I’m atomic dog, I’Il keep your secrets like freemason / Get learned me lesson, uh / I run your bath water, take a sip when you exit, come on

BLK ODYSSY auf »Ms Sweet Tea«

Why don’t you tell them, how we first met?

Der Wendepunkt des ersten Kapitels ist der vierte Song »Adam & Eve«. Nach der langsamen Ekstase bekommen wir nun einen Einblick in den Wahnsinn von BLK ODYSSY. Der Track fängt an mit einer Gitarre, die an Urlaube im Süden erinnert. Es geht um die erste Begegnung mit der „goddess of beauty“ oder eher „goddess of booty“. Anfänglich ein Engel, dann doch Lucifer welche ihm als erstes in die Welt des Kama Sutra einführt. „I was Adam and she was Eve“ mit der Aussage sich das Lied dann ab Minute 01:33 wendet. Der erste Geschmack führt schnell zur unbändigen Sucht, die den Protagonisten komplett einzunehmen scheint. Der Wahnsinn wird perfekt durch die unterschiedlichen Stimmen von Houston & Co. erzeugt. Der Song ist ein Zeugnis für Houstons lyrische Fähigkeiten.

Die Art in welcher die expliziten Lyrics vorgetragen werden, erzeugen eine sehr bildliche Szene. Produziert wurde »Adam & Eve« von BLK ODYSSY und Tedd Boyd. Zu hören sind Sam Houston, B-Lo und Cory Henry. Jazz trifft auf einen epischen Chor, der fast schon geisterartig immer wieder im Hintergrund ertönt. Durch das Saxophon und teilweise schon fast manisch wirkende Stimmengewirr kommt leicht der Gedanke an Kendrick Lamars »To Pimp A Butterfly«, speziell »u«. Definitiv eines der Highlights des Albums 

CHAPTER 2 – COOCHIE & BIG BOOTY

Nach der Verführung von der Sucht und Lust führt uns Bootsy Collins in das zweite Kapitel des Albums ein. Eröffnet wird Coochie & Big Booty mit drei Songs die bereits als Single-Auskopplungen dienten. »Honeysuckle Neckbone« ist ein Song, der einen trotz bereits intensiven Hörens nicht langweilt oder enttäuscht (zur Songreview geht es hier). Vertraut und wohlig erzeugt der Song eine sehnsüchtige und leicht wehmütige Atmosphäre, wozu auch Bootsy Collins als Feature beiträgt. Der Track ist so zähflüssig süß wie die Frau, die beschrieben wird. 


Nicht weniger süß, aber deutlich komplizierter geht es auf »You Gotta Man« feat. KIRBY weiter. Eine verbotene Affäre zwischen zwei Liebenden: “You gotta man, I got a girlfriend. I see you next lifetime“ heißt es im Refrain und der Gewissenskampf zieht sich auch durch den ganzen Song. Perfekte Ergänzung zu Houston ist in diesem Track KIRBY, die im zweiten Verse die Dinge aus der weiblichen Perspektive schildert. Spannend ist auch der Einsatz der Sitar, welche das Lied noch spannender macht und den Effekt von epischer Erzählung verstärkt. Der titelgebende Track des Albums »Diamonds & Freaks« featured keine geringere als eine Queen des US-Rap Rapsody. Nachdem Fans nun seit vier Jahren auf einen Nachfolger ihres Meisterwerks »Eve« warten, ist jedes Feature Gold wert. Umso schöner, dass sie auf diesem Projekt direkt zweimal zu hören ist. Obwohl Diamonds & Freak deutlich ruhiger ist, geht er auf keinem Fall unter. 

„500 Baccarat / She could smell the scent of lust / That’s an easy plot / This n**** loves pussy / Baptize him in her twat / She’s on top to be on top“

Rapsody auf »Diamonds & Freaks«

CHAPTER 3 – THE DEVINE STANK

Diamonds & Freaks leitet perfekt über in das dritte Kapitel. Wie ein roter Faden zieht sich die Stimmung von »Judas & The Holy Mother Of Stank« durch das ganze Kapitel. Es könnte keine besseren Narrators für dieses Album geben als Keisha Plum und Bootsy Collins. Produziert wurde der Song wieder von BLK ODYSSY selbst, dazu kommt mit The Alchemist ein besonderer Gastproduzent. Der Song spielt mit dem Grenzen zwischen Bedrohlichkeit und Verführung. Keisha Plum liefert den perfekten Ton für die epische Erzählung von Liebe, Lust und dem Spiel drum rum.

„Motherfuckers been ruthless / Seduction, seduce then remove / Who me? I got the juice / Silk sheet interludes / His favorite color nude / Erotica painted like art at the Louvre / Purple rain, comet trails, silver walks / Pillow talk / Pillow between his jaw and my hawk“

Keisha Plum auf »Judas & The Holy Mother of Stank«

Nach dieser Einführung fühlt sich »Pink Marmelade« mit der Künstlerin Eimaral Sol fast schon zu unschuldig an. Es geht um das erste High der ersten Liebe. Die erste Begegnung, die einen trotzdem schon an eine gemeinsame Zukunft denken lässt. Dennoch – auch diese Form von Begierde gehört in das erotische Buch der Liebe und Lust. Kleines Highlight ist hier auf jeden Fall auch Mono Neon am Bass.

»Pink Marmelade« ist ein Song, der beim Hören an sonnige Spaziergänge, Erdbeeren und klebrige Hände vom Eis essen denken lässt. Ein besonders schöner Kontrast auch zum extra funkigen Track »Broke Folk Funk«. Der Song ist das zweite Feature mit Rapsody. Diese steigt hier noch mehr in die Stimmung ein als im vorherigen Song. Die Bläser und Keys bringen das ultimative P-Funk Gefühl. Rapsody und BLK ODYSSY übersetzen es für unsere Zeit. Beim Hören gehen die Mundwinkel automatisch nach oben und der ganze Körper fängt an im Takt zu schwingen.

„Your respect is too expensive to be played for cheap ass / You a classic, not the kind that throw the diamonds in back / You too cute, he too toxic we got no time for that / And that applies to brothers too don’t let ’em catch you in traps“

Rapsody auf Broke Folk Funk

CHAPTER 4 – DIAMONDS & FREAKS

Ask yourself: “Are you a diamond, ore are you a freak?”. Diese Frage stellt uns Bootsy im Track »Ephesians« und eröffnet damit das letzte Kapitel des Albums. Die Frage reflektiert das ganze Album. Der Song ist ein explosiver Jazz-Song. Produziert von Alejandro Rios, JeMarcus Bridge und Juwan Elcock, allesamt Mitglieder von BLK ODYSSY. Begleitet von flüsternden Stimmen, mal deutlich hörbar, verschmelzen sie wieder mit dem Hintergrund. Wir bekommen hier wieder einen Einblick in das scheinbare Gefühlschaos.

Auf die Explosion folgt wieder die Ruhe. »Let Me Go« feat. Grace Sorenson wirkt fast schon wie eine kurze Pause. Der Protagonist nuschelt den Dialog gedämpft in sich hinein. Wobei man sich als Hörer*in nie sicher ist, ob er nur zur sich selbst redet. Die vielen Spielchen scheinen zu viel geworden sein. Der Spaß ist scheinbar vorbei. Wirklich schön wirkt hier die Harmonie von Sorenson und Houston, untermalt vom Piano und Saxophon.

Sweet like Orange Wine geht es auf dem gleichnamigen Track »Orange Wine« weiter. Es geht wieder um die Zerrissenheit und schwere Entscheidungen. Das letzte Kapitel des Album trägt den Konflikt zwischen Schwere und Zerbrechlichkeit aus. Die Schattenseite zur reinen Ekstase zuvor. Aber dennoch so süß, dass man sie nicht missen möchte. Die Gitarre ist sanfter, auch der Bass versucht bloß nicht zu aufdringlich zu werden.

Should we let it grow?

Der letzte Song »Let It Grow« knüpft genau an dieser Zerbrechlichkeit an und ist dabei fast schon unschuldig zart. Das Gefühl wird durch Sam Houston betont. Unterstützt von der Sängerin Stout, offenbart er in seiner Stimme eine rohe Verletzlichkeit. Dabei versucht er der Frage nachzugehen, ob man die Blume – als Sinnbild für die Liebe – wirklich wachsen lassen sollte. Diese rohe Zärtlichkeit wird noch unterstützt durch das Murmeln eines Babies. Zusammen mit der Flöte verschmilzen beide immer wieder mit der Musik. Im Kontrast dazu stehen Saxophon und Piano, die sicher durch das Lied führen. Zusammen untermalt dies wunderschön den Gedanken vom Wachsen der Beziehung zu etwas neuen und stärkerem. Nach der wilden Achterbahnfahrt zuvor ein passender, bittersüßer Ausklang für »Diamonds & Freaks«.


ARE WE DIAMONDS, OR ARE WE FREAKS?

Ganz im Sinne von musikalischen Vorbildern wie P-Funk, Kendrick Lamar und OutKast ist »DIAMONDS & FREAKS« ein musikalischer Aufbruch. BLK ODYSSY brechen mit dem langweiligen, generischen Pop-Funk-Rap, der gerade unsere Radios bestimmt. Dadurch schaffen sie eine eigene Religion aus dessen Trümmern. Es ist Musik für Musikliebhaber. Die Geschichte wird langsam über das ganze Album erzählt. Ein Konzeptalbum, auf dem Begierde, Leidenschaft und nahezu alle Facetten von Intimität erforscht werden. Sam Houston läutet eine neue Era des Funks ein. Einhundert Prozent freaky, nasty und gleichzeitig aber auch sehr verletzlich und offen. Klar, es geht um Sex und Sex sells. Aber die Art und Weise, in welcher BLK ODYSSY darum ein ganzes Album entwerfen lässt uns nur den Hut ziehen.

Wer es schafft mit nur zwei Alben schon einen so komplett eigenen Sound zu kreieren, hat alle Lorbeeren verdient. »DIAMONDS & FREAKS« ist wie der Titel sagt ein Juwel für Freaks. Eine kleine musikalische Revolution von der immer gleichtönenden Einöde. Um Keisha Plums Worte zu wiederholen: „All that is good is nasty“ und das ist »Diamonds & Freaks« auf jeden Fall.  Nach Track 15 muss sich jede*r persönlich mit der Frage auseinandersetzen: Sind wir Diamanten oder Freaks?