Rapper mit Rockalben

“We the new rockstars” – Rapper mit Rockalben

“Lil Uzi is definitely the new pop star. Like, he’s definitely the new Blink-182.” Mit dieser Einschätzung gegenüber der GQ konnte A$AP Ferg den kulturellen Zeitgeist Anfang 2018 kaum besser treffen. Ein paar Jahre später und Uzi trägt rote Spikes, Playboi Carti hat bei seinen Live-Shows den DJ durch einen Gitarristen ersetzt und Travis Barker Dauerfeaturegast bei Machine Gun Kelly und Trippie Redd. 

Neue Trends und Sub-Kulturen entstehen in der Musik quasi täglich. Die lange Dominanz von Trap-Beats und Triplet-Flows à la »Versace« im Rap ist vor dem Hintergrund einer sich ansonsten immer schneller verändernden Musiklandschaft eine absolute Anomalie. Kein Wunder, dass neue (und alte) Sounds früher oder später den Status Quo aufmischen. Und wo Artists wie Lil Peep in ihrer Musik Trap-Elemente noch recht deutlich zur Schau gestellt haben, schwindet genau dieser Sound immer mehr zugunsten von Gitarrenriffs und Vocals wie aus den 2000ern.

Der zeitweise totgeglaubte Rock mit all seinen Sub-Genres ist alive und well. Neben dem Comeback von Avril Lavigne, neueren Acts wie Mod Sun, KennyHoopla oder YUNGBLUD spielen aber auch Rapper*innen eine große Rolle darin, E-Gitarren und Moshpits auf die ganz großen Bühnen zu holen. Dabei bräuchte es gar kein großes Revival, denn Crossover zwischen Rap und Rock gab es schon immer mit Kollabos zwischen Run-D.M.C und Aerosmith oder dem legendären Soundtrack von »Judgment Night«, auf dem vor 30 Jahren Rapper wie House Of Pain, Cypress Hill oder Onyx mit Bands wie Pearl Jam, Biohazard und Teenage Fanclub eine Brücke zwischen den beiden Genres bauten. In einem anderen Listicle haben wir uns bereits mit Kollaborationen zwischen Deutschrappern und Rocklegenden beschäftigt.

In dieser Liste wenden wir uns aber keinen Kollabos zu, sondern Alben von Rappern, die gänzlich dem Rock zuzuschreiben sind. Denn obwohl 4 davon in Anthony Fantanos Liste der schlechtesten Alben der 2010er auftauchen, versuchen sich immer wieder Rapper*innen an dem Genrewechsel.

1. Lil Wayne: »Rebirth« (2010)

2010 war definitiv eine andere Zeit. Barack Obama war noch in seiner ersten Amtszeit, Facebook war der Place to Be und kaum jemand hat noch offen angezweifelt, dass Lil Wayne der beste Rapper derzeit war. Nach dem gigantischen Erfolg von »Tha Carter III« schien Weezy die Welt zu Füßen zu liegen. Er hatte seine eigene Formel gefunden und so perfektioniert, dass ein Stilwechsel noch nicht nötig, aber durchaus sinnvoll erschien.

Mit »Rebirth« machte der Young Money Chef genau das, und zwar kompromissloser als das viele Fans erwartet und sich vermutlich gewünscht hatten. Mit den obligatorischen schwarz-weißen Vans auf dem Cover und einer E-Gitarre, die quasi Teil jedes Outfits wurde, präsentierte Lil Wayne auf Albumlänge einen Sound, der nicht allen zusagte. 

Er versuchte sich sogar selbst daran, Gitarre zu spielen, kam aber nie über ganz grundlegende Soli hinaus. Dies sorgte dann auch dafür, dass die Leadmelodien auf Songs wie »Prom Queen« oder »Da Da Da« keineswegs originell daherkamen. Was die Songs wirklich schwer zu ertragen machte, waren aber die Vocals selbst, die Weezy in Autotune nahezu ertränkte und damit sicherstellte, dass auch mit etwas Distanz bis auf »Drop The World« das Album nahezu unhörbar ist. Irgendwo ist es aber auch bewundernswert, wie sich ein Rapper an seinem absoluten Zenit zu so einem drastischen Schritt durchringt und sich freiwillig wieder in die Highschool zurückschickt.

2. B-Tight: »Drinne« (2012)

An seinem Zenit stand B-Tight nicht wirklich, als er auf Albumlänge mit dem Rock liebäugelte. Nachdem Aggro Berlin endgültig seine Pforten geschlossen hatte und nach der mäßigen Resonanz auf sein letztes Album »Goldständer« sah B-Tight scheinbar Grund für einen Neubeginn. 

Durch einen Kontakt zu den Emil Bulls kam Bobby auf den Geschmack, auf rockigeren Instrumentals zu rappen. So entstand dann auch ein ganzes Album mit Instrumentierung der Band, die nur noch durch Scratches von Beathovenz aka DJ Perez abgerundet wurde. Und auch wenn B-Tight gleich zu Beginn klarmacht “Das ist für die Hip-Hopper, das ist für die Rocker”, markiert der neue Sound »Drinne« doch einen deutlichen Shift für den Berliner.

Aber auch textlich ändert sich etwas auf »Drinne«. Nach vergangenen Releases, die immer mindestens in Richtung Index schielten, wirkt das Album deutlich harmloser. Obwohl der Humor und einige Zeilen auf Songs wie »Wenn ich komme« und »Tittenmaus« nicht besonders gut gealtert sind, sind sie doch weit entfernt von der Obszönität von B-Tights ersten Alben. Seine neue Massentauglichkeit bewies er dann auch mit einem Auftritt beim Bundesvision Song Contest, wo er mit den Emil Bulls die Hauptstadt vertreten durfte. 

3. Yelawolf: »Love Story« (2015)

Während viele Rockalben von Rappern eher Ausreißer in der Diskographie sind, markierte »Love Story« die Neuerfindung von einem Sound, dem Yelawolf noch bis heute treu bleibt und auf seinem letzten Album »Sometimes Y« mit Country-Sänger Shooter Jennings sogar noch weiter entwickelte.

Das Shady-Signing, das damals in aller Munde war, konnte mit seinem Debüt »Radioactive« leider nicht das Versprechen von Eminems Co-Sign einlösen. Nach einer längeren Phase, in denen Yelawolf nur ein Mixtape und die eher wenig beachtete EP mit Travis Barker »Psycho White« releaste, folgte mit »Love Story« dann der Befreiungsschlag. Das Album wurde vor allem in Yelas Heimatstadt Nashville aufgenommen und kanalisiert seine Südstaatenwurzeln in einen Sound, den es in der Form im Rap noch nicht gab. 

Neben dem erstaunlich radiotauglichen, aber eben auch eingängigen »American You« finden sich mit »Tennessee Love« und »Devil In My Veins« richtige Balladen auf dem Album, das in seiner Gesamtheit ein mehr als würdiges Bild von Yelawolfs bewegtem Leben zeichnet. Wenn dieser auf Songs wie »Till It’s Gone« oder »Best Friend« mit Labelboss Eminemdie neugefundenen Klänge mit seinen Rapwurzeln verbindet, entsteht ohne Zweifel sein bis dato bestes Material, das auch heute noch eine einnehmende Wirkung entfaltet.

4. Kid Cudi: »Speedin’ Bullet 2 Heaven« (2015)

Auch für Kid Cudi war sein Rock-Album nicht der einzige Berührungspunkt mit dem Genre. Bereits 2012 tat sich Mr. Rager mit seinem Produzenten Dot Da Genius zusammen für das gemeinsame Projekt WZRD, das ein gleichnamiges Album und mit »Teleport 2 Me, Jamie« auch einen Fan-Favoriten hervorgebracht hat. Drei Jahre später ist die Situation jedoch eine andere. Anstelle des Releases des langerwarteten dritten Teils der »Man On The Moon« Reihe folgten auf »WZRD« drei Alben, die weder bei Kritiker*innen noch Fans übermäßig großen Anklang fanden und in »Speedin’ Bullet 2 Heaven« kulminierten.

Das komplett selbst geschriebene und produzierte Album war selbst für eingefleischte Fans vom Lonely Stoner eine Herausforderung. Über 90 Minuten gab es das mit Abstand dunkelste und verstörendste Material von Kid Cudi bis dato zu hören. Von den Störgeräuschen, die den ersten Track einleiten, bis zu dem verlorenen Gitarrensolo, das das Album auf »MELTING« beendet, lässt Kid Cudi seinen Zuhörer*innen kaum Raum zu verschnaufen. 

Kid Cudi war zwar immer offen für Experimente, aber »Speedin’ Bullet 2 Heaven« ist gänzlich frei von Songs, die herkömmlichen Mustern folgen oder auch einfach nur das Bedürfnis der Fans nach Harmonie bedienten. Cudi selbst bezeichnete das Album später als einen “Hilferuf”. In einer Phase, in der es Kid Cudi laut eigener Aussage mental so schlecht wie noch nie ging, schreibt er über Themen wie Sucht auf »The Nothing« oder verarbeitet seine Suizidgedanken auf der Single »CONFUSED!«. Die rohe Verzweiflung und ungefilterten Gedanken trösten daher trotz allem Verriss, den das Album damals abbekommen hat, viele Fans bis heute. So finden sich auch knapp 7 Jahre nach Release und in einer Zeit, in der es Cudi offensichtlich deutlich besser geht, immer noch Kommentare unter den Songs, die darauf hindeuten, dass auch dieser Oddball in Kid Cudis Diskographie vielen Menschen durch schlechte Zeiten geholfen hat.

5. Logic: »Supermarket« (2019)

Seit Beginn seiner Karriere hat Logic nie so ganz in das Bild des klassischen Rappers gepasst. Trotz technischen Talents und großem Erfolg seiner ersten Album wurde der aus Maryland stammende Rapper von großen Teilen der Rap-Community immer eher belächelt. Dies hielt ihn 2019 aber nicht davon ab, ganz neue Wege einzuschlagen mit einem Album, das zwar durchaus Neues gewagt hat, aber nach Einschätzung vieler an der Ausführung gescheitert ist.

»Supermarket« erschien als Soundtrack zu einem gleichnamigen Roman, der mal eben auf die Spitze der New York Times Bestseller Liste kletterte. Neben dem unüblichen Format wurden Fans aber vor allem von dem Sound überrascht, denn Logic rappt auf »Supermarket« kaum, sondern versucht sich auf leichten Instrumentals irgendwo zwischen Stoner Rock und Alternative am Gesang. Dazwischen gibt es immer wieder Ausflüge wie auf »Lemon Drop«, das wie ein halbgarer Red Hot Chili Peppers Abklatsch klingt.

Auch auf »Supermarket« scheint durch, das Logic, der immerhin mal den gesamten Wu-Tang Clan auf einem Track versammelt hat, seine Inspiration vor allem in Old School Tracks findet. Seine Cover von »Can I Kick It« oder Biz Markie’s »Just A Friend« auf »Baby« sind aber so glattgebügelt geraten, dass sie den Originalen kaum gerecht werden. »Supermarket« sollte aber nur ein kleiner Sonderfall in Logics Diskographie bleiben, was dieser auch gerade mal zwei Monate später mit dem Release von »Confessions of a Dangerous Mind« deutlich machte. Und auch nach einem selbst für Rapper wirklich kurzen “Karriereende” klingt Logics Musik mittlerweile wieder deutlich mehr nach dem, was ihn ursprünglich groß gemacht hat.

6. Machine Gun Kelly: »Tickets To My Downfall« (2020)

Ebenfalls auch nie gänzlich von der Hip-Hop-Community akzeptiert, hat wohl niemand so erfolgreich einen Genrewechsel zum Rock vollzogen wie Machine Gun Kelly. Nachdem er im 2018er Beef mit Eminem und seinem Disstrack »RAP DEVIL« für viel Furore sorgte, schien der Weg für eine Neuorientierung danach geebnet. Spätestens auf dem letzten Song von seinem Album »Hotel Diablo« ein Jahr später war klar, in welchem Sound MGK seine Zukunft sah. Zusammen mit Travis Barker und YUNGBLUD lieferte er mit »I Think I’m OKAY« nicht nur einen seiner erfolgreichsten Songs bis dato sondern auch den Bauplan für »Tickets To My Downfall«.

Ohne seine Themenpalette von Songs über Drogen, Schicksalsschläge oder Liebe aufzugeben, verpasst er seinen Geschichten einen neuen Anstrich, für den Travis Barker maßgeblich verantwortlich ist. Der Ex-Drummer von Blink-182 war Rap zwar nie ein Fremder, erlebte durch seine Zusammenarbeit mit MGK aber eine Renaissance als Tastemaker für eine neue Generation von Artists, die immer offener mit Pop-Punk liebäugeln. 

Kein Wunder, denn auch wenn Machine Gun Kelly und Barker das Rad nicht neu erfinden und so ziemlich jedes Klischee inklusive Teenage-Kurzfilm im obligatorischen Highschool-Setting erfüllen, ergibt die Kombi aus MGKs Vocals und Travis’ Instrumentierung einfach Sinn. Kelly klingt mehr in seinem Element denn je und erreicht mit »Tickets To My Downfall« zum ersten Mal die Spitze der Charts. Wenig überraschend bleibt er diesem Sound auch auf dem Nachfolger »mainstream sellout« (vielleicht etwas zu) treu. Immerhin gab er hier Lil Wayne die Chance, seine eigenen Rockertage gleich zwei Mal wieder aufleben zu lassen. Genau diese Kombos zeigen zudem, welche Türen »Rebirth« damals aufgestoßen hat.

7. Trippie Redd: »Pegasus: Neon Shark vs Pegasus« (2021)

Wie wichtig Travis Barker für die neue Generation geworden ist, zeigt auch die Deluxe-Version von Trippie Redds Album »Pegasus«. Ähnlich wie schon Nav und Lil Uzi Vert machte sich Trippie Redd 2021 den Trend der immer länger werdenden Deluxe-Versionen zu eigen und verpasste seinem dritten Studioalbum ganze 14 neue Songs, die genauso gut ein eigenes Album sein könnten. Während andere sich bis dato auf Deluxe-Versionen meist treu geblieben sind, klingt »Neon Shark« gänzlich anders als das nicht gerade wohlwollend aufgenommene »Pegasus«.

Auch auf »Neon Shark« hören wir auf jedem Song Travis Barker am Schlagzeug, der im direkten Vergleich zu »Tickets To My Downfall« nochmal einen Gang höher schaltet und Songs wie »SEA WORLD« in ein wahres Inferno verwandelt. Trippie, der selber mit seiner Stimme sowieso nie nur reinen Rap gemacht hat, fügt sich manchmal durchaus gut ein und schreit sich mit viel Ausdruck die Seele aus dem Leib. 

Trippies Affinität zum Rock zahlt sich dann auch auf »GERONIMO« aus, auf dem er Chino Moreno, den Frontmann von Deftones als Feature gewinnen konnte. Auf der Hook offenbart sich aber auch der größte Schwachpunkt des Albums. Denn stimmlich fehlt Trippie für so ein richtiges Rock-Album dann vielleicht doch die nötige Raffinesse. Das gemischte Feedback ist daher auch wenig überraschend. Viel interessanter ist eher, wie wenig Beachtung diesem Album ansonsten geschenkt wurde. Vielleicht ist das aber auch nur ein Symptom dafür, wie fest verankert Rockeinflüsse in manchen Sparten des Hip-Hop mittlerweile sind.

8. Lil Yachty: »Let’s Start Here.« (2023)

Lil Yachty brachte nicht nur das Wock nach Poland, sondern mit »Let’s Start Here.« auch eine der größten Überraschungen des bisherigen Jahres auf den Markt. Der 25-Jährige, der bisher vor allem für seinen exzentrischen Style und Lines wie “She blow that dick like a cello” bekannt war, hatte für sein fünftes Album offenbar ganz andere Ambitionen.

Schon der Teaser »Department of Mental Tranquility« deutete an, dass Yachty auf »Let’s Start Here.« eine größere Vision verfolgte. Mit dem Release überraschte er die gesamte Szene, egal wie gut man mit seinem bisherigen Schaffen vertraut war. Lediglich der Remix von Tame Impalas »Breathe Deeper« hätte ahnen lassen können, welchen Sound Lil Yachty einschlagen würde.

»Let’s Start Here.« macht dabei keinen Hehl aus seinen Einflüssen. Auf »the ride-« lässt sich die Zusammenarbeit mit Kevin Parker gut raushören und auch die Credits von MGMTs Benjamin Goldwasser auf »drive ME crazy!« oder Jake Portrait von Unknown Mortal Orchestra auf jedem zweiten Track hört man auf jeden Fall raus. Überhaupt hat Lil Yachty mit diesem Album etwas geschafft, was den wenigsten Rappern in dieser Liste gelungen ist: ein Album, das sowohl eingefleischte Fans als auch diejenigen gerne hören, die eher im Rock selbst verankert sind. 

Unsere Liste ließe sich ohne Probleme noch um weitere Alben erweitern. Jan Delays »Hammer und Michel« und G-Eazys »Everything’s Strange Here« sind nur zwei weitere Beispiele. Erst letzten Freitag erschien zudem mit »UGLY« das dritte Album von slowthai, für das er mit der Post-Punk-Band Fontaines D.C. zusammengearbeitet hat und selber zum ersten Mal zur Gitarre greift. Die Orientierung an Rock und Punk nicht nur in Ästhetik und Outfits sollte jedenfalls auch in Zukunft für viele weitere interessante Crossover zwischen den Genres sorgen. Wir bleiben gespannt.