Die Alben des Monats | Oktober 2023

Während der November schon wieder voll angelaufen ist, werfen wir den Blick noch einmal zurück auf den Oktober und all die Alben, die dort erschienen sind.

Und in diesem Monat ist wirklich eine ganze Reihe an dopen Releases erschienen, die die Wahl auf lediglich drei Alben des Monats nicht wirklich erleichtert haben. Die Wahl fiel schlussendlich auf drei Projekte, die in Aufmachung nicht unterschiedlicher sein könnten – und doch alle auf ihre Art und Weise großes Handwerk sind. Das eine ist von dem momentan vielleicht gehyptesten New Wave-Künstler, den Deutschland derzeit zu bieten hat und bietet erstmals über eine halbe Stunde Musik auf einem Projekt. Das nächste ist ebenfalls von einer Newcomerin mit Techno-Poprap Anfängen, die allerdings auf ihrem neuen Album einen gänzlich anderen Pfad einschlägt. Zu guter Letzt findet sich eine Künstlerin in den Top 3 Alben des Monats wieder, die alleine mindestens doppelt so lange dabei ist wie die anderen beiden zusammen. Ihr neues Album kann aufgrund ihres Status in der Musikszene sogar ein Feature von none other than Ghostface Killah aufweisen.

Die Rede ist natürlich von Ski Aggu und seinem Nummer 1-Album »denk mal drüber nach..«, von Dilla und ihrem Debüt »Also bin ich« und schlussendlich von Joy Denalane und ihrem mittlerweile fünften Album »WILLPOWER«.

Dilla – Also bin ich

Cover via TwoSides / Four Music / Sony Music

Dilla: Der Name steht seit zwei Jahren nicht mehr nur für den zweiten Namensteil einer viel zu früh verstorbene amerikanische Producerlegende, sondern auch für energiereiche Up-Tempo Songs, die mittlerweile auf keiner Party mehr fehlen. Tracks wie die emi x-gefeatureten »Photosynthese« oder »Unter ihrem Dress« sind dabei aber seit Anfang an nur die eine Seite der Medaille. Immer wieder mischten sich unter ihre poppigen bis technoiden Songs auch Balladen wie »Junge« oder pop-punkige Ausflüge wie auf »Girls«.

Single an Single reihte sich so über die vergangenen Jahre aneinander und immer wieder überraschte die Wahlberlinerin ihrer Zuhörer*innenschaft mit einer neuen und dennoch sofort vertrauten Facette ihrer Musik. Nach knapp zwei Jahren in der Szene folgte im Oktober aber nun der nächste große Schritt: Das Debütalbum. Und spätestens hier zeigt sich bei aufstrebenden New Wave-Künstler*innen häufig, wer imstande ist, über eingängige aber eben doch recht schnell verhallende Singles hinauszugehen.

Und bei Dilla deutet spätestens seit diesem Release alles daraufhin, dass sie auf jeden Fall dazu gehört. Wer nämlich dachte, die Dilla-Erfolgsformel sei so langsam durchgespielt, wird eines besseren belehrt. Im Prinzip gibt es nämlich gar keine Formel, wie spätestens auf diesem Album deutlich wird. Stattdessen zeigt die Musikerin auf »Also bin ich« einen erneuten Kurswechsel. Die Techno-Pop Hymnen, für die sie vielleicht am bekanntesten ist, fehlen gänzlich, stattdessen dominieren mit einem Mal nostalgische 80’s Reminiszenzen mit ganz viel Synth und jeder Menge NDW-Anleihen. Das zieht sich recht stringent durch das Album und gibt so einen ziemlich konstanten Untergrund, auf dem Dilla wiederum ziemlich unterschiedliche Inhalte verpackt. Mit Ausnahme von Seit-Anfang-An-Wegbegleiter TimmyT gibt es keine Features auf den elf Tracks und dadurch ganz viel Raum, um etwas mehr über den Menschen hinter Musik zu erfahren. Sei es ihre titelgebende Interesse an der »Philosophie«, ihr in die Existenz gesprochenes »Star«dasein oder die Worte, die sie ihrer »Mama« schon immer einmal mitgegeben haben wollte: Nie äußerte sich Dilla direkter und unverschachtelter als auf ihrem Debütalbum.

Das unterstreicht dann ein weiteres Mal, dass Dillas Hype der letzten Jahre eben nicht nur von kurzer Dauer sein wird, sondern dass ihr Sound Substanz hat und vor allem noch eine ganze Menge an Überraschungen parat haben dürfte.

– Matthi Hilge

Ski Aggu – denk mal drüber nach..

Cover via jungeratze

Ski Aggu hat es geschafft. Innerhalb von 3 Jahren hat er die deutschen Charts im Sturm erobert und scheint dabei den Spaß an der Sache keinesfalls verloren zu haben. Kaum ein deutscher Artist versteht es so gut, sich dermaßen effektiv und nahbar via TikTok und co. zu vermarkten. Wohl keiner kann sich mit dem aktuellen Hype und Superstar-Appeal des Berliners messen. Ski Aggu scheint den Nerv einer ganzen ganzen Generation zu treffen und ist spätestens seit »Friesenjung« „in aller Munde wie Elfbar“. Nach diesem – seinem ersten – Nummer-1-Hit, hat nun auch sein zweites Tape die Spitze der Charts erreicht. Doch wird »denk mal drüber nach…« dem Hype auch gerecht?

Der Single-Grind bis zum Tape wurde mit der Zeit schon ein wenig eintönig. Woche für Woche konnte man einen neuen Ski Aggu Track nach immer gleichem Schema im Release Radar entdecken. 7 von 14 Songs waren bereits vorab bekannt und schlugen zum größten Teil in die gleiche Kerbe: Gen-Z tauglicher Raver-Rap auf wummernden 4-To-The-Floor-Beats mit mal mehr mal weniger innovativen Wortspielen. Der Erfolg gibt ihm wohl bis heute recht. Dennoch war es erfrischend, auf den übrigen 7 Songs endlich mal wieder ein paar andere Facetten des selbsternannten Bundeskanzlerkandidaten hören zu können. 

So erinnert der verspielte Trapbeat auf »vodka soda« stark an Ski Aggus musikalische Anfänge und wird nicht zuletzt durch den starken Featurepart von Sampagne zu einem echten Highlight des Albums. Auch »negativer rizz« begeistert durch die angenehme Harmonie aus lockerem Storytelling, melodischem Flow und melodischem Beat. 

Inhaltlich passiert nach wie vor nicht wirklich viel im Ski Aggu Kosmos. Mal ist der Wilmersdorfer verliebt und überglücklich, mal verliebt und traurig und andere Male möchte er sich einfach nur in schnellen Flirts verlieren. Stets erzählt er jedoch aus einer egozentrischen und nicht wirklich vielschichtigen Perspektive. Das ist für eine Weile unterhaltsam, auf Dauer lässt es aber doch eine gewisse Tiefe vermissen.

Auch das Drogenthema wird überstrapaziert und lediglich auf »nicht nachmachen« äußerst halbherzig reflektiert. Zwischen Ketamin, Kokain und Kappies bleibt Ski Aggu der verklatschte Lebemacker. Er ist sicher nicht das erste schlechte Vorbild der Deutschrapgeschichte und doch stellt sich die Frage, wie lange diese Masche noch aufgehen kann. Immerhin weiß er hin und wieder auch wichtige Messages einzustreuen, zum Beispiel zur entscheidenden Bedeutung von Konsens beim Flirten (»Maximum Rizz«). 

Viel mehr als schnelllebigen Partyrap kann er derzeit dennoch nicht liefern. Wahrscheinlich ist das auch gar nicht sein Anspruch. Ski Aggu lebt eine Kunstfigur und das mit Erfolg. Ob sein kommendes Debütalbum mehr Tiefe und Abwechslung liefert, bleibt abzuwarten. Den Freigeist Aggu in ein Albumkonzept gezwängt zu erleben, scheint aktuell noch schwer vorstellbar.

– Magnus Menzer

– Magnus Menzer

Joy Denalane – WILLPOWER

Joy Denalane entführt uns mit »Willpower« in die Seele des 70er-Jahre-Souls und verwebt dabei geschickt ihre persönlichen Lebensgeschichten. Sie verarbeitet den Verlust ihres Vaters ebenso wie das Erwachsenwerden ihrer Kinder. Ihre Musik, die sich anfühlt, als wäre sie direkt aus den Herzen von Philadelphia, New York oder Miami entsprungen, ist eine Verneigung vor den großen Namen des Soul und R&B, durch die sie den Spirit der Vergangenheit in die Gegenwart trägt.

Die Veröffentlichung von »Willpower« fällt zusammen mit dem Debütalbum ihres Sohnes Isaiah, was die musikalische Familie in den Fokus rückt. Isaiah zeigt sich in unserem Interview als eigenständiger Künstler, der über seinen Heimatbezirk Charlottenburg und die Prägung durch seinen Großvater spricht. Checkt das Interview für die ganze Story hier.

Produziert wurde »Willpower« von Max Herre, nicht nur Joys Ehemann und damit verbunden auch Isaiahs Vater, sondern auch ein langjähriger Weggefährte ihres musikalischen Werdegangs. Seine Handschrift ist unverkennbar und verstärkt die authentische Soul-Atmosphäre, die sich besonders in Liedern wie »Happy« zeigt, der Zusammenarbeit mit Ghostface Killah vom Wu-Tang und einer Hommage an ihren Vater.

Joy Denalane präsentiert sich auf »Willpower« als eine Künstlerin, die mit Selbstbewusstsein und Respekt vor der Vergangenheit den Herausforderungen des Lebens begegnet und dabei stets nach vorne schaut. Ihre Musik verliert nie an Authentizität und bleibt relevant, selbst wenn sich der Zeitgeist wandelt.

– Krow