Alben des Monats | Januar 2022

Nach einer kleinen Winterpause sind nun die Alben des Monats zurück!
Die Redaktion hat sich eingeschlossen und für euch geschaut welches die Highlights aus dem Januar sind.
Eins ist klar, an OG Keemo’s »Mann beisst Hund« war die letzten Wochen kein Vorbeikommen. Er und Funkvater Frank haben abgeliefert und die ohnehin schon hohen Erwartungen erfüllt. Auch wenn das Album durch seine mediale Präsenz vieles an weiteren Neuerscheinungen ein wenig überschattet hat, konnten sich zwei weitere junge Künstler*innen mit ihren Releases aus dem Schatten ins Licht hervor kämpfen. Mit Apsilon’s Debüt EP »Gast« und LIZ’ Zweitlingswerk »Mona Liza« wurde der Januar um zwei weitere Releases bereichert, die zwar unterschiedlicher nicht sein könnten, aber dennoch absolut hörenswert sind. 

LIZ – Mona Liza

Klar, Straßenrap ist in 2021 nicht gänzlich verloren gegangen aber so ein wenig abgelöst wurde das ehemals regierende Subgenre trotzdem mittlerweile. Weniger scheren könnte das LIZ aber gar nicht, wenn sie auf ihrem neuen Album »Mona Liza« unvermittelt den Rap direkt wieder auf die Straße bringt.

Albumcover »Mona Liza«

Wenn es einem auf dem Titeltrack „Roll’ durch FFM, mit mir ein, zwei Kirros / Steige aus dem Benz in ‘nem Eintracht-Trikot“ entgegenschallt fühlt man sich unweigerlich in den Azzlack-regierten Süden der anfänglichen 2010er zurückversetzt – und das nicht ohne Grund. Seitdem sich LIZ vor gut einem Jahr mit ihrem Debüt »Bleibe Echt« auf der Deutschrap-Karte festgesetzt hat, werden FFM und OF repräsentiert wo es nur geht. Wie schon Haftbefehl, Schwesta Ewa oder Celo & Abdi vor gut zehn Jahren vermittelt die Anfangzwanzigjährige mit ihren roughen Lines und slangdurchzogenen Erzählungen ungeschönte Einblicke in die Straßenwelt.  Durch das Album hindurch bricht die harte Seite der Rapperin aber auch immer wieder auf und sie lässt viel Einblick in ihr Seelenleben zu. Ob es die Begegnung mit ihrer blinden Mutter vor einem Konzert ist oder die Reflektion der Beziehung zu ihrem Vater – LIZ scheut nicht davor zurück, auch die weichen Seiten ihres Lebens in ihre Musik aufzunehmen. 

Das macht letzten Endes auch die Kunst ihrer ganz eigenen »Mona Liza« aus, denn dieser Facettenreichtum gepaart mit 2010er-Nostalgie lässt LIZ neuen Langspieler frischen Wind in die Deutschrap-Szene der 2020er bringen.

– Matthi Hilge

Apsilon – Gast (EP)

Kurz vor Ende des letzten Jahres rüttelt ein Berliner die pandemiemüde Szene noch einmal ordentlich wach. Mal wieder ein Berliner, klar, aber einer der deutlich heraussticht aus dem großen Trap-Kosmos der Hauptstadt. Ungestüm, unverblümt und unbequem ehrlich zeigt Apsilon vor allem eins – Haltung.

EP Cover »Gast«

Mit Beginn des neuen Jahres und dem Release seiner Debüt-EP »Gast« scheint sein Name nun in aller Munde. Denn Apsilon schafft, woran zahlreiche Artists vor ihm gescheitert sind – er liefert politischen Rap, der weder gestellt noch unangenehm sondern vor allem authentisch und dazu auch noch musikalisch absolut hörbar daherkommt. Schon seine massive Stimme verleiht jeder Zeile enormes Gewicht. Minimalistische basslastige Beats von unter anderem Ahzumjot und Cato unterstreichen diese Wirkung nochmal und setzen Apsilons Schmerz und Frust ins rechte Rampenlicht. Das weiß der Moabiter zu nutzen wie kaum ein anderer im Moment, denn ihm brennt ganz offensichtlich einiges auf der Seele.

Opa für drei Groschen am Tag malochert
Jeden Monat bis zur Ohnmacht für den Tagelohn, ah
Kohlenstaub geschluckt für euren Nachkriegswohlstand
Minusgrade draußen, Minusgrad im Torax

Apsilon – Köfte

Apsilon gibt all jenen eine Stimme die aufgrund ihrer sozialen Stellung an den Rand der Gesellschaft gedrängt, auf ihren Migrationshintergrund reduziert und schon mit ihrer Geburt vorverurteilt werden. Er distanziert sich klar von der Vorstellung, sich in irgendeiner Form rechtfertigen zu müssen, kontert stattdessen mit messerscharfen Gesellschaftsanalysen, legt den Finger in die Wunde und geht Zeile für Zeile tiefer unter die Haut. Er wird seit jeher als ungebetener Gast behandelt und sieht folglich keinen Grund dafür, eine andere Rolle einzunehmen.
Trotz all diesem Schmerz spricht enorm viel Kraft aus Apsilons Texten. Mut, Solidarität und Stolz auf die geteilte Identität vermittelt er jenen, die sein Schicksal teilen. Allen, die nicht in seiner Welt aufgewachsen sind, liefert er wichtige Einblicke. Im Herzstück der EP »Köfte« rappt er:

Ich brauchte dreiundzwanzig Jahre, bis ich merkte, dass ich statt zweien keine Heimat habe, außer meine eigene Straße und den Kiez, in dem wir war’n, ja.
Die Beats, auf die ich sprach(…)

Apsilon – Köfte

Eben diese Heimat kann die Musik für ihn sein und für alle Heimatlosen, die sich in seinen Zeilen wiederfinden.
»Gast« ist somit Anklage, Aufklärung und Zuflucht zugleich und wird in seiner puren Ehrlichkeit noch einige Zeit nachhallen.

– Magnus Menzer

OG Keemo – Mann beisst Hund

Und der Oscar geht an: MbH. Komponiert vom kinematographischen Einmann Orchester namens Funkvater Frank, liefert OG Keemo, der für diesen musikalischen Film gleich in mehrere Rollen schlüpft, seine bis dato beste Performance. 

Albumcover »Mann beisst Hund«

Nach ihrem gefeierten Debütalbum »Geist« und einer für die von Schnelllebigkeit dominierte Musikszene verhältnismäßig lange Wartezeit von 2 Jahren, waren die Erwartungen an das zweite Studioalbum des dynamischen Duos aus Mannheim dementsprechend groß. Und wie wir seit dem 7. Januar wissen, wurden diese Erwartungen mehr als nur erfüllt. 
Keemo nimmt den Zuhörer auf »Mann beisst Hund« mit auf eine autobiographische Reise von seiner Jugendzeit in der Siedlung (»Anfang«) bis hin zur Gegenwart, „5 Wochentage vor der Albumabgabe“ (»Ende«)

Erzählt wird die Geschichte aus den Perspektiven der 3 halbfiktiven Charaktere Yasha, Malik und Kareem. Das in Deutschland unantastbare  Storytelling Keemo’s, gepaart mit Franky’s filmreifer Produktion, erzeugen bei den Hörer*innen einen Kinofilm, der sich im Kopf abspielt und dessen Dramaturgie und Spannung, dank der unerwarteten Reimsetzung und der ebenso wenig vorhersehbaren musikalischen Details und Beatswitches  zu keinem Zeitpunkt abflacht. »Mann beisst Hund« als frischen Wind in der sonst so austauschbaren und für den schnellen Profit konzipierten deutschen Hip-Hop-Landschaft zu bezeichnen wäre eine Untertreibung. Dieses Album ist viel mehr ein Orkan, dessen Auswirkung auch noch lange nach seinem ersten Aufkommen spürbar sein werden. 

Auch wenn das Release erst einen knappen Monat zurück liegt, lehnt man sich mit der Behauptung, dass OG Keemo und Funkvater Frank ein zeitloses Album gelungen ist, wirklich nicht zu weit aus dem Fenster.

– Fynn Pschiuk