Alben des Monats: August 2022

Alben des Monats | August 2022

Der August geht vorüber und hat uns einiges an neuer Musik in die Playlisten gespült. Cro schickte uns aus Bali sein neues Album »11:11« und hält den Output weiter hoch. Conny, releaste jüngst am Freitag den zweiten Teil seiner »Manic Pixie Dream Boy«-Reihe, konfrontativer, direkter und weniger pink, aber keinen Deut schlechter als der Vorgänger. Und dann war da ja auch noch DIKKA, das rappende Nashorn meldete sich zurück mit seinem Album »Boom Shakalaka«, das mit Gewissheit einige Kinderzimmer zum Bouncen bringen wird.
Doch die Highlights der Redaktion kommen von Lance Butters, Sportler99 und Newcomer Alieu. Wie, weshalb, warum erfahrt ihr hier.

Lance Butters – Sommer EP

AdM Lance Butters - Sommer EP
Cover via Corn Dawg Records / Virgin Music / Universal Music

Der Titel lässt erstmal nichts Böses vermuten. Eine »Sommer«-EP, veröffentlicht im August. Klare Sache sollte man meinen, doch wer das denkt, hat die letzten Jahre Lance Butters wohl verschlafen: Vorbei sind die Zeiten vom ultralockeren Rappen über »girls x kush x cash«, schon seit längerer Zeit ist der Rapper mit der weißen Maske in seinen Texten tiefschürfend und unglaublich ehrlich beim Versuch, die eigenen Abgründe in Musikform zu verarbeiten. Nein, mit dem klischeehaften Bild eines leichten Sommers voller Unbeschwertheit hat es wirklich nicht mehr viel zu tun, wenn Lance gleich auf dem titelgebenden Introtrack der 7-Track-EP von giftigem Leben oder lieblosem Alltag rappt und sich die Frage stellt, wer ihn eigentlich rettet.

Auch auf den weiteren Tracks zeichnet sich ein ähnliches Bild: Auf »Knock Knock« (das mit einem großartigen Performance-Video daherkommt) wird eine kommende und vor allem bleibende Depression thematisiert. Auch »Stille« und die erste ausgekoppelte Single »2019« schlagen in die thematisch selbe Kerbe. Keine Frage, Lance rechnet viel ab, vor allem mit sich selbst – etwa wenn Zeilen wie „Man ständig nur scheitert an jeder Beziehung / Weil man wohl schon früher keine Nähe verdiente“ aufkommen.

Dazwischen wird aber immer wieder auch mit anderen abgerechnet. »Nein« etwa versucht sich an einem Abarbeiten von gesellschaftlichen Debatten, »Kopf (Freestyle)« ist eine entschiedene Auseinandersetzung mit den Machenschaften hiesigen Rapperkolleg*innen und »Shove It Pop« lässt an Lances‘ Battlerap-Vergangenheit erinnern.

Dass Lance Butters seine inneren Dämonen musikalisch wie kaum ein Zweiter in Deutschland verarbeiten kann, ist spätestens seit »ANGST« Breitenwissen. Umso interessanter wird es, wenn auch die nachfolgenden Projekte kein Stück an Inhalt verlieren und das Themenfeld nur tiefer ergründen, anstatt es immer wieder gleich zu erzählen. Die »Sommer«-EP reiht sich hier ein und geht noch einen Schritt weiter, wenn Lance zum ersten Mal seine Depressionen klar benennt und sich in gewohnt introspektiver und schonungsloser Form seine Psyche aufs Blatt bringt.

Sommergefühle kommen dabei trotzdem nicht gerade auf – aber das ist schon lange nicht mehr das Ziel von Lance Butters.

– Matthi Hilge

Alieu – Sidekick & Friends (EP)

Cover via Alieu

Da ist sie wieder! Lange verloren geglaubt und doch am Leben: Die Hoffnung für deutschen R&B. Spätestens seit dem 26.08. dieses Jahres reiht sich ein weiterer Name in die Garde der Hoffnungsträger ein: Alieu, ein junger Frankfurter mit der vielleicht wärmsten Stimme Deutschlands.

Noch reicht sein Fokus zwar nach eigener Aussage ausschließlich von Miete zu Miete, doch das große Potenzial lässt sich nach dieser Debüt-EP schlecht kleinreden. 

Denn Alieu beschenkt uns mit einem Sound, der so geschmeidig daherkommt wie sein Name. Seidenweich schmeichelt seine sanfte Stimme smoothen Instrumentals, sodass sich »Sidekick & Friends« anhört, wie die Vertonung der Comfort Zone – und das im besten Sinne.

Alieu berichtet vom Alleinsein und Zu-Hause-Bleiben, von eigenen Ängsten, fremden Zweifeln und depressiven Schüben, behält dabei aber stets etwas ganz Grundlegendes: Zuversicht. Seien es negative Gedanken oder positive Erkenntnisse, Alieu nimmt sie auf und sich ihrer an, um sie in Self Care, Patience und »Growth« sowie ganz offensichtlich in Musik zu verarbeiten. Daraus resultiert ein aufrichtig ermutigendes Hörerlebnis, das gleichermaßen zur Selbstreflexion anregt, wie es zum Durchatmen einlädt. Eine EP wie eine Meditationseinheit – 17 Minuten Frieden, die keinen Grund geben, dem Spotify Loop-Button seine grüne Farbe zu nehmen. Man möchte den gemütlichsten Platz seiner Wohnung aufsuchen, die Augen schließen und von Alieu therapiert die Zeit vergessen.

Ich zähl’ bis drei, atme tiefer ein

und was noch bleibt, weiß ich, wenn ich’s weiß.

Alieu – Was noch bleibt

Über Freund und Produzent Jakepot (auf dessen Cypher er beim Blend Festival bereits ein paar seiner Songs performen konnte) scheint Alieu den Weg in ein anregendes musikalisches Umfeld gefunden zu haben. Auch mit Gianni Suave hat er bereits zusammengearbeitet (»Immer«). Man kann also gespannt bleiben, mit welchen Projekten und Kollaborationen er in Zukunft begeistern wird.

Nun mag es noch ein weiter Weg zum Retter des deutschen R&B sein, doch den einen oder anderen Tag wird Alieu seiner Hörerschaft schon jetzt gerettet haben und am Ende ist es die eigene Losung, der er Geduld und Hoffnung schenken darf: 

Ich gebe nicht klein bei. (…) Alles kommt schon mit der Zeit.

– Magnus Menzer

Sportler99 – Sachlich bleiben

Cover via Copyright Control / Sportler99

Viel ist nicht bekannt über die wahre Identität, die sich hinter der Kunstfigur von Sportler99 verbirgt. Vermutungen wurden teils schon laut, dass es sich hierbei um ein weiteres Alias von Karate Andi handeln solle. Zwar sind das alles nur Spekulationen, was aber festgehalten werden kann: musikalisch und inhaltlich reiht sich Sportler99 nahtlos in die restliche Human Traffic Gang ein.

Nach mehreren Solo EPs und Kollabo-Projekten mit John Borno und Tiger104, veröffentlichte Sportler am 19. August seine erste eigene LP »Sachlich Bleiben«. Auf der ausschließlich von Hoods produzierten LP erzählt er mit einer gesunden Portion Selbstironie über seinen Alltag als Junkie und bekundet, ganz sachlich natürlich, seine Abneigung gegenüber einer in seinen Augen sehr uninspirierten Deutschrap Szene.

Während deutsche Rapper sich anmaßen, dass sie Musik machen nehm ich LSD und geh auf Safari im Blumenkasten

Sportler99 – Schwimmflügel

Musikalisch orientiert sich Producer Hoods am Memphis Hip-Hop. Auf wirklich viel Abwechslung sowohl Beat-technisch als auch thematisch sollte man sich bei diesem Projekt jedoch nicht freuen. Sportler99 bleibt eben ganz sachlich bei seinen Stärken und sorgt durch humoristisch hochwertige Punchlines für gute, kurzweilige Unterhaltung.

– Fynn Pschiuk