Alben des Monats: April 2022

Alben des Monats | April 2022

Bevor heute Nacht wieder die neue Flutwelle an Releases auf uns losgelassen wird und wir in einen vollen Mai steuern, fällt der Blick heute nochmal zurück auf den April, der seinerseits für viel Auswahl an guten Alben gesorgt hat.

Neben starken Releases von u.a. Disarstar & Jugglerz, Kamp & Fid Mella oder Ulysse haben es uns aber drei Veröffentlichungen aus ganz unterschiedlichen Ecken ganz besonders angetan. Paula Hartmann führt auf ihrem Debütalbum ihre Erfolgsgeschichte der letzten Monate aus und veröffentlicht ein kleines Märchen in Audioform. 3Plusss kehrt nach langer Zeit ohne Album zurück, um sich auf »weine jetzt, lache später« gewohnt bissig gesellschaftlichen Misständen hinzugeben. Viko63 & penglord entfernen sich dagegen in einer Art 180 Grad-Drehung von ihren alkoholgeschwängerten Rave/Hip-Hop-Tracks á la »Mucho Gusto« und verfallen auf »Strada d’Amore« in deutlich seichtere Töne.

Paula Hartmann – Nie verliebt und andere Gute-Nacht-Geschichten

Albumcover »Nie verliebt«

Paula Hartmann‘s Weg in die Musikszene ist beinahe märchenhaft gewesen: Bereits mit der ersten veröffentlichten Single 2021 machte die bis dato eher als Schauspielerin bekannte Paula schlagartig auf sich aufmerksam. Ihre Coming-of-Age Poesie und eine allgemein große Hingabe zum Texten ließen viele Menschen in Deutschland sofort zu Fans werden, unter ihnen auch namhafte Artists wie Haftbefehl oder Apache207, die sich per Social Media begeistert zeigten.

Es folgten weitere Singleveröffentlichungen in regelmäßigen Abständen, ein gegebenes Feature bei Luvre47 sowie ein erhaltenes Feature von Casper. Das alles führte jetzt, im April 2022, zum Debütalbum der Berliner Künstlerin. Und das ist beinah ebenso märchenhaft wie ihr Aufstieg, denn alleine die Aufmachung des Albums erinnert mit seinen Referenzen doch stark an Erzählungen wie Rotkäppchen oder Bambi. Die Detailverliebtheit, die sich im Visuellen wiederfindet, ist auch in den Songs zu hören. Mit ihren kurzen, teilweise nur aus Nomenabfolgen bestehenden Textpassagen, erzeugt sie schwammige Bilder vor dem inneren Auge, die sich erst nach mehrmaligem Hören so richtig erschließen.

Zwar sind nur drei der neun Tracks des Debüts “neu”, aber in einem Albumkontext entfalten Tracks wie »Nie verliebt« als Intro oder »Truman Show Boot« als Outro nochmal eine ganz neue Wirkung. Aber nicht nur die bekannten Tracks ziehen: Mit »Veuve« hat Paula derweil einen der vielleicht stärksten Tracks des Album bis zum Release gänzlich vorenthalten. Nach dem Ein- und Auftauchen aus dem modernen Märchen Paula Hartmanns steht fest: Erzählungen aus dem Alltag junger Heranwachsender in Großstädten mit all ihren Identitäts-, Beziehungs- oder Sinnkrisen malt sie momentan wie kaum jemand anderes so großflächig und nachfühlbar auf.

Matthi Hilge

3Plusss – weine jetzt, lache später

Albumcover »weine jetzt, lache später«

Das selbsternannte „Guilty pleasure deiner Lieblingsrapper“ meldet sich nach sechsjähriger Albumsabstinenz mit »weine jetzt, lache später« stärker denn je zurück. Zwischen „Aggros und Depris“ rechnet 3Plusss mit der Rapszene, gesellschaftlichen Missständen und vor allem mit sich selbst und seinen inneren Abgründen und seiner Depression ab. Ein Album, das in den Jahren einer Pandemie entstanden ist und genau das widerspiegelt. Wenig Hoffnung und Schönreden, dafür bittere Realität und ungeschönte Wahrheiten. Oder um es in 3Plusss’s Worten zu sagen „Ganz viel Panik – keine Disco“. Der ehemalige Battlerapper aus Essen hat in den vergangen Jahren einiges an Aggression aufgestaut, die er auf zehn abwechslungsreichen Tracks rauslässt und dabei neben seiner gewohnten Gesellschaftskritik, vor allem die deutsche Rapszene ins Visier und kein Blatt vor den Mund nimmt.

Wenn man deutschen Rap auf Wish bestellt, bekommt man deutschen Rap ein teurer Fake

3Plusss auf NUMMER LEIDER

Neben seiner erfrischend innovativen Lyrik und aggressiven Delivery, erteilt auch seine Beatselection der Durchschnittlichkeit eine Absage. Anstelle von mediokren „Modus Mio-typischen“ 808 Drums treten experimentelle Sounds und unerwartete Drum patterns auf, die der Schwere der behandelten  Themen und der Hoffnungslosigkeit der aktuellen Situation Ausdruck verleihen und ein insgesamt sehr düsteres Klangbild erschaffen. Als einziger Featuregast sorgt kein geringerer als Tua auf dem Track »Na dann« für eines der Highlights auf dem Album und reiht sich mit seiner unverwechselbaren Stimme perfekt in den düsteren Tenor der Platte ein. 


3Plusss hat es geschafft, ein Album zu kreieren, das obwohl es nach „Pisse und selbstgedrehten Kippen riecht“ für die Hörerschaft trotzdem genießbar ist, und sich von der homogenen Masse der deutschen Rapszene abhebt. 

Fynn Pschiuk

Viko63 & penglord – Strada d’Amore

Albumcover »Strada d’Amore«

Der Hype war groß im letzten Sommer. Eine Aboveground Session, ein Mostdope Next Up und plötzlich findet das ganze Internet „Wein Mucho Gusto”. Twitter, Instagram, TikTok – alle versuchen sich gegenseitig mit Memes zu übertreffen und machen Viko63 und penglord vom Geheimtipp des Baseler Umlandes zu waschechten New Wave Stars. Denn so viel Meme-Potenzial wie auch hervorgehen mag aus der Mucho Gusto Session, die Catchiness des Songs ist ebenso wenig zu leugnen wie die Tatsache, dass die beiden Jungs aus Lörrach hier ganz klar einen Nerv treffen in der Schnittmenge aus Rave und Hip-Hop.

Nun wäre es ein leichtes gewesen, diese Welle weiterzureiten und die neue Fangemeinde mit Techno-Rap-Bangern zu füttern, bis sie sich gänzlich daran überfressen. Stattdessen aber verschwinden sie für eine Weile aus dem wöchentlichen Release-Chaos, nehmen sich Zeit bis 2022 und lassen Viko schließlich vom Laufsteg in Milano direkt auf die Strada d’Amore schreiten. Das gleichnamige Intro wird samt passendem Video als einzige Single veröffentlicht und eine Woche später ist das Album auch schon da.

Fernab von »Sauf Sport Balance« und »Borrdough« steht es ganz im Zeichen der Liebe. Von der Aufregung der Kennenlernphase bis zum Chaos der Unsicherheit und all der träumerischen Euphorie die dazwischen liegt, fängt Viko eine große Spanne elektrisierender Gefühlswelten auf den knapp 17 Minuten Spieldauer ein. Ein kurzes, aber intensives Abenteuer, facettenreich vertont von penglord, der auf dem dreiminütigen Interlude »Automne« sogar mal gänzlich alleine glänzen darf. 

Viko haucht und trällert seine Zeilen verführerisch ins Mikrofon und lässt einmal mehr Yung Hurn Assoziationen aufkommen. Doch ohne Frage – und das wird mit diesem Album wohl so deutlich wie nie zuvor – sind Viko und penglord keine bloßen Nachfolger oder gar Kopien von irgendwem. Sie schöpfen aus vielfältigen Inspirationsquellen, verfolgen dabei aber stets ihre eigene Vision und lassen so einen Signature-Sound entstehen, der eine sehr gesunde Balance zwischen Wiedererkennungswert und Unvorhersehbarkeit hält. 

Auf »Strada d’Amore« decken sie nun ein buntes Spektrum von 90s Sound, Drum n’ Bass und typischen Elektro-Einschlägen bis zu verträumten Synth-Pop-Balladen ab. So vielfältig diese Mischung ist, willkürlich zusammengewürfelt wirkt sie auf keinen Fall. Im Gegenteil, »Strada d’Amore« ergibt von allen bisherigen Albumveröffentlichungen der beiden Lörracher das schlüssigste Gesamtbild. Gewidmet den Abenteuern der Liebe, bleiben sie ihrem roten Faden vom Intro bis zum Ende treu. 

Auch kann Viko das etwas kindische Frauenbild aus den Texten seiner früheren Veröffentlichungen auf dieser Platte ablegen. Vielmehr gibt er mit liebesbriefähnlicher Lyrik und gefühlsbetonten Monologen, die sich wie moderne Sturm-und-Drang-Gedichte lesen, ehrliche Einblicke in das, was mal „du”, mal „sie”, mal „Shawty” mit seinen Emotionen macht.

Doch dann ist sie da, 35 Grad, beende den Winterschlaf. Alles wird warm, umschlingt mich so wie ein Schal. Bei jedem Wort, das sie sagt. Sonne bestimmt den Tag.

Viko63 auf Donner&Gewitter

Ob es sich stets um die selbe Person oder um viele verschiedene Perspektiven und Adressat*innen, vielleicht die im Intro angeteaserten, handelt, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. So bleibt immer noch etwas rätselhaftes und geheimnisvolles in den aufregenden Liebesgeschichten der Strada d’Amore. 

Es ist ein Album, das wahrscheinlich nicht die Hit-Abfolge des letzten Jahres fortsetzen wird, dafür aber sehr für die Entwicklung des Duos spricht und definitiv darauf hoffen lässt, dass Viko und penglord noch viele Jahre gemeinsame Sache machen und ihre kreativen Egos gegenseitig zu weiteren Werken dieser Art anstacheln.

Magnus Menzer