Den März wird man im obligatorischen Jahresrückblick für 2024 sicherlich genau im Blick behalten müssen. Mit »Eden« erscheint hier das erste Soloalbum von Tua seit fünf Jahren, das zugleich eine neue, nämliche bunte, Ära für den Szene-Liebling einleitet. Gleiches gilt für Trettmann, der auf »Your Love is King«, seiner ersten EP ohne KitschKrieg, ebenso den Schwarzweiß-Filter ablegt und Farbe bekennt. Lance Butters (»Long Live Lance«) und Paula Hartmann (»Kleine Feuer«) bleiben dagegen den Graustufen treu, jeweils auf ihre eigene Art und jeweils in herausragender Weise.
Nicht zuletzt reihen sich auch Dk.Dando (»Volksgarten«) und 3LNA (»Herz bricht«) in die Liste spannender LPs des vergangenen Monats ein.
Für diesen Beitrag soll jedoch ein Album den Vorzug erhalten, das wohl nur absolute Insider auf ihrem Deutschrap-Bingo für 2024 stehen hatten. »Gerda« ist so unvermittelt in die Szene geplatzt und das mit einer dermaßen verrückten Feature-Liste, dass ihr Einschlag sicherlich noch eine Weile nachhallen wird. Umso wichtiger ist es, das Projekt noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Was genau verbirgt sich hinter Gerda?
»Believe in Gerda« heißt das Album der „Newcomerin“ GERDA, welches am Freitag, dem 15.03.2024 aus dem Nichts mit unzähligen Features renommierter Artists, wie OG Keemo, Xatar, LIZ etc. erschienen ist. Doch wie kommt es, dass eine Produzentin, die bisher noch nichts veröffentlicht hat, auf ihrem ersten Langspieler direkt das Who’s Who des deutschen Hip-Hops vereint?
Dieses Geheimnis lüftet sich bei einem Blick auf die Credits, denn hinter Gerda verbirgt sich ein Kollektiv bestehend aus dem Berliner Produzentenduo The Krauts (Vincent von Schlippenbach und Dirk Berger) und drei Musikern der deutschen Reggae-Dancehall Band Seeed (Jérôme Bugnon, Sebastian Krajewski und Tobias Cordes).
Nach früheren Zusammenarbeiten, wie dem letzten Seeed Album »Bam Bam«, welches 2019 erschien, haben sie mit »Believe in Gerda« eine etwas andere Richtung eingeschlagen. Die Kompilation ist geprägt von frechen, ignoranten Lines, Boom-Bap Produktionen, die glatt aus der Feder von Conductor Williams stammen könnten und unerwarteten Kombination der neuen und alten Schule, wie Apsilon und Hanybal, Marteria und Kwam.E sowie Wa22ermann, Tom Hengst und Xatar (welcher aber nicht als offizielles Feature angegeben ist).
Bei aller Begeisterung über die sehenswerte Feature-Liste hinterlässt der Name Marteria bzw. Marsimoto jedoch einen faden Beigeschmack. Nicht zuletzt, da dessen Zeile „trink’ Whisky mit korrupten Polizisten” auf »Karma« als merkwürdiger Querverweis zu den 2023 gegen ihn laut gewordenen und nur halbherzig aufgearbeiteten Gewaltvorwürfen verstanden werden kann.
Zwischen düsteren Loops und märchenhaften Erzählungen
Abgesehen von diesem Fehlgriff begeistert das Album durch seine gewisse Mystik, die bereits bei der Kunstfigur Gerda anfängt. In einem mysteriösen Pressetext heißt es, das Album sei „[i]n einem Schloss in Brandenburg“ entstanden. Der Intro-Track sampelt einen Dialog aus dem sowjetischen Märchenfilm „Die Schneekönigin“ aus dem Jahre 1967 zwischen zwei sprechenden Raben und dem Mädchen Gerda. Die Raben kündigen an, sie auf einen schwindelerregenden Flug mitzunehmen und nachts in ein Schloss einzudringen, was das unheimliche Hörerlebnis der Platte treffend beschreibt. Ihr Soundgerüst setzt sich zusammen aus düsteren Loops, die gemischt mit bedrohlichen Vocal-Chops und unheilvollen Bläsern sehr an alte Psychothriller à la Alfred Hitchcock erinnern. Ausnahmen bilden dabei harmonischere Songs wie »Up im Smoke« und »Tag wird zur Nacht«. Letzterer überrascht durch eine psychedelisch klingende, leicht dissonante Hook von Wa22ermann.
Besonders hervorgehoben werden sollte zudem der Song »Hundejahre«, auf dem Frankfurter Urgestein Hanybal und Shootingstar Apsilon aus Berlin-Moabit auf einem verträumten Beat den kräftezehrenden Alltag von Menschen in prekären Verhältnissen beleuchten.
Die Zeit vergeht in Hundejahr’n, fühl’ mich wie hundert, ja.
Zwei Jahre für den perfekten Beat
Es ist deutlich, dass der Fokus auf die Produktion bei diesem Projekt großgeschrieben wurde. Damit geht ebenso die Veröffentlichung über das von Farhot gegründete Label Kabul Fire Records einher, welches überwiegend die Arbeiten von Producern publiziert.
Während die Beats wohl schon nach wenigen Tagen fertig waren, hat es ganze zwei Jahre gedauert, bis die Idee vollendet war. Schlussendlich hat sich die lange Arbeit ausgezahlt. »Believe in Gerda« ist eine beeindruckend innovative Produktion, die ein in sich geschlossenes Werk darstellt.
Mit den Worten „Spul nochmal zurück, weil Gerda bringt ihn rein“ läutet Kryptik Joe auf dem Outro »Geist« das Ende ein, woraufhin die Reise nach einer letzten sich bedrohlich aufbäumenden Bläsersequenz doch noch eine sanfte Auflösung aus hellem Pfeifen und schwingenden Synth-Akkorden findet, um schließlich auf dem wohligen Klang einer rauschenden Schallplatte zu versiegen.