Spotlight: Marteria
Foto via William Minke (Sony Music)

Marteria – Abflug Base Ventura, Landung in der 5. Dimension angepeilt

Was Mitte der 2000er mit den ersten zarten Solo-Gehversuchen begann, hat heutzutage längst riesige Dimensionen angenommen. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass Marteria sein neues Album als »5. Dimension« betitelt hat.

Aber von Anfang an: In Geburtsstadt Rostock stehen dem jungen Marteria noch alle beruflichen Möglichkeiten offen. Ohne Abi Schauspiel studieren, wie er es später auf »Endboss« rappt? Seinen geliebten FC Hansa Rostock über Jahre als Kapitän auf’s Feld führen? Oder doch die mit einigen Freunden gestarteteten Freestyle-Sessions professioneller aufziehen und die Leidenschaft für’s Rappen in etwas Zählbares umwandeln? Nicht viele kommen in derart luxuriöse Dilemmata. Er macht von allem ein bisschen, landet als Model in New York und sogar als Rechtsverteidiger in der U-Nationalmannschaft Deutschlands, doch am Ende ist es vor allem die Musikkarriere, die er endgültig verfolgt.

Der Umzug nach Berlin im Jahr 2003 gemeinsam mit Kumpel Dead Rabbit bringt nicht nur das Schauspielstudium mit sich: Das erste offizielle Album des Rostockers mit der basslastigen Stimme erscheint 2006. »Halloziehnation« ist ein wahnwitziges, 30 Tracks langes und durchgehend von Dead Rabbit produziertes Album – und erscheint nicht etwa unter seinem Künstlernamen Marteria, sondern unter Marsimoto, seinem maskierten zweiten Ich aus einer anderen Galaxie. Ein Debütalbum vom Alter Ego, auch sowas ist in der Welt von Marteria ganz normal. Die charakteristisch tiefe Stimme wird durch die nicht weniger charakteristische, aber dafür ins Extreme hochgepitchte Stimme Marsis ersetzt. Was bleibt, ist die Vorliebe für Wortspiele und Gras, die sich auch auf den nächsten Alben wiederfinden sollten.

Ein Jahr später erscheint mit »Base Ventura« das erste Album von Marteria. Der “Bock auf die Bassline” ist geblieben, Marsimoto taucht wie eine Stimme aus dem Off hier und da auf und Mister Ma als selbsternannte “deutsche Synchronstimme von Jesus” beginnt an diesem Punkt, gleich doppelt ein ernstzunehmender Name im Deutschrap-Geschäft zu werden. Nachdem er “Eißfeldt in der Eisdelay” getroffen hat, nimmt dieser ihn kurz nach Veröffentlichung von »Base Ventura« als Vorband auf die Jan Delay-Tour mit und macht ihn damit einem breiteren Publikum bekannt. 2009 tritt Marteria bei Stefan Raabs Bundesvision Songcontest für sein Heimatbundesland Mecklenburg-Vorpommern auf und spätestens jetzt sollte jedem klar werden, wohin die Reise geht.

Sein Standing wächst und wächst. Der Status des reinen Magazin- und Szeneliebling verschwindet zunehmend, stattdessen erwächst eine immer breitere Fanbase. Es soll aber noch weiter bergauf gehen, denn 2010 erscheint mit »Zum Glück in die Zukunft« ein Album, das dem zu der Zeit kriselnden Deutschrap neues Leben einhaucht. Das Produzententrio The Krauts, das zwei Jahre zuvor schon Peter Fox zu einem Klassiker verholfen hat, sorgt für die nach wie vor basslastigen Instrumentals. Tracks wie »Verstrahlt« und »Endboss« gehen durch die Decke und machen das Album zu einem vorläufigen Höhepunkt in Marterias Karriere. Die Mischung aus Doppeldeutigkeiten, bissigen Wortspielen, seinem unverkennbaren Humor und träumerischen Passagen wie auf »Seit dem Tag als Michael Jackson starb« zündet beim Publikum. Nicht wenige sprechen diesem Album deshalb heutzutage eine tragende Rolle in der Deutschrap-Rettung rund um die 2010er zu.

Die erfolgreiche Rezeptur wird auch auf die »Lila Wolken«-EP angewendet, die zwei Jahre später erscheint und halb Deutschland den Soundtrack für den Partyheimweg schenkt. Seinen ganz großen Coup wirft Marteria aber 2014. Der dort erscheinende Nachfolger von »Zum Glück in die Zukunft« enthält mit »Kids (2 Finger an den Kopf)« einen radiotauglichen Track, der bis auf »Lila Wolken« all seine bisherigen Hits in den Schatten stellt. »OMG!« vom gleichen Album steht dem Song in Sachen Erfolg in nichts nach und Marteria katapultiert sich mit diesem Album endgültig ganz nach oben.

Nicht zu unterschlagen ist bei all dem Marteria-Erfolg zu dieser Zeit, dass sein Kumpel Marsi nicht untätig bleibt. Es erscheinen »Grüner Samt« (2012) und der »Ring der Nebelungen« (2015), die zeigen, dass der grüne Freund nicht etwa für den Erfolg vom großen Bruder weichen musste, sondern sich stattdessen ganz für sich weiter entfalten konnte. Nach dem 2015er-Album vergeht trotzdem eine ganze Weile, bis es neues aus der Laciny-Ecke gibt. Dann geht es aber wieder wie gewohnt Schlag auf Schlag und der One-Two Punch, den man seit Mitte der 200er von beiden kennt, erfolgt. 2017 kommt mit »Roswell« zunächst das Marteria-Projekt raus, bevor Marsi ein Jahr später seine Welt noch grüner als sowieso streicht und mit »Verde« sein bis heute letztes Album veröffentlicht.

Auch von Marteria gibt es länger nichts mehr zu hören. Mit dem ebenfalls 1982 geborenen Langzeit-Kollaborateur Casper erscheint das gemeinsame Album »1982«, in dem die beiden großflächigen Stadionsound erproben und alle Festivals von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen bespielen. Das bleibt aber bis zu diesem Jahr die einzige Ausnahme, ansonsten zieht sich der Rapper releasetechnisch zurück und kündigt kurz bevor Corona einschlägt eine größere Pause an.

Zum 12. März 2021 hört dieses Sabbatical auf und mit »Niemand bringt Marten um« erscheint das erste Lebenszeichen seit längerem sowie gleichzeitig die erste Single. Nicht nur die Ästhetik wirkt verändert, auch der Sound hat neue Facetten bekommen. Erst recht mit den Folgesingles wie »Paradise Delay« und den gefeatureten Gästen á la DJ Koze und Ätna wird klar, dass sein neues Album »5. Dimension« wohl eindeutig den Bogen in die Clubsound-Ecke einschlagen wird.

So kommt es auch am 15. Oktober, als das fünfte Marteria-Album offiziell erscheint und offenbart, dass sich der Höhenflug, der damals auf der Base Ventura gestartet ist, sich mittlerweile in den Sphären einer weit entfernten Dimension aufhält. Nach der Party kommt die Afterparty.