Die ehrliche Kritik: Dead Dawg lädt ein zu einer intensiven Betrachtung von »Liebe und Schmerz«

»Liebe und Schmerz« heißt das neue Album von Dead Dawg. Genau vier Jahre zuvor, am selben Datum 2019 erblickte sein erstes Solo-Album »DUNKLSCHWARZ« das Licht der Welt. Nach vier Jahren scheint sich etwas getan zu haben und die Zeit reif für ein neues musikalisches Kapitel. Vorab hat sich der Rapper insbesondere zu einem Thema Gedanken gemacht: Kritik. Sein Wunsch “Bitte kritisiert mein Album zu Grunde wenn es kommt, würde Herz küssen” schrieb er unter anderem in einer Story im Februar. Eine mutige und eher ungewöhnliche Forderung des Berliners. Wir nehmen uns den Aufruf zu Herzen und kritisieren heute »Liebe und Schmerz«.

Dead Dawg, Instagram-Story, 24.2.2023

..nicht nur versüßte Promo Sätze für clicks aus Angst das der Künstler die jeweilige Plattform hated.

Mit dieser Aussage liegt Dead Dawg gar nicht so falsch, jedoch ist es einfacher gesagt als getan eine solche Kritik zu schreiben. Hip-Hop-Medien, welche er in seiner Story adressiert, sind auf die Gunst von Artists angewiesen. Aus “versüßten Promosätzen” kann ein guter Draht entstehen, Interviews, Reichweite und dadurch Werbepartnerschaften, die wiederum Geld einbringen, um einen solchen Laden am Laufen zu halten.

Vor dem Albumrelease

Die Promophase Dead Dawgs war nicht besonders laut, hielt dafür aber einige Überraschungen bereit. Am 19.04.2023 veröffentlicht er das erste Video zu seinem neuen Projekt. In dem schwarz-weißen Film sehen wir ihn an einem E-Klavier sitzend wie er langsame Tunes spielt und dazu eine Spoken Word-Performance abgibt. Auf dem Greenscreen werden Elefanten eingeblendet und zum Ende der Vorstellung erscheint die Albumankündigung »Liebe und Schmerz« mit Datum.

Am nächsten Tag schon erscheint »blogg«. Ein Lied, bei dem der Berliner abermals mit seinem bisherigen Stil bricht und in bester Yung Kafa & Kücük Efendi-Manier darüber singt, dass er niemand in seinen “blogg” reinlässt.

Das Cover des Albums lässt ebenfalls ahnen, dass es anders wird als gewöhnlich. Dead Dawg sitzt mit Afro-Frisur, weißem Anzug, markanter Sonnenbrille und einem Bass vor rot-schwarzem Hintergrund. Ein typisches 70er Jahre Rock-Cover. Es ist eine Hommage an seinen verstorbenen Vater, welcher ebenfalls Musiker war und für ein ähnliches Cover posiert hatte. Mit seinem Album-Cover ist es Pablo gelungen, die enthaltene Musik passend abzubilden. Denn zum einen wendet er sich Themen zu, die mit seinem Vater zu tun haben und zum anderen fließt 70er-Jahre Rock mit in das Album ein.

Album Inlay: Dead Dawg und sein Vater

Zwischen 70s und Zeitgeist

Moderner Sound ist auf »Liebe und Schmerz« allemal vertreten. Wir finden von Rage-Samples und Jersey-Club-Stampfern auf »pfirsich« über Grime-Bässe in »good morning« bis hin zum Breakbeat-angehauchten »weiter weiter« alles. Auch stimmlich hat sich Dead Dawg seit seinem letzten Projekt im Sommer weiterentwickelt und variiert ständig seine Performance. Mal aggressiv wie auf »good morning«, dann wieder schrill schreiend wie auf »ich bin so geil«, und dann auf einmal im Spoken-Word-Modus auf dem letzten Track »liebe und schmerz«. Seine von Natur aus hohe Stimme setzt er dadurch immer wieder effektiv in Szene.

Es ist eine runde Sache, die da aufs Parkett gebracht wird. Vor allem weil auch immer wieder auf 60/70er angelehnte Tunes in Skits und Song-Enden eingebaut werden, die dem Album einen passenden Rahmen verpassen. So bekommt auch das Cover seinen musikalischen Einfluss aufs Album. Dieser Sound hätte auch gerne tiefer gehend verfolgt werden können.

Insgesamt ist »Liebe und Schmerz« eher in die ruhigere Schiene einzuordnen. Dafür sind »wolke«, »kartenhaus« oder »traum« gute Beispiele. Die Gegenseite dazu bilden »ich bin so geil« oder »good morning«. Musikalisch haben Monk, Big Pat, Babyjoy, RapK, MotB, Themba, Samuel Kalbanter, Themba, KazOnDaBeat, Murphy, Shirama, OF und allen voran Dead Dawg geliefert.

Schmerz in der Liebe oder Liebe im Schmerz?

»Liebe und Schmerz« beschreibt Pablo als Gleichgewicht. Intensive Liebe geht immer mit intensivem Schmerz einher, sagte er im Interview mit Aria Nejati. Es ist die erstmalige Auseinandersetzung mit dem Tod seines Vaters und die davon ausgelösten Gedanken und Gefühle. Diese streuen ihren Effekt auf die übrigen Bereiche seines Lebens, sodass der Großteil des Albums Reflexion ist. Auf »wolke« denkt er über das allein aber auch zu zweit sein in seiner Beziehung nach, thematisiert auf »mathelehrer« das Verhältnis zwischen ihm und seinem Körper, spricht im »whatsapp skit« über Verlustängste und erzählt von konkreten Träumen auf »traum«. Das emotionale Kernstück der Platte bildet jedoch »kindheit«, in dem er eine kindliche Perspektive einnimmt und die Beziehung zu seiner Mutter beschreibt. Der erste Teil des Songs drückt Vergebung aus (also die Liebe), während der zweite Teil aggressiver ist und mehr Schmerz enthält.

Sobald Dead Dawg tiefere Themen aufgreift sind sie gehaltvoll und intensiv. Solche Passagen gehen über mehrere Zeilen, lassen tiefer blicken und haben darin ihren Mehrwert. Dann gibt es ähnlich lange Stellen über leichtere Themen. Diese wirken im Kontrast eher plump. Entweder es klingt so:

Ich bin nicht im Dorf geboren, doch ich will immer weg. /
von Depris nehm’ ich ab, doch dann kommt der Winterspeck

Kindheit feat. Babyjoy

oder so

Ich bin so geil /
ich popp ein Teil /
ich geh so steil /
ich bin heute geil

ich bin so geil feat. Monk

Immer häufiger kritisierte Punkte im Deutschrap sind der unreflektierte Umgang mit Drogen und Sexismus. Dieser ist gerade für jüngere Generationen wichtig, die einen großen Teil der Zielgruppe von Rapper*innen darstellt. Auch Dead Dawg trägt dazu bei.

Auf Tracks wie »pfirsich« wird die Frau auf ihren Körper reduziert und »ich bin so geil« verherrlicht in lauter Ektase Teile zu poppen. Das wirft die Frage auf: Lässt sich “Partystimmung” nicht auch auf andere Weise erzeugen? Als Person des öffentlichen Lebens trägt man durchaus Verantwortung, derer sich Dead Dawg bestimmt auch bewusst ist. Das Augenzwinkern, mit dem ein Track wie »pfirsich« doch recht deutlich an Big Seans thematisch ähnlichen Hit »Dance (A$$)« erinnert, lässt vermuten, dass viele diese Momente beim Hören nicht allzu ernst nehmen werden. Dennoch erkennen auch wir den im Hip-Hop vorherrschenden Druck, der dazu animiert, Tracks dieser Art zu machen um Leute abzuholen und Klicks einzufahren. Doch man hat immer die Wahl sich auch dagegen zu entscheiden.

»Liebe und Schmerz« sollte jedoch nicht wegen einzelner Kritikpunkte darauf reduziert werden, denn es ist mehr als das. Es überzeugt als Gesamtwerk.

Fazit

Um Artists zu kritisieren, muss man sie auch immer ein bisschen kennenlernen. »Liebe und Schmerz« bringt uns an diesem Punkt durchaus näher an Dead Dawg heran. Das Album besitzt die nötige Deepness und ist musikalisch auf einem hohen Niveau. Es ist schön mit anzusehen, dass Dead Dawg weiterhin keine Angst hat außergewöhnliche Schritte zu gehen und sich ausprobiert. Im Vergleich zu »DUNKLSCHWARZ« scheint er an Selbstbewusstsein sogar zugelegt zu haben.

Doch wie er auch schon sagte, geht Liebe immer auch mit Schmerz einher. Wenn Dead Dawg zukünftig die weniger gehaltvollen Passagen inhaltsreicher macht, mal hier und da Themen aufbricht und seine unkonventionelle Art zu flowen auf das Schreiben der Texte überträgt, könnte er einen noch lauteren Impact schaffen.

“..Wir brauchen ehrliche Kritik, Kronen Vergabe und so weiter..” ist noch ein Auszug aus der eingangs erwähnten Story Dead Dawgs. Und um die Kritik abzuschließen gebe ich »Liebe und Schmerz« hiermit 4 von 6 Kronen.

Tracklist: Dead Dawg – Liebe und Schmerz

01. Wolke
02. Weiter weiter
03. Wer hat Bock
04. Mathelehrer
05. Kartenhaus (feat. Babyjoy)
06. Kindheit
07. Manifest
08. Good Morning (feat. RapK)
09. Mondkreis
10. Skit
11. Ich bin so geil (feat. Big Pat)
12. Pfirsich (feat. Monk)
13. WhatsApp Skit
14. Traum
15. Letzter Tanz (feat. Monk)
16. Blogg
17. Liebe und Schmerz