In einer Welt, in der Inhalte oft innerhalb weniger Sekunden konsumiert und vergessen werden, geht Julia Gröschel bewusst einen anderen Weg. Mit ihrem Podcast »Hip Hop Lebt« tourt sie seit diesem Jahr durch Deutschland und bringt so das Gespräch zurück ins echte Leben. Das Konzept der Tour ist einzigartig: Den Zuschauer*innen wird nicht nur ein Live-Podcast, sondern außerdem eine exklusive Live-Performance geboten.
Ihre Tour ist jedoch nicht nur reines Entertainment – sie ist ein Statement: für mehr Dialog, für echte Begegnungen und für das Vertrauen in Inhalte jenseits der Klicks.
In diesem Interview spricht Julia Gröschel über die Vision hinter dem Format und die Kraft von Live-Momenten. Sie erzählt von ihrer Beziehung zu Hip Hop und den Herausforderungen in der Industrie. Es geht um Mut, den Anspruch an sich selbst und darum, was passiert, wenn man sich mitten im Aufbau schon raus traut – auf die Bühne, ins Gespräch und zurück zur Community.
DIE VORBEREITUNG
Was war deine Idee hinter dieser Tour?
Für so viele Projekte, wie mein eigenes, ist es einfach super schwer, heutzutage digital Gehör zu finden und somit auch organisch zu wachsen. Es gibt so viele Sachen, es gibt so viel Content, und ein Podcast ist auch nur ein weiteres Content Piece – und dann auch noch super longform. Das heißt, die Leute müssen auch Bock haben, sich das eine Stunde zu geben. Und in einem Zeitalter, wo alle nur noch drei Sekunden Aufmerksamkeit haben, habe ich für mich die Lösung gefunden, dass wir uns wieder offline treffen können und wirklich einen Community-Space schaffen, in dem es wieder möglich ist, einem Gespräch zuzuhören, einen Impuls mitzunehmen und in den Austausch zu kommen.
Wir werden es auch trotzdem digital verlängern und als Podcast rausbringen. Das heißt, es war für mich so ein bisschen Best of both Worlds: Ich schaffe endlich den Fokus wieder auf das Offline-Geschäft. Und ich liebe einfach Live-Sachen, ich liebe Konzerte.
Hast du eine Location oder eine Person, auf die du dich besonders freust oder bei der du vielleicht auch ein bisschen aufgeregt bist?
Ehrlicherweise bin ich auf jede Show gespannt, weil die so individuell ist. Das heißt, wir haben kein Schema F, das wir jetzt immer abfrühstücken, und wir sagen nicht: „Ja, jede Show ist gleich und es ändert sich quasi nur der Gast.“ Das heißt, alles ist super individuell, und darauf freue ich mich.
Eine Sache, auf die ich sehr gespannt bin, ist die Show im Admiralspalast in Berlin. Das ist ein sehr geschichtsträchtiges, riesengroßes Theater, wo noch nie Hip-Hop in der Form stattgefunden hat. Und ich greife jetzt die Möglichkeit beim Schopf und sage: Das ist zwar für unsere Verhältnisse viel zu groß – also da passen 1.700 Leute rein, das ist komplett gestört. Aber I’ll give it a try. Das wird ganz sicher eine sehr, sehr besondere Produktion. Das heißt, da versuche ich, das eh schon neue Konzept „Podcast und Konzert“ dann auch noch in einem solchen Setting. Es wird spannend, ob und wie uns das gelingt.
Bereitest du dich auf einen Live-Podcast genauso vor wie auf eine Studioaufzeichnung? Oder lässt du das eher wie ein richtiges Event wirken? Kann man sich überhaupt so richtig darauf vorbereiten?
Ich sage mal, der Anfang der Vorbereitung ist der gleiche. Man geht in die Recherche, man scannt das durch, hört und guckt sich alles an, was es schon gibt. Da habe ich auch Unterstützung. Dann schreibt man ein Skript, damit ich einen Gesprächsfaden habe. Das heißt nicht, dass ich mich immer 100 % an diesen Faden halte. Aber ich möchte eben doch eine Interviewsituation haben und nicht nur eine reine Gesprächssituation. Ich möchte etwas aus meinen Gästen herauskitzeln und dass die Zuhörenden auch etwas mitnehmen aus dem Podcast. Es kann auch sein, dass ich mir ein ultralanges Skript schreibe und am Ende hatte ich ganz viele Fragen, die ich einfach nicht gestellt habe. Weil entweder gerade ein Moment entsteht bei einem Thema, wo ich sage: Okay, das ist gerade so special und so intim, da kann ich jetzt keinen harten Cut machen. Das heißt, das ist immer super individuell.
Aber was gleich ist: die Recherche und das Skriptschreiben. Und dann unterscheiden sie sich natürlich signifikant, dass das eine vor Publikum ist und das andere nicht. Sprich, man ist mit Publikum natürlich aufgeregter als im Studio. Und man muss das Publikum auch ein bisschen lesen, versuchen, sie noch mal ein bisschen zu hooken oder auch mit Humor zu arbeiten. Es gibt viele Parallelen, aber natürlich – emotional – ist live viel auftreibender als eine Studiofolge für mich.

DER EIGENE ANSPRUCH
Du bringst deine Arbeit bewusst aus dem digitalen Raum auf die Bühne und suchst den direkten Kontakt mit dem Publikum. Geht es dir dabei auch um das unmittelbare Feedback – also um mehr als nur Likes oder Kommentare im Netz? Gibt dir die Live-Reaktion ein anderes Gefühl der Bestätigung?
Ich muss sagen, ich ziehe keine Bestätigung per se aus dem Podcast. Deswegen mache ich das nicht, damit Leute sagen: „Du bist so toll.“ Mir geht es um die Mission dahinter. Ich möchte Einblicke in die Industrie geben und eine andere Gesprächsführung haben als die, die in den anderen Medien gerade häufig stattfindet.
Bloß, ich bin eine Frau – eine junge Frau. Darüber kann man streiten: Was ist jung, was ist alt? (lacht) Und die Stimmen gibt es ja eh schon viel zu wenig überall. Das heißt, ich finde es auch wichtig, dass man mal eine andere Perspektive hört – in dem Fall meine –, als jemand, der auch Erfahrung in der Industrie und mit Künstler*innen hat. Ich bringe also ganz viel Expertise mit, weswegen ich ein Gespräch auch einfach nochmal anders führen kann und ein bisschen tiefer gehe und schneller zum Punkt komme, weil ich es eben verifizieren kann.
Und was ich selber als Konsumentin nicht so gerne mag, ist dieses „Abkumpeln“ und man erzählt sich irgendwelche Geschichten, wie geil es früher alles war. Das finde ich ultra boring. Also, was soll ich da mitnehmen? Es sind immer die gleichen Geschichten, die da kommen. Und deswegen versuche ich, einen journalistischen Anspruch an meine Folgen zu haben. Dass man sagt: Klar, man kann lustige Momente haben, man kann auch oberflächliche Momente haben – das ist alles cool. Aber ich sehe es als Infotainment. Man ist eben auch unterhalten und kriegt jetzt nicht eine Stunde Frontalunterricht.
Unterscheidet das »Hip Hop Lebt« von einem klassischen “Laber-Podcast” ?
Ich meine Laber-Podcasts können auch Entertainment sein. Und wie man das bewerten möchte oder wann man was konsumieren möchte, ist ja sowieso nochmal eine ganz andere Frage. Denn manchmal braucht man auch dieses leichte Entertainment. Ich will die anderen Formate damit gar nicht downgraden. Ich sage nur, dass ein Podcast, so wie ich ihn mache, auch eine gewisse Schärfe braucht. In der Recherche, in der Durchführung und es eben kein Laber-Podcast ist, die genauso ihre Daseinsberechtigung haben.
Aber ein Gespräch zu führen, auch den Raum für den Gast zu lassen, ist mir sehr wichtig. Oft habe ich natürlich auch meine eigene Meinung und würde am liebsten auch etwas dazu sagen, aber an dem Punkt ist es dann einfach wichtig zu wissen, dass es nicht um mich geht in dem Fall. Denn ich bin eher das Medium, um die Message von dem Gast zu transportieren. Das Feingefühl zu haben, wann man bei einem Thema bleiben sollte und wann man es liegen lassen sollte, ist halt mental schon ein 100-Meter-Lauf. Ich glaube dieses Bild passt ganz gut. Ein Podcast hat ja leider oft den Stempel: diese Person redet einfach nur drauf los.
EIN BLICK ZURÜCK
Wusstest du schon immer, dass du das machen möchtest, also dass du deine Stimme nutzen möchtest und als Medium, wie du es ja beschrieben hast, zu arbeiten?
Ich wollte schon sehr lange so ein Format machen, aber es hat sich nie wirklich passend angefühlt. Ich hatte einfach nicht das Gefühl, dass ich voll und ganz dahinterstehe. Vor über zehn Jahren habe ich an einem kleines Interviewformat auf YouTube mitgewirkt – im Rahmen einer Veranstaltungsreihe. Wir haben dort Backstage einfach Künstler*innen interviewt. Das war ganz simpel, aber es hat mir einen ersten Eindruck gegeben, wie sich das anfühlt. Und da habe ich gemerkt: Ich kann das. Es liegt mir. Damals bin ich selbst überall hingefahren, habe viel organisiert – auch als bewusster Kontrast zu den Jungs, mit denen ich das gemacht habe. Die meisten Künstler, die wir gebucht haben, waren männlich.
Es war eben eine andere Zeit – vor elf, zwölf Jahren. Ich sollte da so ein bisschen “die Frau im Raum” sein – als Kontrast. „Setz dich mal hin, mach das mal“ – so ungefähr. Und da habe ich gemerkt: Das macht mir Spaß. Besonders der Kontrast: Ich bin eben kein Kumpel. Kein Bro. Mit mir kann man nicht einfach locker rumhängen, Joints rauchen. Allein dadurch, dass mich viele nicht kennen, entsteht automatisch eine gewisse professionelle Distanz – und das ist ein Vorteil. Ich kann dadurch kritische Fragen stellen. Nicht, weil ich jemanden bloßstellen oder roasten will – sonst würde ich die Person ja gar nicht einladen. Aber kritische Nachfragen sollten möglich sein. Ich will kein reiner Feelgood-Podcast sein. Ich will auch Themen ansprechen, die kontroverser sind – vor allem dann, wenn ich weiß, dass mein Gast dazu eine klare Meinung hat.
Die Idee hatte ich also schon lange, aber erst mit »Hip Hop Lebt« vor zweieinhalb Jahren habe ich mich wirklich bereit dafür gefühlt. Persönlich. Und auch, was mein Standing betrifft. Denn wenn man sich in die Öffentlichkeit stellt, wird man – ob man will oder nicht – bewertet und kommentiert. Und das hätte ich in jüngeren Jahren sicher nicht so leicht weggesteckt wie heute.
Erinnerst du dich an diesen einen Moment, in dem du zum ersten Mal das Gefühl hattest, dass Hip-Hop mehr ist als nur Unterhaltung, sondern etwas, über das du in deiner Arbeit sprechen möchtest? Und wie hat sich deine Beziehung zu Hip-Hop seitdem verändert?
Ich glaube, ich habe gar keine andere Wahl, als über Hip-Hop zu sprechen, über Kultur zu sprechen und über das Ökosystem, in dem ich mich bewege, nämlich Musik- und Medienindustrie – das ist zu 100 Prozent meine Expertise. Da kenne ich mich aus, das heißt, es wäre für mich jetzt auch völlig out of character, über Fashion zu sprechen. Also, ich schließe das jetzt nicht kategorisch aus, dass ich irgendwann über etwas anderes sprechen werde, aber intrinsisch ist das immer mein erstes Thema, worüber ich mit Leuten auch sprechen möchte. Also, ich bin vielleicht älter geworden und bin gereift, aber meine Liebe und mein Verständnis für Community und Kultur sind gleich geblieben. Und ich möchte einfach etwas zurückgeben, was mir Hip-Hop gegeben hat. Ich versuche einen Beitrag beizusteuern mit den Mitteln, die ich habe.
Podcast ist ein super dankbares Format, weil es eben auch so lang ist und so individuell, vom Gast abhängig. Man hat die Möglichkeit in die Lebensrealitäten von Künstler*innen, die man feiert oder z.B. von Songwriter*innen, die Nummer-Eins-Hits geschrieben haben, einzutauchen. Was geht denn in denen vor, also sind das normale Menschen oder sind die komplett fernab von meiner Realität? Was sind die Struggles, die die haben? Sind die auch mal unsicher? Wie gehen die mit Streaming-Druck um? Wie gehen die mit Geldsorgen um? Und all das mal wirklich auf den Tisch zu packen um am Ende festzustellen: Überraschung, wir sind alles nur Menschen.
WÜNSCHE
Gibt es denn irgendjemanden, den du gerne mal als Gast in deinem Podcast hättest, egal ob realistisch oder Träumerei?
Man sagt ja, never meet your idols, von daher, mit Drake wäre bestimmt witzig. Da weiß ich aber nicht, ob ich das wirklich machen wollen würde (lacht). Also klar, ich habe halt gewöhnlich so ein paar Idole, Drake, Stormzy, Skepta, Jack Harlow. Das sind so meine Idole, bei denen ich sage, oh Gott, da würde ich wirklich Schnappatmung bekommen, wenn sie plötzlich vor mir stehen. Aber ich finde auch einige Leute aus der Industrie interessant. Persönlichkeiten wie Scooter Braun, dem ehemaligen Manager von Taylor Swift und Justin Bieber. Ich glaube, mit dem könnte man über so einiges sprechen. Bei Personen wie bei ihm ist das Problem, die haben dann natürlich auch ihre Standardantworten, da kommst du wahrscheinlich eh nicht durch und das Gespräch wäre wahrscheinlich nicht wirklich spannend.
Aber ich möchte mich tatsächlich, auch wenn es um meine Gäste geht, gar nicht festlegen. Denn ich habe das Gefühl, es kommt auch immer zu einem. Das heißt, ich versuche die Sachen nicht so zu forcieren und lasse mich da auch einfach ein bisschen treiben. Das ist ein ganz guter roter Faden, für dieses ganze Projekt: einfach offen zu sein, du als Person, aber auch deine Zuhörer*Innen. Ich glaube, das fasst es ganz gut zusammen.
Gibt es denn noch eine Sache oder eine Information, die du Leuten mitgeben möchtest, bevor sie zum Beispiel zu einem Live-Event kommen oder sich in diese Welt rein begeben?
Neugierig zu sein, Lust auf etwas Neues zu haben und auch wieder ein bisschen der Kuration von Menschen zu vertrauen, weg von einem Algorithmus und einer KI. Viele denken sich wahrscheinlich: Ich kenne sie nicht, was ist »Hip Hop Lebt«? Die Zahlen sind auch noch nicht so doll, bla bla bla. Etwas, das irgendwie jeder von uns heutzutage macht: Man scannt erst mal ab, und ganz oft ist die Reaktion: Ich kenne das nicht, das wird von niemandem gehört, interessiert mich nicht. Ich würde mir wünschen, dass Leute sagen: Okay, ich kenne es vielleicht nicht, aber ich mag Hip-Hop, ich mag Gespräche.
Es ist mein Wunsch, dass die Leute einfach offen bleiben und sagen: Hey, ich interessiere mich für das Thema. Ich interessiere mich für Hip-Hop, für Kultur, vielleicht für die Musikindustrie, für persönliche Entwicklungen. Dass sie dem Ganzen eine Chance geben – das würde ich mir wünschen. Das ist ja auch im Grunde genau das, was alle an dieser Industrie oder an dieser ganzen Bubble – mich jedenfalls – total inspiriert: Wenn man dem Ganzen offen gegenübersteht, kriegt man super viel zurück.
Gibt es sonst noch irgendwas, das du gerne zu dieser Tour noch loswerden möchtest?
Dass wir die Ersten sind, die das machen. Wir sind so wirklich die Ersten, die Podcast mit einem Live-Konzert verbinden. Und auch der Mut, den wir als Team haben. Das bin ja nicht nur ich, die man vorne sieht. Es sind ja immer Leute im Hintergrund, die mit mir an dem Projekt arbeiten. Sie sorgen dafür, dass es so aussieht und auch inhaltlich so ist, wie es ist. Und diesem Team bin ich jeden Tag dankbar, dass die mit mir an dieser Vision zusammenarbeiten. Und dafür, dass wir aus eigener Kraft was auf die Beine stellen und jetzt mutig genug sind, unser kleines Format, was noch mitten im Aufbau ist, auf die Bühne zu bringen.