Die internationalen Neuheiten der Woche im Überblick. Mit dabei sind u.a. A$AP Ant, Leikeli47, Quelle Chris, Obongjayar und Post Malone & Roddy Ricch uvm.
Auf dem Cover: Kendrick Lamar
Das Warten hat ein Ende: Nach einer gefühlten Ewigkeit ist das neue Album »Mr. Morale & The Big Steppers« von Kendrick Lamar erschienen – und hat gleich mal die Streamingdienste lahmgelegt. Zur Feier des Tages haben unsere Autor*innen Hannah und Matthi beide Einordnungen zum neuen Kendrick Album geschrieben. Die gesamte Liste mit den restlichen Releases findet ihr wie immer auf dem Mostdope Instagram-Account.
Die Macht von Alter Egos (Hannah)
Es ist kein Geheimnis mehr, dass Musik als Therapie gilt. Sei es J. Cole auf »4 Your Eyez Only« oder Jay-Z, der zuletzt auf »4:44« sein Fremdgehen verarbeitet hat. Dennoch gibt es wohl kaum einen Künstler, der sich mit jedem Album so neu erfindet wie Kendrick Lamar. Einerseits tut er dieses durch extreme Stilbrüche: Jedes Album hat einen eigenen Sound, der sich deutlich vom Vorgänger unterscheidet. Hier der melancholische West Coast-Sound mit Twist von »good kid, m.A.A.d city«. Da das Funk- und Jazzgeladene Meisterwerk »To Pimp A Butterfly«, nur um dann auf »DAMN.« wieder in eine komplett andere Richtung zu gehen. Andererseits schließt Kendrick Lamar auch mit seinen vorherigen Projekten ab, in dem er jedes Mal ein neues Alter Ego erfindet. Wir können jetzt diskutieren, ob es auf »good kid, m.A.A.d city« good kid oder K.Dot ist. Auf »To Pimp a Butterfly« verwandelt sich der Pulitzer Preis-Gewinner in King Kunta, wobei er auf dem Album mental vor allem 2Pac channelt. Eindeutiger wird es dann auf »DAMN.«, wo wir Kung Fu Kenny kennen lernen. Mit »Mr. Morale & The Big Steppers« ist nun das Zeitalter von Oklama angebrochen, wie er auf der passenden Website oklama.com bekannt gibt. So oder so gibt es wohl nur wenige Albumkünstler*innen, die sich immer wieder neu erfinden, dabei nicht den Trends folgen und trotzdem immer genau den Puls der Zeit treffen.
Die Themen auf Kendrick Lamars Mr. Morale & The Big Steppers (Matthi)
Kendrick Lamar ist nach mehr als fünf Jahren zurückgekehrt mit seinem bisher persönlichsten Album – und das soll was heißen, bei einem Rapper, der Songs wie »u« oder »FEAR.« veröffentlicht hat. Das fängt bereits bei dem kurze Zeit vor Release veröffentlichten Albumcover an, das Kendrick als Familienvater mit dem Kind auf dem Arm zeigt und bereits dort aufzeigt, wie schonungslos er Einblick in sein Privatestes gewährt. Und genauso geht es auch in den Lyrics weiter: In weiten Teilen klingt das Album wie eine Therapiesitzung, in der sich Kendrick gänzlich öffnet und sowohl die letzten fünf Jahre ohne große Öffentlichkeitsauftritte als auch sein ganzes Leben zuvor betrachetet, bewertet und selbstkritisch in seine Handlungen der letzten Jahre überträgt. Und wer bei »United in Grief« genau zuhört, findet auch heraus, dass Kendrick tatsächlich einen Therapeuten aufgesucht hat, um die vielen ihn ständig begleitenden Themen in Angriff zu nehmen. Eine kleine Auswahl an Themenpunkten, die im Verlauf der 18 Tracks aufkommen:
- Familiäre Beziehungen und Vaterkomplexe
- Frühere sexuelle Beziehungen/Akte Kendricks, die zu Reue und Hinterfragen führt
- Doppelmoral
- Transsexualität
- Cancel Culture
- seine wahrgenommene Rolle als Retter der Kultur und das Nicht-Erfüllen-Können
- Generationstraumata
- Unsicherheiten
- Spiritualität
- Religion
Dieser kleine Ausschnitt an Themen zeigt bereits die Vielschichtigkeit auf, die sich auf dem Doppelalbum wiederfindet. Man wagt zu behaupten: Kaum ein Künstler mit diesem Mainstream-Status würde sich derart experimentell (sowohl sound- als auch texttechnisch) auf einem Comeback-Album zeigen, das liefern muss, um seine Legacy aufrecht zu erhalten.
Aber schon am Tag des Releases scheint festzustehen: Es hat geklappt. Wie immer hat Kendrick ein verworrenes Album geschaffen, das sich erst mit mehrfachem Hören nach und nach öffnet und Antworten auf die vielen Fragen liefert, die sich während des Hörens zunächst ergeben. Aber nach fünf Jahren Warten ist man mehr als gewillt, sich wieder und wieder in die Wirrungen des Albums zu stürzen und die Verbindungen auf eigene Faust zu entdecken.
Kendrick Lamar – We Cry Together (Hannah)
Es ist hart, sich bei »Mr. Morale & The Big Steppers« nur einen Song rauszupicken. Jeder Track verdient einen eigenen Artikel und trägt genug in sich, um darüber ein ganzes Uni-Seminar zu halten. Dennoch: Ein Song, der direkt heraussticht, ist »We Cry Together«. Das Intro zu dem Track ist ein Sample von Florence + the Machine’s »June«. Ziemlich passend, da Florence Welsh heute selber ihr neues Album »Dance Fever« auf den Markt gebracht hat. Der neue Track wirkt fast schon wie eine Fortsetzung von »u« [Track 6, »To Pimp a Butterfly«] auf dem Kendrick Lamar einen düsteren – leicht lallenden – Monolog über Selbsthass vorträgt, der scheinbar aus den dunkelsten Teilen seiner Seele kommt. Durch das Geräusch von Glas, das gegeneinander klingt, und Flüssigkeit, die in einer Flasche schwingt, wird dieses Gefühl von betrunkener Verzweiflung noch weiter verstärkt. Ein ähnlicher Effekt wird auch bei »We Cry Together« verwendet: Man hört scheinbar Eis, das in einem Tumbler an die Glaswände stößt. Anders diesmal ist es kein Monolog, sondern ein Beziehungsstreit zwischen Mann und Frau. Kendrick Lamars Counterpart wird von US-Schauspielerin und Tänzerin Taylour Paige gespielt, die auf diesem Song eine unglaubliche Performance abliefert. Die beiden sind anscheinend betrunken, reden sich in Rage, fangen an zu schreien und werden immer ausfälliger. Bei den vielen Schimpfwörtern wird dieses Lied in den USA niemals in der Öffentlichkeit gespielt werden können. Und doch ist »We Cry Together« ein Geniestreich von Kendrick Lamar. Der Streit der beiden ist nicht nur der zwischen zwei Menschen in einer Beziehung, sondern auch ein Streit, den wir schon ewig als Gesellschaft führen. Der Track handelt von dem uralten Konflikt zwischen Mann und Frau, der schon länger im Hip-Hop ausgetragen wird. Es geht um fehlende Anerkennung, fehlenden Respekt und eine Menge angestaute Wut und Frustration. Ein Konflikt, der schon in den 90ern von der Hip-Hop Feministin Joan Morgan angesprochen wurde. Es ist ein geniales Lied, das beide Seiten sehr extrem widerspiegelt und durch die unglaubliche Ausdrucksstärke von Oklama und Taylour noch mehr unter die Haut geht. Das Wort toxisch liegt einem auf der Zunge, besonders da beide nach dem Schreien, den Beleidigungen und den Kränkungen doch wieder “Doggy Style“ zusammenfinden. Durch die Schlussworte “Stop tap-dancing around the conversation“ gibt es noch einiges, über das man anschließend nachdenken muss. Der Song ist nur einer von vielen Beweisen, warum Kendrick mit diesem Album endgültig die Krönung zum “GOAT“ verdient hätte.
Schaut in unserer Releases Worldwide-Playlist vorbei für die neuesten Tracks aus US, UK & more!