Auf dem Holzweg zum Sägewerk 2024

Picture this: Ein Wochenende Mitte Juni, ein gemeinschaftlich gebautes, leidenschaftlich hergerichtetes Gelände voller verspielter Details, familiäre Atmosphäre, dazu Musik unabhängiger Acts fernab von verkopften Industriestrukturen und Bier für 2,50€ bei Tickets für 100€ – eine Utopie von einem Festival im Jahr 2024 und doch Realität vom 14.-16.06. auf dem Sägewerk.

Auch wenn es einem manchmal anders vorkommen mag: Es gibt sie noch, die Kulturveranstaltungen, die ohne Kommerzialisierung bestehen können. Umso wichtiger ist es, nicht müde zu werden, die Mühen wertzuschätzen, die hinter und vor den Kulissen in derlei Projekten stecken. Auch deshalb wird sich der folgende Text wohl oder übel wie ein Plädoyer für solidarische, bezahlbare und unabhängige kulturelle Arbeit lesen.

Der gemeinnützige Verein khisdapaze hinter dem Sägewerk Festival geht auf ein Berliner Rave-Kollektiv zurück, das in seiner Kernbesetzung aus ein paar Freunden bis heute unverändert besteht. Auch wenn die Basis gleich geblieben ist, das Drumherum hat sich seit der Gründung 2017 merklich verändert. Wurden anfangs noch mehr oder minder spontane Raves an möglichst ausgefallenen Orten (Lagerhallen, Parkhäuser, Bunker) organisiert, professionalisierten sich die Strukturen mit der Zeit, bis schließlich die Vision vom eigenen Festival bereit war, umgesetzt zu werden. 

Der gute Ruf der bis dato umgesetzten Veranstaltungen hatte sich im Bekanntenkreis herumgesprochen, sodass zum ersten Sägewerk 2022 bereits 400 Gäste erschienen. Zwar handelte es sich dabei ausschließlich um Freund*innen und Freundesfreund*innen, doch die neuen Dimensionen eines mehrtägigen Events brachten eine Menge neuer Herausforderungen mit sich, die gemeistert werden wollten. Man brauchte sanitäre Anlagen, Essen, Stromversorgung, behördliche Genehmigungen und natürlich Platz. Letzteren konnte ein Bekannter vermitteln. So durfte ein ausreichend großes Waldgrundstück in Brandenburg als erstes Festivalgelände herhalten. Alles Übrige gelang schließlich in einem effektiven Zusammenspiel von Autodidaktik, geteilter Erfahrung und einem funktionierenden Netzwerk, das sich auch im Weiteren bewähren sollte.

Hürden und Helfer

Der erste Aufschlag für größere Veranstaltungen war ein voller Erfolg, „die Probe”, wie khisdapaze-Gründungsmitglied Janfred die Sägewerkpremiere heute bezeichnet, gemeistert. So konnten aus 400 Gästen im ersten Jahr 1.500 im folgenden und ganze 3.000 in diesem werden. Keine schlechten Zahlen für ein gänzlich unabhängiges Projekt. Wobei, gänzlich unabhängig trifft es doch nicht ganz. Nach dem ersten Festival schaltete sich kein Geringerer als der Bürgermeister der anliegenden Gemeinde Guben ein. Er hatte Redebedarf, denn die Resonanz aus der Umgebung war gemischt ausgefallen, manche beschwerten sich über die Störung der ländlichen Ruhe, andere freuten sich über den frischen kulturellen Impuls für die Gegend. Zweiteren Standpunkt vertrat auch der Bürgermeister, der die Veranstaltung gerne unterstützen und für mehr Menschen zugänglich machen wollte. Dieses keineswegs selbstverständliche Wohlwollen ermöglichte schließlich die Vermittlung zur aktuellen Location auf dem Flugplatz Cottbus-Drewitz

Ein absoluter Glücksgriff, wie sich herausstellen sollte. Zwar mussten erstmal umfangreiche Räum- und Reinigungsarbeiten sowie ein gründlicher Grünschnitt auf dem wild verwachsenen Gelände unternommen werden, doch das Potenzial des Ortes war von Beginn an sichtbar. Die letzte Hürde lag lediglich im Wasseranschluss. Für jenen wurde zunächst in 800m Entfernung der nächstgelegene Hydrant ausfindig gemacht, im Folgenden die offizielle Genehmigung zur Nutzung eingeholt und schließlich noch ein eigenes Wasserleitungssystem errichtet.  

Als das Wasser floss, stand dem Sägewerk 2.0 nichts mehr im Weg. Seither kann das Kollektiv auf eine Location zurückgreifen, die ganz dem Geist der ersten Raves entspricht (Bunker inklusive) und zudem mehr als genug Platz bietet, um problemlos den Schritt von der privaten zur öffentlichen Veranstaltung zu gehen. Darüber hinaus lassen die Eigentümer dem Kollektiv ausreichend Spielraum zum freien Austoben bei der Gestaltung des Geländes. 

Schweiß und Sägen

Die Möglichkeiten eines solchen „Holzspielplatzes”, wie Janfred es treffend benennt, reizten auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Helfer*innen aus dem erweiterten Freundeskreis, tatkräftig am Aufbau mitzuwirken. Für drei Tage Arbeit, so der Deal, erhält man ein kostenfreies Ticket. Laut Janfred würden jedoch viele der Helfer*innen deutlich länger mitwirken, einige sollen sogar extra Urlaub genommen haben. So seien zusätzlich zum siebenköpfigen Kernteam noch etwa 30 weitere Personen an verschiedenen Prozessen der Organisation und insgesamt ganze 120 Personen am Aufbau von Bühnen, Bars und co. beteiligt. Dabei ist von absoluten Holzlaien bis zu ausgebildeten Tischler*innen und Techniker*innen alles dabei. 

Jede*r kann sich irgendwie nützlich machen, jede Hilfe wird dankend angenommen. Gerade die Holzprofis würden die Freiheit in der Gestaltung von Bühnen und Gelände, die Möglichkeiten sich auszuprobieren und kreativ zu werden, sehr auskosten. Dahingehend ist auch der Titel Sägewerk gar nicht mal so unpassend. Am Ende ist auch in diesem Jahr mit spürbar viel Hingabe, Liebe für Details und Freude am Holz über Wochen ein Festivalgelände geformt worden, das Platz zum Wohlfühlen und Entspannen ebenso wie zum Entdecken und Ausprobieren sowie selbstverständlich zum Tanzen bietet. Laut Janfred könne man sich auf die eine oder andere Überraschung freuen. Neugier zu entfachen und zu belohnen sei ein ausgemachtes Ziel bei der Gestaltung des Geländes. Im letzten Jahr hätten zum Beispiel nur die Wenigsten mitbekommen, dass es möglich war, in einem versteckten Bunker Mario Kart zu spielen.

In diesem Jahr wird es zudem einen sogenannten Erwachsenenspielplatz, Kunst- und Lichtinstallationen, verschiedene Workshops und eine 24/7-YumYum-Bar geben, an der Janfred zufolge „Quatschprogramm großgeschrieben wird”. Viel mehr soll an dieser Stelle noch nicht vorweggenommen werden. Auf alle Spielereien und Überraschungen wird ausführlich im Nachbericht eingegangen!

Tanzen und Entdecken

Abgesehen vom Setting und dem „gewohnt bekloppten Rahmenprogramm” (Zitat Website) soll es am Ende natürlich auch um Musik gehen. Auf 4 Floors wird ein breites Spektrum angeboten, das den Fokus definitiv auf diverse Facetten elektronischer Musik legt. Doch auch in puncto Live-Acts hat das Sägewerk ordentlich aufgestockt. Von Rap mit Popeinschlag (6Euro9zig, Carls8erg, Shelly Coral & Llado) über Soul (Faroul), Indierock (Westhafen, baby of the bunch) und (Post-)Punk (Zero Discount, Schnallo, Remote Bondage) bis zu schwer greifbaren, aber sehr spannenden experimentellen Sounds (GIGI Blow Cooperation) wird ordentlich Abwechslung geboten.

Da so gut wie alle Artists über persönliche Kontakte und ohne professionelles Booking rekrutiert worden sind, darf man sich auf ungeschliffene Neuentdeckungen außerhalb des Mainstreams freuen. Manche würden laut Janfred zum ersten Mal eine Festivalbühne bespielen. Doch auch erfahrene Live-Acts wie Carlo Karacho oder Dobel aka Longus Mongus sind auf dem Lineup zu finden. Headliner werden dabei allerdings ganz bewusst weder gesucht noch auserkoren.

Welche Acts ihr definitiv auf dem Schirm behalten solltet, erfahrt ihr im Erfahrungsbericht nach dem Festival. Denn bei allen Vorschusslorbeeren soll nun natürlich erprobt werden, wie genau sich die Sägewerk-Experience in der Praxis anfühlt. Ob das Awareness-Konzept greift, ob die sanitären Anlagen ausreichen und ob das Bier bei diesen Preisen überhaupt schmeckt, kann schließlich nur direkt vor Ort untersucht werden.