Die Alben des Monats | Juni 2023

Gerade erst vom splash! heimgekehrt, werfen wir den Blick noch einmal zurück auf den Juni und küren die drei Alben des Monats. Viel Gutes ist released worden, von Altmeistern wie Afrob über große Namen wie KC Rebell bis hin zu Newcomern wie Dante YN oder Underground-Representern wie Heliocopta & Figub Brazlevic.

Entschieden haben wir uns in der Redaktion aber drei andere Alben. Für vielleicht die meiste Diskussion im ganzen Jahr gesorgt hat Shindy mit seinem neuen Album »In meiner Blüte«, das auch mehrere Wochen nach Release noch polarisiert und durch den schwelenden Kollegah-Beef nach wie vor Promo erhält. Unseren Autoren Magnus interessiert aber weniger das Drumherum und viel mehr die Inhalte und Aufmachung des Albums – und findet unter den 16 Tracks des Albums eine ganze Menge Schätze aber auch einiges redundantes.

Zu unseren Alben des Monats gesellt sich auch das dritte Album »Weich« von Peat, auf dem sich Thematiken angenommen werden, die im deutschen Rap nicht häufig zur Sprache kommen. Der ganz eigene Mix aus unterschiedlichsten Genres hat unseren Autoren Tim sofort in seinen Bann gezogen und das Projekt deshalb zu seinem Album des Monats gemacht.

Last but not least findet ein Mann zum gefühlt 42132. Mal seinen Platz in einer Bestenliste: Apache 207 kann sich seit Anbeginn seiner Karriere kaum vor Erfolgen retten und findet auch mit seinem neusten Album »Gartenstadt« wie im Autopilot seinen Weg in die Charts und sämtliche andere Listen. Unser Autor Matthi hat nach wie vor nicht genug von dem eingängigen Poprap des Ludwighafeners und kommt auch auf diesem Album voll auf seine Kosten.

Shindy – In meiner Blüte

Album des Monats Juni: Shindy - In meiner Blüte
Cover via SHINDY / Sony Music Entertainment

Lang und zäh war die Promophase, hoch die Erwartungen an Shindys fünftes Soloalbum. Enttäuscht hat es nicht und doch gibt es gute Gründe, warum nun statt der 16 Album-Songs ausgerechnet der eine im Nachhinein veröffentlichte Track die größten Wellen schlägt. Klar, dass Shindy auf »Free Spirit« plötzlich derart direkt und hemmungslos zurück schießt, nachdem er in den letzten Jahren einiges hatte schweigend über sich ergehen lassen, bringt großes Sensationspotenzial mit sich. Am Ende kann der fünfminütige Disstrack aber auch als Entschädigung gesehen werden, für manch klare Stärken des Wahl-Münchners, die auf »In meiner Blüte« nicht bis zur letzten Konsequenz zum Tragen kommen.

Am hellsten strahlt Shindy, wenn er Persönliches verarbeitet und dabei sein lyrisches Genie entfaltet oder mit Arroganz und Attitüde besticht. An poetischer Finesse mangelt es dem Album dabei definitiv nicht, in diesem Bereich erleben wir Shindy auf einem nie dagewesenen Level. 

Malerisch und magisch baut er sich einen Palast, schmückt ihn detailverliebt aus, zeichnet ein Leben wie im Traum. 

Mein Springbrunn’n plätschert / Engel blasen Wind durch die Blätter / Kids kichern, so klingt mein Orchester / … Alte Bäume und die Vögelchen zwitschern / Dreh’ mich um und schau’ ein schönes Gesicht an

Shindy auf Old Money

Bezaubernde bis brutal bouncende Produktionen von CAZ und OZ mit internationalem Touch und handverlesenen Samples von Daft Punk bis Destiny’s Child, breiten sich vor Shindy aus wie ein roter Teppich, auf dem er zu glänzen weiß. Lässig schlendert er, strahlt mit dem Hollywoodsmile, „frisch gebotoxt für den Glow”, bis er irgendwann aus dem Schlendern nicht mehr rauskommt und sich zu wiederholen beginnt.

Er rappt nicht „jeden Verse, als müsste [er] es nochmal schaffen”, sondern an vielen Stellen, als hätte er ausgesorgt, was er allem Anschein nach auch hat. So entsteht das Gefühl, Shindy wäre schlichtweg zu satt, um noch hungrig zu rappen.

Dabei strotzt vor allem der Albumprolog noch geradezu vor diesem Hunger. Hier, wenn er flowt „mit der Präzision eines Barbers”, wirkt er unstoppable, „god-gifted”, mitreißend und zu allem im Stande. Hier erweckt er den Eindruck, tatsächlich in seiner Blüte zu stehen und erzeugt Erwartungen, denen das Album im Ganzen nicht gerecht wird. 

Natürlich geht es am Ende wie immer um Sex, das große Geld und seine Familie, wenn auch diesmal verspielter, augereifter und definitiv persönlicher als auf den Alben zuvor. Mittlerweile ist er zweifacher Vater und trägt diese Rolle mit Stolz. Immer wieder nennt er die Namen seiner Söhne, Nico und Pablo, widmet ihnen mit »STEPS« sogar einen ganzen Song, der leider durch die Hook von (Nico) SANTOS zu einem etwas nervigen Kinderlied für neoliberale Früherziehung verkommt. Auf ähnliche Weise verliert schon »ALL EYEZ ON ME«, das eigentlich mit starken Parts überzeugt, seinen Reiz, da der Refrain jedes Mal aufs Neue für Schmerzen sorgt.

Es ist keinesfalls so, dass alle Blätter dieser Blüte welk sind. Nur hinterlassen manche musikalischen Entscheidungen sichtbare Kratzer, die im Schatten der Momente, in denen Shindy am buntesten aufblüht, umso mehr auffallen. Was einen schlussendlich dazu zwingt, das Gesamtwerk derart kritisch zu betrachten. 

Mehr Songs wie »SEPTEMBER« oder »KOSTA’S FREESTYLE« hätten dem Album gut getan. Dahingehend gleicht es einem Verbrechen, das die Vorab-Singles »IM SCHATTEN DER FEIGENBÄUME«, »MANDARINEN« und »MAMI FREESTYLE« nicht integriert wurden. Weniger Filler wie »CENT’ANNI«, »CANDY RAIN« oder auch »HOW COME?« (bei allem Respekt für Nate Dogg) hätten dagegen definitiv nicht geschadet. 

So ist es lediglich ein schönes Album, das sein Potenzial andeutet, aber nicht ausschöpft. Immerhin wird es mit Sicherheit nicht das letzte gewesen sein, was wir von Shindy hören. Hoffentlich blüht er mehrjährig.

– Magnus Menzer

Peat – Weich

Album des Monats Juni 2023: Peat - Weich
Cover via Peat

Aus dem Online-Battlerap-Kosmos auszubrechen und sich im alltäglichen Rap-Geschäft zu etablieren, ist wie wenn man Daniel Radcliffe heißt und Harry Potter gespielt hat. Jeder wird sich an diese eine Rolle erinnern. Doch wird man auch mehr als nur ein Zauberer sein?

Seit dem Sieg im VBT-Finale 2019 arbeitet Peat beständig daran, auch anderweitig Eindruck zu hinterlassen. Mit dem dritten Album »WEICH« hat Peat es endgültig geschafft. Die Art der Musik ist so eigen, dass sie sich nur wenig an aktuellen Trends orientiert. Vielmehr schafft Peat durch den größtenteils selbstproduzierten Mix aus Rap, Industrial, Hyperpop, Punkrock und vielen weiteren Einflüssen ein eigenes Universum. Hier prallen Power auf Scham, Lärm auf Liebe und Wut auf Verzweiflung und gehen gleichzeitig Hand in Hand. »WEICH« wirkt erst hart und dann wieder weich. Passenderweise zeigt das Cover Peat seelenruhig liegend auf einem Bett aus Scherben und Pflanzen.
Das “Kind des Internets”, wie Peat sich selbst beschreibt, treibt sich in den dunklen Sphären des Internets herum und befasst sich größtenteils mit dessen Abgründen wie zum Beispiel Pornographie oder Drogen. Der reflektierte Umgang hat etwas reinigendes an sich. Peat spricht die eigenen Probleme deutlich an, feuert sie aus dem System und versucht sich davon frei zu machen. Doch ganz eindeutig ist es nicht, ob Peat sich nicht auch als der üble Teil der Menschheit akzeptiert.

Und eines Tages kommen alle, die mal schlecht waren in ein Loch
Das in die Hölle führt/
Ich möchte da nicht hinkommen oder doch

Peat auf Himmel

Die Flucht in das World Wide Web ist zwar eine grausige Option seinem Kopf zu entfliehen, jedoch scheint Peat den Pfad hindurch bestens zu kennen und ist vielleicht genau deshalb auf dem richtigen Weg.
»WEICH« ist ehrlich und schamlos und dadurch ein Projekt, bei dem man den Menschen hinter der Musik besser kennenlernen kann. Peat schafft es trotz oder gerade wegen seiner unkonventionellen Textweise und variierenden Musikeinlagen echte Gefühlsregungen zu erzeugen. Zusätzlich bietet wird den Hörer*innen ein echter Mehrwert geboten, indem neue Perspektiven auf das Thema Internet thematisiert werden, mit denen man sich identifizieren kann. Man könnte es fast als eine Art Pionierarbeit bezeichnen. Peat ist also kein Daniel Radcliffe, sondern eher ein Robert Pattinson, der seiner Rolle als Vampir in Twilight entwachsen und zu einem eigenständigen Artist gereift ist.

– Tim Mahler

Apache 207 – Gartenstadt

Album des Monats Juni: Apache 207 - Gartenstadt
Cover via Feder Musik / Four Music Productions / Sony Music Entertainment

Wenn im Moment jemand den Titel Deutschrap-Superstar verdient, dann ist es wahrscheinlich er: Apache 207. Niemand hat die Szene und mittlerweile auch vieles drumherum so im Griff wie der Ludwigshafener. Für die Releaseparty zum neuen Album »Gartenstadt« kurzerhand einen ganzen Freizeitpark gemietet? Easy. Vier von fünf Plätze in den offiziellen deutschen Singlecharts eingenommen? Check. Beerpong mit Post Malone? Auf locker.

Keine Frage, der 25-Jährige Rapper/Sänger hat sich um seinen Platz in den Deutschrap-Geschichtsbüchern verdient gemacht und das eigentlich auch schon vor dem Release von »Gartenstadt«. Trotzdem scheint dieses Album ihn noch einmal ein Level nach oben gebracht zu haben. Benannt nach dem Ludwigshafener Bezirk, in dem er aufgewachsen ist bieten die 15 Tracks einen bunten Mix aus allem, was Apache in den letzten Jahren diesen steilen Aufsteig beschert hat.

Sein ganz eigener Mix aus gesungenen und gerappten Parts, Einflüssen aus 80ern, 90ern und seinem lange etablierten Image aus Gangster und Herzensbrecher bringt erneut ein Album davor, das so vermutlich niemand nachmachen könnte. Der zu 90% verantwortliche Jumpa liefert den passenden Unterbau und serviert Instrumentals, die von hochtrabenden Synthproduktionen bis hin zu recht verhaltenen . Gemein ist ihnen allesamt jedoch, dass sie sich durch ihre Eingängigkeit immer wieder im Ohr einnisten und dort für eine ganze Zeit verweilen. Apache wiederum weiß diesen Umstand genau für sich zu nutzen und veredelt die Beats mit seiner markanten Stimme und Zeieln bzw. manchmal auch einfach nur einzelnen Phrasen, die klebenbleiben.

Das führt manchmal zu etwas mehr Style als Inhalt aber lässt trotzdem zu keiner Sekunde auch nur irgendeinen Zeifel daran aufkommen, warum Apache momentan diesen Status besitzt – und mit Sicherheit auch nicht so schnell verlieren wird.

– Matthi Hilge