In Deutschland soll Meinungsfreiheit heilig sein. Doch wer Solidarität mit Palästina zeigt, riskiert immer häufiger, dass man ihm die Bühne wegnimmt oder ihn ganz auslädt. Das vermeintlich offene Kulturland gerät unter Druck seiner eigenen Förder*innen. Ein Blick auf zwei Fälle: Nura und das Lunatic-Festival.
Nura, bekannt für ihren ehrlichen und gesellschaftskritischen Sound, hat sich mit ihrem Engagement für Palästina in ein gefährliches Fahrwasser begeben. Ein auf Instagram geteilter Screenshot aus ihrem Musikvideo zu »FUBU«, der sie vor einem Graffiti mit der Aufschrift “Free Palestine” zeigt, wird als deutliches politisches Statement gelesen.
Das blieb aber natürlich nicht ohne Konsequenzen.
ProSieben lud sie aus ihrer Sendung “Late Night Berlin” aus, nachdem dieser Post viral ging. Ein Sprecher des Senders begründete die Absage nicht mit einem klaren Wort, was vieles offen lässt, aber signalisiert, dass das Statement Nuras zu heiß war. In ihrer eigenen Stellungnahme schrieb sie später: “Krieg ist nie eine Lösung… für das, was aktuell passiert, stehe ich nicht als Befürworterin.” Dennoch sieht sie sich einer Debatte ausgeliefert, in der Solidarität offenbar als moralisch toxisch gilt. Zumindest in Teilen der deutschen Öffentlichkeit.
Das ist kein Zufall, kein Missverständnis. Es ist ein strukturelles Problem. Deutschland lobt sich selbst für seine demokratischen Werte, aber wenn eine Künstlerin mit “nicht-konformen” politischem Statement die Bühne verlässt, ist die Rhetorik des offenen Diskurses reine Fassade. Wir erleben, wie kritische Haltung gegen die israelische Politik zunehmend als “Hass” interpretiert wird, nicht als legitime politische Haltung. Je radikaler ein Statement, desto lauter muss man schweigen. Die Metapher ist brutal. Man gibt dir ein Mikrofon, aber nur, wenn deine Botschaft genehm ist.
Das Lunatic-Festival: Selbstzensur unter Förderdruck
Der Zensurmechanismus ist nicht nur auf große Medienhäuser beschränkt. Gerade in studentisch organisierten, kulturell progressiven Räumen zeigt sich, wie systematisch das Problem ist. Das Lunatic-Festival an der Leuphana Universität Lüneburg ist ein Paradebeispiel. Ursprünglich sollten zwei Veranstaltungen mit “Students for Palestine” stattfinden, unteranderem eine Diskussion zum “grünen Kolonialismus in Palästina”.
Doch dann wurden beide Programmpunkte kurz vor dem Festival gestrichen. Offiziell, weil “kritische Reaktionen” und vor allem Fördergeber*innen Druck ausgeübt hätten. Sponsor ist die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Der Verband Jüdischer Studierender bat darum, die Förderung einzustellen, falls die pro-palästinensischen Gruppen nicht ausgeladen würden. Das Festival-Team begründete die Absage damit, dass sie “nicht über die strukturellen Ressourcen” verfüge, um die politische Debatte in dieser Form zu verantworten.
Das Problem hier ist nicht nur die Absage. Es ist die Logik hinter ihr. Kulturförderung wird politisch instrumentalisiert. Wenn Fördergelder an Bedingungen geknüpft sind, wer sprechen darf und wer nicht, dann bleibt von echter Meinungsfreiheit wenig übrig. In studentischen Orten, die traditionell für progressives Denken stehen, wird so ein Raum für lebendige politische Debatten kaputt. Und es ist fatal, denn die Absage wird als “eigenverantwortliche Entscheidung” verkauft. Gleichzeitig zieht aber genau dieser Druck wegen der Förderströme die Fäden. Sowas ist keine freie Kunst, das ist Zensur mit rosa Handschuhen.
Welche Kunst hält dieses Land aus?
Diese beiden Fälle stehen nicht isoliert da. Sie sind Teil eines besorgniserregenden Trends. “Meinungsfreiheit”, die in Deutschland hochgehalten wird, hat Grenzen. Und diese Grenzen ziehen sich genau dort entlang, wo Solidarität artikuliert wird.
Wir müssen uns also fragen: Wollen wir wirklich in einem Land leben, in dem Kulturförderung zur politischen Zensurmaschine wird? In dem Geld nicht mehr Mittel zur Kreativität ist, sondern zur Disziplinierung? Wo Redefreiheit nur solange gilt, wie sie keine empfindlichen Machtstrukturen berührt?
Und gerade wir, die aus dem Hip-Hop kommen, wissen wie absurd das ist. Wir kennen die Wurzeln dieser Kultur. Sie sind nie dort gewachsen, wo sich Macht wohlfühlt. Hip-Hop ist entstanden, weil Menschen systematisch ausgeschlossen, verdrängt, mundtot gemacht wurden und trotzdem ihre Stimme lauter gestellt haben, als irgendjemand ertragen konnte. Es war immer ein Werkzeug gegen Ungerechtigkeit und ein Ventil gegen staatliche Kontrolle und soziale Stille.
Deshalb geht es hier nicht nur um Nura. Nicht nur um ein Festival in Lüneburg. Es geht um die Frage, ob dieses Land bereit ist, die Kultur, die sie so gern feiert, auch dann zu ertragen, wenn sie unbequem wird. Und wir als Kinder dieser Kultur, als Liebhaber*innen von Beats, Bars und Widerstand, wissen: Kunst, die keine Reibung erzeugen darf, ist keine Kunst.




