„Katharsis“ ist ein Begriff aus der altgriechischen Theaterwelt, der die Läuterung der Seele durch das Durchleben aufgestauter Emotionen beschreibt und stark von Aristoteles geprägt wurde. lex! verwendet diesen Ausdruck in seiner gleichnamigen neuen EP, um zu untersuchen, ob er die Konflikte, die er auf seinem Album »Goliath« geschildert hat, durch dessen Release überwunden hat. Spoilerwarnung: Hat er nicht.
Ende August letzten Jahres setzte der Hamburger mit seinem Debütprojekt erste Statements. Im Rahmen dessen haben wir den Newcomer auch in einem Next Up – Beitrag vorgestellt. »Goliath« handelt vor allem von der zerstörerischen Ambivalenz zwischen hoher Ambition und Selbsthass und bedient sich dabei an der Metapher der alttestamentlichen Sage von David und Goliath. Tatsächlich war die Idee von Katharsis schon bei der Entstehung des Albums ein antreibender Gedanke: Das Ausleben der Triebe, um sich letztendlich davon zu befreien. Wie sich anhand der neuen Songs erkennen lässt, wurde diese Erwartungshaltung jedoch nicht erfüllt. Es wirkt fast schon so, als hätte sich der Zustand von lex! noch verschlimmert.
Wenn man zu viel über gewisse Dinge nachdenkt, kann man sich schnell so tief reinsteigern und reinleben, dass es am Ende sogar schlimmer und nicht besser wird.
lex! über das Verarbeiten seiner Probleme
Mein Zimmer ist kein Zimmer
Neben den bereits angesprochenen wiederkehrenden Themen reflektiert lex! im Rahmen einer inhaltlichen Entwicklung auf mehreren Wegen den Albumprozess von »Goliath«. So wandelt sich etwa die Beschreibung seines Zimmers in Hamburg (, welches auch als Studio fürs Album fungiert hat,) von einem „Lazarett“ (»Nächstes Mal«) zu einem verwahrlosten Ort, der schlichtweg nach „Tod“ riecht (»Erbsen«).
Fluchtinstikt?
An anderer Stelle spricht lex! viel vom Umzug in eine andere Stadt, welcher möglicherweise auch durch die stark negative Behaftung seines Kinderzimmers ausgelöst wurde.
Diese Stadt verflucht mich, keine Liebe hier
lex! – Fluch
Im Rahmen dessen setzt er sich mit Feigheit, der Frage “Was wäre wenn?” und vor allem Konfrontation auseinander. Sowohl mit sich selbst als auch mit anderen Personen. Auf »Nächstes Mal« wird jedoch deutlich, dass dies nicht immer gelingt.
Gefangen in der Melancholie
Überspitzt kritisiert lex! auf »Erbsen« nicht nur die restliche Musikwelt, sondern primär sich selbst für die Gewohnheit, sich in schmerzlicher Melancholie zu suhlen – ein Motiv, das aktuell, vor allem aus der deutschen Indie Welt, nicht wegzudenken ist.
Melancholie ist todespeinlich, Schlechte Artists können nichts anderes.
lex! – Erbsen
Hiermit drückt er den Wunsch aus, die Bequemlichkeit eben dieser Melancholie und damit auch der eigenen Komfortzone zu verlassen, um sich künstlerisch zu neuen Bereichen hin zu entwickeln, wobei lex! klar ist, dass er aktuell noch selber in dieses Muster fällt.
Mit diesem Gedanken ist er aber nicht alleine. Aktuell werden immer wieder Stimmen laut, die sich zurecht über eine waltende Monotonie in der deutschen (Indie-)Musik und ihren Themen beschweren und von den Artists ein gewisses Maß an Innovation fordern und nicht ein bloßes Kopieren bereits etablierter Acts. Das UNÜBERHÖRBAR – Magazin hat dies zum Beispiel kürzlich in einem Beitrag gut auf den Punkt gebracht.
Natur und Technik
Im Vergleich zum sperrigen und ungemütlichen Sound von »Goliath« klingt »Katharsis?« deutlich melodischer, angenehmer und freier. Zwischen Einflüssen von Pop und Trap wird das Klangbild kohärent durch das filigrane Einpflegen von Botanica-Sounds zusammengehalten. Botanica ist ein Subgenre, was vor allem auf Youtube stattfindet, und das Nachahmen organischer, naturgetreuer Klänge durch technische Hilfsmittel beinhaltet. Auf dem Titelsong »Katharsis?« hört man an vielen Stellen Geräusche, die z.B. an Vogelzirpen erinnern, in Wirklichkeit aber komplett synthetisch sind.
Während Goliath fast komplett in Eigenproduktion entstanden ist, hat dieses Mal sein Freund und Mitproduzent Cyan die Hälfte zu verantworten. Außerdem findet sich auf »Keine Liebe«, dessen schallernde Snares ordentlich Eindruck hinterlassen, mit longJ, wie schon auf »Goliath«, das einzige Feature.
Problemlösung?
Wie schon im Next-Up prophezeit, hat sich lex! mit »Katharsis?« zwar soundtechnisch von der Schwere auf »Goliath« entfernt, inhaltlich jedoch nicht. Die EP konfrontiert viele Probleme, die nach dem Album offen geblieben sind, kommt dabei aber nicht wirklich zu einer Lösung. Möglicherweise gibt es diese einfach nicht.
Fakt ist jedoch, dass ein weiteres Projekt, was sich erneut in diesem Themenbereich abspielt, sowohl ihm als Person, wie auch der Zuhörerschaft vermutlich nicht gut tun würde. Aus den Texten lässt sich aber gut erkennen, dass er sich, vielleicht auf einem kommenden Release, von dieser Tristesse loslösen möchte.