Vince Staples wandert auf »Dark Times« zwischen Observation und Reflektion

Vince Staples ist auf Abschiedskurs und verpackt auf »Dark Times« Selbstreflektionen mit kleinen Hoffnungsschimmern am Ende eines düsteren Tunnels aus Text und Produktion. Es ist nicht nur sein sechstes Studioalbum sondern auch sein letztes, das über Def Jam erscheint. »Dark Times« ist ein Rückblick, ein Abschluss und ein Coming-to-terms mit der Vergangenheit, nachdem ein harter Blick aus dem Fenster und in den Spiegel geworfen wurde. Die für Vince Staples typische emotionslose Erzählstruktur wird dabei von Fragen nach der Bedeutung, emotionalen Reaktionen und Akzeptanz geschickt unterbrochen und hinterfragt – teilweise innerhalb derselben Songs, teilweise über verschiedene Tracks verteilt. Staples haucht also seiner Vergangenheit die Gefühlsebene ein, die in den trockenen Erzählungen der vorigen Projekte verdrängt wurde.

Dabei kommt das gesamte Album ohne Taschenspielertricks zurecht.
Es gibt kein Lil Baby Feature (wie auf »EAST POINT PRAYER«), kein „Mustard on the Beat Ho“ (»MAGIC«) und auch keinen versteckten Kendrick Lamar Part auf einem glitchy SOPHIE & Flume produzierten Beat (»Yeah Right«). Auf »Dark Times« beschränken sich Features auf Hintergrundstimmen in Hooks und gesprochene Interludes. Ebenfalls springt kaum ein Beat komplett unerwartet ins Gesicht. Allgemein macht somit die Platte einen unglaublich ehrlichen Eindruck, gerade aufgrund dieser essenzialistischen Ästhetik, die in Teilen an den späten Mac Miller und Earl Sweatshirt erinnert.

In der Umkehr ist es allerdings auch schwieriger, sich allein an Elementen festzuhalten, die außerhalb des Inhalts liegen. Im Fall vom Vorgänger »Ramona Park Broke My Heart« ist das beispielsweise der sommerliche Unterton, beim Self-Titled Album »Vince Staples« der Bounce von Kenny Beats oder bei »Big Fish Theory« die komplett experimentelle Soundlandschaft. Das kann sich »Dark Times« trotz ein paar Bangern (namentlich »Black&Blue«, »Étouffée«, »“Radio“« und »Little Homies«) nicht leisten. Insofern ist das Projekt gleichzeitig ohne Interesse am Inhalt weniger zugänglich als andere, andererseits legt genau deswegen die Produktion den dunkelroten Teppich für den Text und die ehrliche, teilweise fast zitternde Delivery aus.

Ein thematischer Alleingang

Umso vorteilhafter ist es, dass der Inhalt des Albums die wahrscheinlich gereifteste textliche Vorstellung in der Karriere von Vince Staples ist. Dabei sind zentrale Themen der Umgang mit der Gangvergangenheit und den Erwartungen, die daraus folgen –
für Vince Staples als Artist und für Vince Staples als Privatperson. Das ist zum Beispiel im Track »Children’s Song« zu erkennen, wo Staples seinen früheren Mitstreitern rät, ihn nicht auf sein „crippin‘“ anzusprechen und sich lieber um ihre Kinder zu kümmern, während auf »Étouffée« die Erwartungen von Label und Fans dargestellt werden, die ihm nahelegen, lieber wieder Musik wie der frühere Vince Staples zu machen.

Label tryna give me feedback, told me “Bring the streets back” / Fans said they want 2015 Vince

»Étouffée«

Und genau dieser Push & Pull funktioniert auch mit vielen weiteren Themen: der Lüge, Beziehungen, Geld, emotionaler Offenheit, verstorbenen Mitstreitern und dem Verlassen der gegebenen Verhältnisse. Das sind alles keine Themen, die das inhaltliche Rad des Raps neu erfinden. Größtenteils sind es sogar dieselben Inhalte seiner vergangenen Alben und dennoch ist die Ausarbeitung und persönliche Reflektion so stark, dass dieses Projekt wie eine Art Beipackzettel genutzt werden kann, um vorige Observationen mit seinen Gedanken zu ergänzen.

Licht am Ende des Tunnels?

Obwohl insbesondere der Anfang aus dem Intro »Close Your Eyes« und den vier nachfolgenden Tracks ein fast hoffnungsloses Setting darlegt, lockert sich die Stimmung über die Zeit hinweg punktweise auf, bis am Ende auf »Little Homies» und »Freeman« eine Akzeptanz für die Situation geschaffen wird: „Life hard but I go harder“ (»Little Homies«).

Und insofern hat die LP neben ihrer inhärenten Dunkelheit auch etwas Befreiendes in Form von Hoffnung auf bessere Zeiten. Diese Befreiung ist für Vince Staples personalisiert auf »Freeman« durch die Erfüllung des Plattenvertrags dargestellt, der ihn unter Druck der Performance und inhaltlicher Vorgaben gestellt hat. Gleichermaßen ist die Platte auch ein persönlicher Abschluss mit der Vergangenheit und den auf seiner Diskografie immer wiederkehrenden Themen.

Passenderweise wird das Album, das an sich auf Selbstreflektion aufgebaut ist, noch einmal im Outro »Why Won’t the Sun Come Out?« in Form eines Monologs von Santigold extern reflektiert, obwohl der Monolog über einen Aufatmungsmoment hinweg inhaltlich nicht viel zu dem hinzufügt, was auf dem Album schon thematisiert wurde, was auch für das Interlude »Liars« zur Halbzeit gilt.

Fazit

»Dark Times« ist ein unglaublich konsistentes und (trackweise) stimmiges Projekt, das allen externen Zusatz fallen lässt und auf 35 Minuten straight-to-the-point einen ausgefleischten Strang durchzieht – von der Depression bis zur Akzeptanz. Während die Produktion oftmals nicht flashy ist, ist sie keinesfalls generisch und gibt einem sonst oft emotionslosen Künstler die volle Möglichkeit, sich so emotional zu entfalten, dass man es nicht nur innerhalb des Albums spürt, sondern dieselben Ideen auf Inhalte der Vorgänger übertragen kann.

Das Projekt ist sicherlich nicht für alle Situationen geeignet (fürs Aux-Kabel z.B.), dennoch sind einzelne Tracks auch gut isoliert zu hören und verlieren außerhalb des Handlungsstrangs des Albums nicht ihre Wirksamkeit. Vince Staples verlässt Def Jam somit inhaltlich on-top-of-his-Game mitsamt Closure und es ist mit Spannung abzusehen, welche Wege er nun einschlagen wird – als Rapper, als Schauspieler/Regisseur und als Künstler im Allgemeinen.

Ein starkes Album, das auch ohne hochkarätige Produktionen und Features auskommt. Vince Staples bespricht gewohnte Themen, bewegt sich aber lyrisch auf höchstem Niveau.
8.5