Sobald sich etwas nicht einfach in eine Schublade stecken lässt, wird es schnell als übernatürlich oder mit Worten wie “außerweltlich“ oder “überirdisch“ benannt. Ein Alien eben. Bei Dua Saleh liegt der Vergleich nahe, da schon das Cover von »I Should Call Them« eher extraterrestrisch wirkt. Dennoch ist es auch ein fauler und einfacher Schritt, Artists als Alien in eine Schublade zu stecken, ohne sich weiter mit der Person zu beschäftigen.
Wenn man sich das Leben von Dua Saleh etwas näher ansieht, fällt schnell auf, dass die Rolle des Aliens sich wie ein roter Faden durch die Biografie zieht. Als Saleh gerade einmal fünf Jahre alt war, musste die Familie aus dem Sudan in die USA fliehen. Jahre später das Outing als non-binary – ein Geschlecht, für das die deutsche Sprache (und Gesellschaft) noch immer keinen vernünftigen Platz geschaffen hat. In den USA ist dies sicher keine leichtere Erfahrung, besonders wenn man die aktuellen Debatten um die Rechte von trans* Menschen verfolgt. Saleh nimmt das als Anlass, mit Musik genau diese Aliens der Gesellschaft zu stärken und ihnen als großes Vorbild zu dienen, besonders auch für Menschen, die ihre Queerness im Sudan unterdrücken müssen. Der Track »pussy sucide« ist ihnen gewidmet, wie Saleh auf Instagram schrieb.
I wrote a Song for Transgender Aliens
Dua Saleh auf Instagram
Dua Saleh hat sich selbst lange zurückgehalten und die eigene Gefühlswelt gut versteckt und geschützt. Das neue Album soll nun Teil der inneren Konfrontation sein, allerdings nicht unbedingt mit den eigenen Dämonen, sondern vielmehr mit roher Offenheit. Emotionen werden auf »I Should Call Them« nicht mehr lyrisch verschleiert, sondern ehrlich wie nie zur Schau gestellt. Das Ergebnis ist eine spirituelle Reise zwischen zwei Liebenden. Von leidenschaftlichem Sex, über die pure Freude der Liebe hin zu den Abgründen des Herzschmerz – die Karten werden offen gelegt.
Black Metal R&B
Dua Saleh spinnt über 35 Minuten ein dichtes Netz aus futuristischer Elektro-Pop-Musik eingewebt mit Strängen aus R&B. Das Hörvergnügen ist dadurch zwar nur kurz, aber unglaublich spannend. Während der Intro-Track
»chi girl« stark an FKA Twigs’ Futur-Pop erinnert, ist ein Song wie »time & time again« mit Sid Sriram wieder ganz das klassische R&B-Duett. Saleh experimentiert mit der eigenen Stimme und manipuliert sie teils künstlich hoch, um dann in anderen Tracks wieder zu einem natürlichen Grundton zu wechseln. Die Übergänge bei Songs wie »bo beep« sind dabei so fließend, dass man fast vergisst, dass es sich bei Dua Saleh nur um eine Person handelt.
Das Album wird mit »2excited« beendet – einen Song, den Saleh selbst als Grundstein des neuen Genres “Black Metal R&B” bezeichnet und damit wieder zwei Genre-Schubläden zuschlägt, in die sie nicht einfach geworfen werden kann. Schön ist dabei auch, dass der Song, ähnlich wie das gesamte Album, zu Beginn in eine scheinbar vorhersehbare Richtung führt – nur um sich dann von diesem futuristischen R&B immer weiter aufzubauen und letztendlich im chaotische Getöse abrupt zu enden. Wenn das Black Metal R&B ist, sind wir ab sofort große Fans.