Das Album des Monats | November 2024

Die gebürtige Wienerin verifiziert ist bekannt für ihren verträumten Cloud-Pop irgendwo zwischen langen Nächten in Wien, Autofahrten als Form des Eskapismus und popkulturellen Referenzen aus den 2000ern. In den letzten Jahren hat sie sich bereits einen Namen in der deutschsprachigen Szene gemacht, wozu unter anderem auch Features mit Größen wie Paula Hartmann, 01099 und Longus Mongus beigetragen haben. Nach ihrem 2023 erschienenen Debütalbum »adhs« legt sie nun mit »bulletholes« nach und zieht auf dem Projekt etwas andere Saiten auf. 

verifiziert – bulletholes

»bulletholes « Albumcover

Das Intro »bulletholes«, welches gleichzeitig auch der Titeltrack ist, dient gewissermaßen als Einleitung für die Reise durch die insgesamt dreizehn Songs. In sanfter Kopfstimme gepaart mit einer reduzierten Gitarre eröffnet verifiziert ihr Album mit den Worten: „Bulletholes in meinen Flügeln, war schon immer so. Hab’ gelernt, damit zu fliegen, lass’ sie nicht mehr los. Über Dächern in mein’n Flügeln, zähl’ die Bulletholes. Und ich zeig’ dir, wie das geht, halt dich gut fest.“ und stellt damit, begleitet von einem mit für sie typischen Augenzwinkern und „pew-pew“ Ad-libs, das Programm der nächsten halben Stunde vor. 

Es geht um Traumata und vergangenen Schmerz, was zuvor noch Hindernisse für sie waren. Jetzt weiß sie aber damit umzugehen und möchte beides als prägende Erfahrungen nicht mehr missen. Das lyrische Du wird eingeladen, sie zu begleiten und von ihren Bewältigungsstrategien zu lernen. Zeilen, wie „du bist ein Engel ohne Plan“ könnten dabei gleichermaßen an ihr jüngeres, wohl naives Ich sowie generell an Personen in ähnlicher Situation gerichtet sein. Klar ist, dass sie beiden aus der Misere helfen möchte. 

Im Verlauf des Songs steigt die Dynamik weiter an. Erst setzt eine zweite Gitarre und zur letzten Wiederholung der Hook imposante, orgel-ähnliche Chords ein, durch welche sich das Outro, in Übereinstimmung mit den Lyrics, wie ein epochaler Sturz- bzw. Steigflug anfühlt –  passend zum Bild einer modernen Adaption des Ikarus-Mythos. 

Hierbei wird dem Zuhörer noch selbst überlassen, für was er sich entscheidet. Zunächst aber soll sich gut festgehalten und zugehört werden

Nächtliche Gedankengänge

Eine wiederkehrende Kulisse in Veris Songs und insbesondere auf dieser LP ist die »stadt die immer schläft«, beziehungsweise Wien. Auf dem melancholischen Beat von Mo.Nomad, der von einem verspielten chopped-vocal Sample geschmückt wird, werden die sonnenlosen Stunden des Tages als Sehnsuchtsort beschrieben. Hier weichen die alltäglichen Probleme und Sorgen der einnehmenden Ruhe der Nacht. Die Wienerin lässt jedoch durchschimmern, dass diese Idylle in einsamen Momenten von kraftraubenden Gedankenkarussellen abgelöst werden können. 

Dass diese Empfindungen nicht immer ungerechtfertigt sind, zeigt der anschließende, an den gleichnamigen Prince Song angelehnte Track »manchmal schneit es im april«. Begleitet von schwermütigen Gitarren und Garage-anmutenden Drums werden hier die Anfänge einer Situationship geschildert. Glückseligkeit und Frühlingsgefühle treffen auf Chaos und Verunsicherung, die durch hastige Lines im ersten Part unterstrichen werden. In Zeilen wie „Ich wollte eigentlich nur geh’n, aber er lässt mich schweben“, wird die emotionale Abhängigkeit von einem Partner als Konsequenz der Liebestrunkenheit kritisch beleuchtet, insbesondere wenn, wie in diesem Fall noch jemand Drittes auftaucht, die den frisch gewonnenen Frieden stört. So mag es sich anfühlen, als würde es im blühenden Frühling überraschenderweise nochmal einen Kälteschub geben, wie verifiziert in der Hook metaphorisch besingt. 

Will so viel sagen, aber kann’s nicht

manchmal schneit es im april

Die Probleme, ausgelöst durch die Ex-Partnerin, werden aber eher distanziert beschrieben. Möglicherweise will Veri es nicht wahrhaben, ihr fehlt an der Stelle jedoch noch der Mut sich dazu zu äußern

Wir sind Helden, Juli und ein Haufen Scherben

Um ihre Gefühle zu überstehen, flüchtet sie sich in die Welt des Retro-Videospiels »megaman«

Ich renn’ wie Mega Man, ich flieg’ durchs System unendlich, weil hier ist nichts lebendig.

megaman

Der aus rohem Gitarrensound bestehende und mit Soundeffekten aus einem auf dem Flohmarkt gefundenen Keyboard gespickte Beat erzeugt eine wohlige 2000er Nostalgie, die charakteristisch für das Klangbild von verifiziert ist und auf dem Folgetrack »kaputt« fortgesetzt wird. 

Veri macht keinen Hehl daraus, dass sie ein großer Fan des deutschen Pop-Rock der 00er Jahre ist. Wir sind Helden Referenzen (auf »Sommersprossen« mit fiio) und ein in diesem Sommer erschienener Autotune-Remix der Hitsingle von Juli »Perfekte Welle« sind dabei nur zwei Beispiele. 

Hier gipfelt dieser Einfluss in einer wütenden Botschaft an einen mittlerweile ehemaligen Partner. Während in den Strophen das Hin und Her und somit die guten und schlechten Phasen der Beziehung reflektiert werden, stellt die geladene Hook die Ignoranz des Partners an den Pranger und gibt transparent zu, dass der bittere Schmerz, der dem lyrischen Ich zugefügt wurde, auch nach zwei Jahren noch präsent ist. Das Symbol der Scherben steht hier sinnbildlich für ihren Gefühlszustand, der auch im Musikvideo theatralisch dargestellt wird. 

Bittersüße Aufrichtigkeit

An dieser Stelle eine Triggerwarnung – In dem folgenden Abschnitt unter dieser Überschrift geht es um Essstörungen.

Mentale Gesundheit ist auch das Thema von »fliegen«, spezifisch Essstörungen. Laut eigener Aussage möchte sie mit diesem Song Awareness dafür schaffen und dazu ermutigen, Hilfe zu suchen. Falls ihr mehr zu ihrer Erfahrung und Umgang mit dieser Krankheit erfahren möchtet, kann ich euch ihre Folge des Danke, Gut. – Podcasts von Miriam Davoudvandi empfehlen.

Das Slow-Pop Instrumental des Songs sowie Veris behutsame Stimme unterstreichen den Wunsch nach einem Gefühl der Leichtigkeit, das mit unmittelbarer Ehrlichkeit beschrieben wird. Auch die zuvor erwähnte Dreiecksbeziehung ist wieder Thema, insgesamt wirkt die Hook aber wie ein nachsichtiger Appell an ihr jüngeres Ich, nicht so hart mit sich ins Gericht zu gehen. 

Ich wollte leicht sein, ich wollte nur fliegen

fliegen

»blaulicht« setzt mit gedämpften Bässen und einer trüben Melodie das bisherige Thema fort, wobei der Song mit modernen Elementen wie den kurzen Synth-Einwürfen stilistisch an Veris Debütalbum »adhs« erinnert. Mit leisen Sirenen im Hintergrund gewährt verifiziert Einblick in eine toxische Beziehung, in der das lyrische Ich ein notwendiges Mittel ist, um die Aggressionsprobleme ihres Partners auszugleichen. 

Laufe auf Shox und chill’ meine Fettness

Die Stimmung wechselt auf »alles okay« nun aber endlich ins Positive. Trotz leicht niedergeschlagener Stimme zeugen Text und Instrumental von Zuversicht. Dem destruktiven Partner wird kaum noch Beachtung geschenkt und gewohnte unbeschwerte Einwürfe wie „Chrome Hearts, Backflips“ zeigen, dass sie langsam aus ihrer misslichen Situation und wieder zu sich selbst gefunden hat. 

War schon lang nicht mehr so so bei mir

alles okay

Popkulturelle Referenzen, nächtliche Atmosphäre und ein zum Schmunzeln bringendes Lucio101 Zitat. Auf »blackout in der gegend« zeigt sich Veri von ihrer besten Seite, obgleich nicht ganz klar wird, inwiefern sich der Song in den roten Faden des Albums eingliedert. Nichtsdestotrotz ist er ein liebestrunkener Ohrwurm, der nach einigem Hören nicht mehr aus dem Kopf gehen möchte. 

Nostalgie pur mit Skins und Tumblr

Zum letzten Drittel finden wir uns erneut in der Melancholie wieder. Benannt nach der Kult-Social Media Plattform ist »tumblr« ein stetiger Wechsel zwischen tiefer Traurigkeit und optimistischer Zuversicht.  

Heute nicht mein Tag, aber wird schon wieder gehen

tumblr

Spannend ist hier der Verweis zur britischen Serie Skins aus den späten 2000ern, die damals ihre Zuschauer mit jugendlichem Rausch und Ekstase schockierte. Die zweite, 2008 erschienene Staffel trotzt nur so von dramatischen Ereignissen, Traurigkeit, Verrat und Tod. Dass Veri also „Skins Staffel 2“ ist, spricht Bände für ihre emotionale Verfassung. 

Typisch für viele Teenager stellt sich ihr Weg damit umzugehen als nächtliche Realitätsflucht „in irgendeinem Park“ dar, bei der einem plötzlich auffällt, dass man die eigene Mutter schon länger nicht gesehen hat. 

Tourlife und Rückfälle 

»revolver« macht einen Zeitsprung in die ungefähre Gegenwart. Veri singt auf einem eiligen Beat zwischen Tokio Hotel und SIMS Referenzen vom aufregenden Festival-Leben. Sie ist spürbar sorglos und das nicht nur, weil sie statt ihrem bereits auf »tumblr« erwähnten kaputten Feuerzeug die zehn von ihrem Bruder benutzen kann. 

Der Schein kann aber trügen, denn obwohl sie ein „Momentary Sweetheart“ hat, lassen Zeilen wie „Will nicht drüber reden, drum stell keine Fragen“ und „Von Show zu Show, haben dafür keine Zeit“ erahnen, dass die bekannten Probleme nicht ganz verarbeitet sondern bloß verdrängt wurden. 

Dies bewahrheitet sich schließlich auch auf »scherben«, der einen drastischen Kontrast zu »revolver« darstellt. Die schnelle Gitarre, welche nicht mehr fröhlich, sondern entschleunigt und düster klingt, wird von klagenden gelayerten Hintergrund-Vocals ergänzt. 

Scheinbar hat ein Rückfall zum toxischen Partner stattgefunden, der das lyrische Ich ausgelaugt und mitgenommen hinterlässt, da immer noch eine klaffende Distanz zwischen den beiden besteht. Mit „Ich seh’, am Boden glänzt das Scherbenmeer
Früher mocht ich Scherben sehr“ nimmt sie clever auf »kaputt« Bezug und kommt zur Einsicht, dass diese zwischenmenschliche Beziehung ihr nicht mehr gut tut. Fast schon schmerzerfüllt schlussfolgert sie „Nichts, was da war, war umsonst und schon gar nicht erst wir“. Obwohl die Person ihr viel Leid und Kummer gebracht hat, ist sie doch dankbar für die gemeinsamen Erfahrungen, die sie letztlich hochgradig in ihrer Entwicklung geprägt haben.  

Ein resignativer Abschied

Wüsste man nicht, dass noch ein letzter Track folgt, könnte man denken, dass das Album hier vorbei wäre. Die sphärische E-Gitarre kulminiert im Outro von »scherben« analog zur freudlosen Stimmung, die »bulletholes« an einem ziemlich bedrückten Punkt beenden würde. 

Glücklicherweise ist das nicht der Fall. »ich hoffe niemand weckt mich auf« beginnt mit unterschiedlich gepitchtem Summen von Veri und wird anschließend von harmonischen Akkorden ergänzt. Mit fragiler Stimme skizziert sie eine träumerische Momentaufnahme, die trotz positiver Atmosphäre vom Zwiespalt geplagt ist: „Deine Lippen so weich, alles tut weh“. Es wird klar, dass ein Abschied nötig ist. Die daraus entstehende klagvolle Resignation steigt entlang des wachsenden Instrumentals und verstummt in den letzten Sekunden mit den fern-klingenden versöhnlichen Worten: „Es ist okay“. 

Von »adhs« zu »bulletholes«

Wer nach Brechern wie »One Call away <3« oder »Suzuki Swift« vom Vorgänger »adhs« sucht, ist hier zwar fehl am Platz, doch die braucht das Album auch nicht. 

Die Songs tragen eine unbeschreibliche Traurigkeit und Melancholie in sich, die nicht selten auf die Tränendrüse drücken. Dies lässt sich meiner Meinung nach auf zwei Dinge zurückführen. Zum einen klingen Veris Vocals auf diesem Projekt so zart und ehrlich wie noch nie zuvor. Stellenweise wirkt es so, als wäre ihre Stimme kurz vorm Zerbrechen. 

Zum anderen ist die Produktion höchst eindrucksvoll. Der Wiener Produzent Mo.Nomad aka Moritz Seidel ist hierfür wahrscheinlich der Hauptverantwortliche. Der Pan Kee-Bois Vertraute hat insgesamt an acht der dreizehn Tracks mitgewirkt und dabei das Soundbild maßgeblich geprägt. Wer aufmerksam hinhört, entdeckt unzählige kleine Details in den Produktionen, die die Instrumentals teils sehr minimalistisch, teils komplex arrangiert klingen lassen. 

Mit »bulletholes« ist verifiziert eine beeindruckende künstlerische Entwicklung gelungen. Das Album erzählt eine berührende, dramaturgisch spannende Geschichte zwischen jugendlicher Euphorie, dem oft destruktiven Wunsch nach Realitätsflucht, Trauer, Lost-Sein und macht schlussendlich Mut zur Besserung. 

Es bleibt gespannt zu sein, wo die Zusammenarbeit von Mo. und Veri, sowie verifizierts eigene Evolution noch hinführt. Ein derartiges zweites Album lässt uns aber zuversichtlich in die Zukunft blicken.