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Mehr zu den Hintergründen der fünf Tracks, zu ihrem bisherigen Werdegang und großen Plänen für das kommende Jahr erfahrt ihr im Interview.
Würdest du sagen, es gibt ein Grundkonzept, das sich als roter Faden durch die EP zieht?
Ja, ich glaube, das Grundkonzept ist, dass das unsere ganzen Babys, unsere Anfänge sind. Ich glaube bis auf »Stuhl im Garten« sind alle Songs vor ein bis zwei Jahren, wenn nicht sogar noch früher, entstanden. Es sind vor allem die Songs, die wir zuerst auf Bühnen gespielt haben, die Sachen, die uns geprägt haben, von Anfang an. Man hätte das auch überspringen können, aber ich fand es wichtig, dass sie jetzt in dem Rahmen alle zusammen für sich stehen dürfen, als EP.
Teilweise haben wir Aufnahmen gar nicht nochmal neu recordet, also es sind wirklich die allerersten Aufnahmen von Nico (Anm. d. Red.: Nicolàs Llado) aus dem WG-Zimmer. Wir hatten eine Phase, wo wir zum Beispiel bei »Von Anfang an« dachten: „Als ob wir jetzt einen Soundcloud-Song hochladen, lass den auf jeden Fall nochmal neu machen.” Und dann haben wir uns eine Woche damit rumgeschlagen und waren so: „Nee, der wird nicht nochmal neu gemacht.” Es gibt diese Erwartungshaltung, dass etwas fertig sein muss, und ich glaube, davon haben wir uns kurz beeinflussen lassen, weil wir dachten, ein Song kann ja noch nicht fertig sein, wenn wir ihm nur einen Nachmittag geschenkt haben. Und daraus ist am Ende das gegenteilige Konzept geworden, dass eigentlich alle Songs genau diesen rohen und authentischen Vibe haben.
Ich hatte das Gefühl, dass die Songs auch auf emotionaler Ebene sehr gut zusammenpassen. Für mich liegt der gemeinsame Nenner im heilsamen Akzeptieren und Zulassen unterschiedlicher Gefühlszustände. Siehst du das ähnlich?

Also wir haben sehr viele Songs aus dieser Zeit und für mich passen diese fünf schon auch in eine emotionale Welt. Aber ich glaube, ich habe eine sehr andere Wahrnehmung, was die Songs für mich bedeuten, als was sie nach außen tragen. Was ja auch geil ist! Eigentlich möchte ich gar nicht zu doll vorwegnehmen, was meine Gedanken dahinter sind, weil es ja total schön ist, wenn du zum Beispiel sagst, du ziehst da ein Gesamtgefühl aus den Songs. Ich finde es total interessant anderen Personen zuzuhören, was sie dabei fühlen und wahrnehmen, weil ich meine Version ja natürlich schon kenne.
Du sprichst immer von „wir”, hast auch Nico schon namentlich erwähnt. Als ich dich auf dem Sägewerk-Festival gesehen habe, seid ihr ja sogar noch als Shelly Coral & Llado aufgetreten. Der Künstlername ist jetzt kürzer geworden, aber die meisten Songs sind immer noch von ihm produziert. Wie hat sich eure Zusammenarbeit entwickelt?
Genau, es ist fast alles von ihm produziert. Unsere Geschichte ist ein bisschen so: Llado bzw. Nico hatte sein eigenes Musikprojekt, siebzehnzwölf, und ich war ein krasser Fan davon.
Eines Tages hatte ich einen Anflug und meinte zu ihm: „Guck mal Nico, ich muss jetzt wirklich auch mit Musik anfangen, ich muss Produzieren lernen.”
Dann hat er versucht, es mir beizubringen an zwei Nachmittagen, und ich war extrem ungeduldig. Aber wir hatten trotzdem so viel Spaß daran, dass wir uns dann einfach jeden zweiten Tag gesehen und Mucke gemacht haben – das war ungefähr vor zweieinhalb Jahren. Ich sage immer ganz lieb, dass ich ihn ein bisschen aus seinem eigenen Musikprojekt rausgeklaut habe, was glaube ich auch okay ist, und daraus ist am Ende unser Projekt entstanden.
Für mich ist es auf jeden Fall so, dass hinter dem zwei Leute stehen und eigentlich auch noch viel, viel mehr. Da steht eine große Welt, ein ganzer Freundeskreis aus voll vielen kreativen Köpfen, dahinter. Irgendwann haben wir es uns ein bisschen leichter gemacht, einfach zu sagen: Es ist Shelly Choral, und wir fühlen uns alle dazugehörig. Was ein bisschen lustig ist, weil es halt mein wirklicher Name ist, aber Nico ist da auf jeden Fall nach wie vor und auch in Zukunft komplett mit dabei. Wir haben beide das Gespür dafür, was unser Projekt bedeutet und was nicht. Und wir haben es gemeinsam auf die Beine gestellt.
Du hast gerade den Moment angesprochen, als du das Gefühl hattest, du musst jetzt anfangen, selbst Musik zu machen. Wo kam dieser Drang her?

Ich finde es immer ein bisschen cringe, das so zu sagen, aber ich habe früher mit meiner Gitarre viele Songs für mich selbst gemacht – damals noch auf Englisch. Irgendwann hat mir das nicht mehr gereicht, weil ich leider nicht wirklich gut Gitarre spiele. Dann kam der Punkt, wo ich dachte: „Entweder ich probiere das jetzt richtig oder ich lasse es.” Aus irgendeinem Grund dachte ich damals, dafür müsste ich Ableton können. Aber zu dem Zeitpunkt habe ich auch noch nicht gedacht, dass ich singen kann.
Fühlt es sich jetzt an, als wäre dann doch alles ganz schnell gegangen in diesen zweieinhalb Jahren?
Jetzt ja, jetzt ging schon alles sehr schnell. Aber davor haben wir das ganz, ganz lange nur für uns gemacht, ohne den Plan, dass es rauskommt. »Sonne Royale« haben wir als Gag hochgeladen. Da habe ich Nico „gezwungen”, dass es wie futurebae klingen muss, und dann sollte er da drauf rappen und was weiß ich… Wir haben viel Quatsch gemacht ohne richtige Ernsthaftigkeit dahinter.
Dass es jetzt diese Form angenommen hat, verdanken wir Leuten wie Pavelo & Schnell, dem Sägewerk- und dem Sensus-Festival – Menschen, die unsere Demos gehört und uns einfach eingeladen haben. Oder auch Elena (Anm. d. Red.: 3LNA), einer Freundin von mir, die uns einfach mit auf Tour genommen hat, als wir noch nichts draußen hatten. Und erst als ich zum fünften Mal auf der Bühne stand, habe ich realisiert: „Digga, ich glaube, das ist jetzt das, was wir machen.” Dann haben wir uns explizit nochmal Zeit genommen, uns zu sortieren, und irgendwann war es eine richtige Vision, dass wir die Sachen auch veröffentlichen wollen. Aber es hat auf jeden Fall kurz gedauert, bis es bei uns in den Köpfen angekommen ist.
Das ist doch eine gute Überleitung zum ersten Song der EP.

1. »VON ANFANG AN«
Wir waren bei Nico zu Hause und ich meinte: „Elena nimmt uns in zwei Wochen mit auf Tour. Wir müssten vielleicht mal noch ein, zwei Songs machen. Und vielleicht laden wir auch einfach mal einen hoch.” Durch den Tourbeginn standen wir tatsächlich ein bisschen unter Zugzwang. »Von Anfang an» ist dann wirklich innerhalb von zwei, drei Stunden entstanden und danach waren wir uns relativ schnell sicher, den auf Tour spielen zu wollen.
Davor waren wir eigentlich viel mehr in so einer Party-Quatsch-Richtung. Deswegen war »Von Anfang an« für uns zu dem Zeitpunkt noch total fremd, von der Stimmung und auch der Ästhetik. Gleichzeitig waren wir in diesem Modus, endlich einen Song online haben zu wollen, bevor wir zwölf Tage mit auf Tour gehen. Also haben wir den einfach so hochgeladen. Und es ist irgendwie lustig, weil er »Von Anfang an« heißt – und so viel ausgelöst hat. Auch wenn er „nur” auf Soundcloud war.
Mittlerweile ist der Song für mich sehr, sehr symbolisch geworden. Es ist auch einer der Songs, die ich gerne von mir selber noch höre und genieße, weil er für mich persönlich so sinnbildlich ist. Ich habe das Gefühl, dass er mit mir mitwächst.
2. »100 MEILEN«
Den habe ich mit Parsa (Anm. d. Red.:Parsa Sarraf) zusammen gemacht. Und das war für mich auf jeden Fall ein klassischer Fall von: Ich hab den gemacht, dann hab ich eine Woche nicht drüber nachgedacht, dann hab ich den gehört und war so: „Was geht? Der ist ja voll nice.” Der war irgendwie einfach plötzlich da.
Ich schreibe gerne aus traurigeren Emotionen heraus, weil die für mich musikalisch am leichtesten zu greifen sind. An dem Tag, als ich den Song geschrieben habe, hatte ich Sehnsucht nach einem Ort der Ruhe – einem Ort, wo man alles ablegen kann und sorglos ist. Das ist bei mir voll assoziiert mit Meer und Sonne. Und aus diesem Gefühl ist »100 Meilen« entstanden.
3. »DELFINE IN DER SPREE«
»Delfine« habe ich alleine auf Gitarre geschrieben. Das ist ein Jugendsong von mir. Der ist sehr alt, vielleicht vier Jahre. Deshalb ist er für mich sehr weit entfernt, aber gleichzeitig bedeutet er mir nach wie vor wahnsinnig viel. Und weil es jetzt genau darum ging, alle Songs, die unsere Wurzeln und Anfänge darstellen, auf die EP zu packen, war es mir sehr wichtig, dass der auch dabei ist.
Ich habe den für mich geschrieben, lange liegen gelassen und dann haben ihn immer wieder andere Leute gehört, und mich gefragt, ob er noch veröffentlicht wird, weil er so viel in ihnen ausgelöst hat. Es gibt 87 Milliarden Versionen davon. Ich habe ihn mit meiner Mitbewohnerin aufgenommen, wir haben ihn auf Klavier gespielt, wir haben ihn auf Gitarre gespielt, es gibt die Anfangsversion von mir und noch viele mehr. Dieser Song wurde wirklich komplett zerlegt. Aber am Ende haben wir uns auch da wieder für eine relativ ältere, unaufgeregte Version entschieden. Dabei war das so ein Song, wo viele Leute meinten: „Das ist ein Hit. Den machen wir ganz groß.” Gerade deshalb finde ich es sympathisch, dass keiner den so richtig geknackt und zum Hit gemacht hat und wir stattdessen die Entscheidung getroffen haben, ihn einfach so klein zu lassen, wie er am Anfang war. Ich finde, das steht ihm sehr gut und für mich ist er auch gar nicht so traurig.
Es ist wie bei »100 Meilen« eine Art Utopie, die ich geschrieben habe, nach dem Gedankenspiel von diesem Kreislauf: Wenn alle heulen würden, dann würden die Tränen wieder in die Wolken gehen. Wenn die Tränen in die Wolken gehen, dann regnet es ganz viel und dadurch kann die Stadt sich regenerieren. Deswegen schwimmen irgendwann Delfine in der Spree.
4. »STUHL IM GARTEN«
»Stuhl im Garten« haben wir vor einem Monat geschrieben, auch aus dem Bedürfnis heraus, einen aktuelleren Song dabei zu haben. Wir haben uns über meinen Geburtstag aufs Land verkrochen, Nico und ich. Das war schon für sich voll schön, weil wir über die letzten zwei Jahre immer wieder mit anderen Leuten gearbeitet und rechts und links ganz viel ausprobiert haben.
So hatten wir nochmal ein paar Tage zu zweit auf dem Land und haben einfach unsere kleinen Songs nach Hause gebracht, unter anderem auch diesen.
Ich habe »Stuhl im Garten« tatsächlich mit einem konkreten Bild im Kopf geschrieben: Überall sitzen Leute in diesen weißen Plastikstühlen und warten auf den nächsten Tag. Es ist ein generelles Gefühl von Stillstand. Du kannst nicht so richtig was verändern, aber eigentlich willst du. Und gleichzeitig hat es auch etwas total Friedliches, auf diesem Stuhl zu sitzen. Als ich dann Geburtstag hatte, mochte ich den Gedanken, dass man irgendwann, wenn man alt ist, auch auf genau so einem Stuhl in seinem Blumengarten sitzt – dass wir überhaupt alle an den schönsten Orten der Welt auf diesem unglaublich hässlichen Plastikstuhl sitzen. Mit solchen Banalitäten und alltäglichen Sachen spiele ich sehr gerne.
5. »TAGE NIE GEZÄHLT«
»Tage nie gezählt« kommt von einem Tag, an dem es mir nicht so gut ging. Die gibt es auch. Da habe ich dann ganz doll Vermissungen oder Sehnsüchte. In dem Fall habe ich an eine Person geschrieben, die ich sehr, sehr vermisse. Das fühlt sich so an, wie mein Song für mich. Er ist wirklich sehr persönlich und deshalb auch keine Single, weil es nichts ist, womit ich mich profilieren möchte. Der Song ist ein Teil des Ganzen und hat da seinen richtigen Platz.
Viel mehr kann ich dazu gar nicht sagen. Im Kern ist die Message: Zähl’ die Tage nicht, am Ende ist es scheißegal, wie lange etwas her ist, wenn das Gefühl da ist. Was auch immer die Person fühlt, die den Song hört – fühl’ es! Und wenn es dir nichts gibt, dann hör’s nicht…
Zur EP gibt es auch eine Release-Party – mit welchen Gefühlen blickst du darauf?
Das wird sensationell! Das wird so ein Full Circle-Moment. Alle unsere Leute sind da, die ganzen Menschen, die uns bis hierhin begleitet haben.

Ich habe früher, wenn man mich gefragt hat, was ich mal werden möchte, immer gesagt: Egal was es ist, ich will so arbeiten, dass alle meine Freunde mit mir arbeiten können und wir irgendwas Geiles machen. Und heute – als ich mit einer Freundin im Café saß und wir ein Plakat designt haben – hatte ich den Moment, in dem ich realisiert habe, dass wir jetzt genau das machen. Das ist so schön, weil morgen einfach so viele Freunde von mir da sind, die an diesem Projekt mitgearbeitet haben, auf ihre kreative Art und Weise.
Ich habe eine verfickt geile Bubble – wir sind richtig tolle, talentierte Leute. Deswegen ist diese Party für uns alle: Wir haben dieses Projekt nach Hause gebracht, alle zusammen. Darüber freue ich mich total und bin voller Stolz, das morgen zu zeigen.
Was können wir im nächsten Jahr von euch erwarten?
Ich will nicht zu viel vorwegnehmen. Aber es kommen richtig viele geile Projekte. Wir hätten uns nicht so viel Zeit gelassen mit unserem ersten Release, wenn wir nicht schon die nächsten Sachen in Petto hätten. Und ich glaube, es wird sehr überraschend sein. Wir probieren in unserem nächsten Projekt, vieles neu zu denken und etwas zu machen, was man so nicht erwarten würde. Ich finde nämlich, dass Verwirrung ein geiles Tool ist, das man zu wenig nutzt. Es könnte also vielleicht verwirrend sein, aber es wird verwirrend gut!



