fyne über Mephisto, Metaphorik und ihre zweite EP »mp2«

Während ihre erste EP »vorgestern« noch von einer Laune des Ausprobierens geprägt war, zeigt sich fyne auf »mp2« nun mit einer gefestigten Vision. Kontrollverlust trifft auf gezügeltes Chaos, Surfpop auf Autotune und wird zusammengehalten durch eine transluzide Bildsprache. 

Anlässlich der ersten Veröffentlichung von »mp2«, einem fortlaufenden Projekt das mittlerweile durch einen neuen Song (»Regen«) ergänzt wurde, haben wir uns Anfang September mit der Hamburger Newcomerin im Herzen von St. Pauli auf einen Kaffee getroffen. Im Interview teilt sie Einblicke in den Entstehungsprozess der EP, ihren besonderen Schreibstil, musikalische Einflüsse und ihre persönliche Verbindung zur Figur des Mephisto. 

In den letzten Monaten war viel los bei dir. Ein Festival-Sommer voller Gigs und ein intensives Rollout mit mehreren Release-Konzerten zu den Singles. Wie geht es dir nach dieser Zeit?

Gut. Es sind immer sehr viele Eindrücke. Ich glaube aber, man wächst richtig krass daran. Auf dem Weg zum Interview habe ich darüber nachgedacht und gemerkt, wie viel ich erlebt habe. Ich glaube, ich brauche jetzt erstmal Zeit, um herunterzukommen. 

Währenddessen kann man das eigentlich nicht verarbeiten, weil man nur von A nach B unterwegs ist. Trotzdem hat es sehr viel Spaß gemacht. Ich liebe halt auch meine Band und mein Team. Deswegen hat es bei uns immer ein bisschen Klassenfahrt-Vibes. Es ist chaotic, aber auch sympathisch. 

Inwiefern unterscheidet sich die Herangehensweise an »mp2« von deiner ersten EP »vorgestern«?

Ich war am Anfang gar nicht in der Bubble und hatte nicht auf dem Schirm, dass es überhaupt eine Option ist, Musik zu machen. Ich bin sehr chaotisch reingestartet und hatte dann mega viele Sessions. Das klingt ein bisschen kitschig, aber ich wusste nicht, wer ich bin, was ich will und mag. Erstmal ist natürlich alles toll und crazy, aber man merkt halt erst mit der Zeit, welche Dinge man nicht so feiert. 

Über das Jahr habe ich sehr viele Erfahrungen gesammelt und erst richtig verstanden, was ich eigentlich für Musik machen möchte. Es fühlt sich ein bisschen wie ein Neuanfang an. Eine neue Ära. Ich habe meinen allerliebsten Produzenten gefunden (Anm. d. Red.: Tobias Kuhn) und würde am liebsten nur mit ihm in Wien zusammenarbeiten. 

Hast du die neuen Songs alle in Wien aufgenommen?

Ja, aber manchmal treffen wir uns auch in Berlin. Ich habe natürlich auch noch andere Sessions, weil Tobias sehr busy ist, viel ‘rumreist und noch viele andere Sachen macht. 

Was auch immer krass kommt, ist mit meinem Gitarristen zuhause zu jammen. Das sind aber Ideen, die dann gerne noch ein bisschen reifen und später weiter gedacht werden. 

Das hat bestimmt auch seine Vorteile, wenn du so deine Arbeit in Wien und Berlin von deinem Zuhause in Hamburg räumlich trennen kannst. 

Ja, ich finde das wirklich wichtig. Manchmal ist es ein bisschen nervig, weil man nicht immer ins Studio kann und viele Sachen außerhalb der Musik, wie z.B. Content, in Hamburg bleiben und viel Raum einnehmen. Dann fühlt es sich immer ein bisschen wie Urlaub an, wenn man zum Musik machen fährt. Außerdem mache ich natürlich in meinem Zimmer noch Mucke und habe da auch viel Spaß dran. 

Foto via Inga Swenson

Die Visualisierung von »mp2« sticht besonders heraus. In einzelne Kapitel aufgeteilt, wird die Geschichte der EP nochmal auf einer weiteren Ebene erzählt und ausgesponnen. Woher kam der Wunsch dazu? 

Meine Interessen sind schon sehr breit aufgestellt. Ich glaube, ich werde auch nie nur eine Sache in meinem Leben machen und liebe halt auch so visuellen Kram. 

Meiner Meinung nach, ist es in Deutschland nicht so weit verbreitet, eine künstlerische Welt zu erschaffen, in die man so richtig eintauchen kann und neuen Shit entdeckt. Ich fahr’ persönlich richtig krass auf sowas ab, wenn man immer neue Sachen über Leute herausfinden kann. Friends zeigen dir zum Beispiel eine neue Website oder ein neues Video von jemandem und man kommt immer tiefer in diese Welt hinein. 

Ich habe früher schon gerne Geschichten geschrieben und dadurch macht es mir jetzt sehr Spaß, das alles selbst zu machen. Ein Skript zu schreiben und sich das Zusammenkommen der Bildsprache auszudenken. 

Apropos Geschichten schreiben. Dein einzigartiger Schreibstil kommt bei den neuen Songs stark zur Geltung. Einerseits lässt du tief blicken, verrätst aber auch nicht zu viel und spielst mit getrübter Metaphorik. Woher kommt diese Liebe zur Sprache und zum Ausdruck?

Ich denk‘ schon, dass es vom Geschichten schreiben kommt. Wenn ich selbst Musik höre, bin ich auch immer ein Fan davon, wenn nicht alles so direkt ist. Ich find‘ es viel interessanter, wenn man Bilder im Kopf kreieren kann und jeder dazu seine eigenen Vorstellungen hat. Wenn man alles direkt verfasst, dann gibt es auch keinen Spielraum. 

Es ist super spannend, eine Mehrdeutigkeit hereinzubringen. Mir macht es Spaß zu hören, was andere Personen damit assoziieren und dadurch dann neuen Input in meine eigenen Sachen bringen. Ich kann darüber nochmal selbst eine andere POV einnehmen. 

Es ist einfach eine nicere Art kreativ zu sein und mehr wie Kunst machen. Es fühlt sich ein bisschen an, als würde ich mit Farben herumspritzen. 

Wäre es dir zu persönlich, würdest du die Sachen direkt ausschreiben? Ein Beispiel, das mir hier in den Kopf kommt, sind Artists, die zuerst auf Englisch Musik machen, um sich hinterm Schutzmantel einer Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist, zu verstecken und dadurch eine gewisse Distanz zwischen ihrer Kunst und ihrer Persona schaffen.  

Check ich voll. In gewisser Art und Weise heißt Kunst machen immer blankziehen. Man exposed sich ja immer sehr. Am Ende fühlt es sich aber auch nur so an. Ich habe letztens mit meiner Band darüber geredet. Sobald der Track draußen ist, ist es nicht mehr meiner. Wenn ich ihn danach höre, denke ich gar nicht daran, dass ich das gerade singe, und es fühlt sich auch nicht nach mir an. Es ist wie eine out-of-body-experience. Basically ist es für alle Menschen, die die Musik hören auch so, weil jeder damit auf einmal etwas ganz Eigenes assoziiert. 

Das ist das Krasse an Musik und Kunst generell. Die Sachen und Erfahrungen, die andere Personen damit verbinden, haben im Endeffekt gar nichts mehr mit der Künstlerperson zu tun. Darin befindet sich dieser Schutzmantel für mich. 

Wie läuft dein Schreibprozess generell ab? Woher nimmst du deine Inspirationen?

Bisher habe ich tatsächlich nur aus eigenen Erfahrungen geschrieben. In Situationen, in denen die Emotion super präsent ist und man Zeit hat, seine Gedanken schweifen zu lassen, fällt mir das sehr leicht. Wenn ich unterwegs, in der Bahn bin oder nachts nicht schlafen kann, wird schon mal die ein oder andere Zeile aufgeschrieben. Ich finde es am echtesten, wenn man in der Emotion schreibt. Dann kommt es auch am ehrlichsten rüber. 

Weil ich gerade immer in Wien bin, sind meine Studio-Zeiten sehr getimt. Ich habe noch nie einen ganzen Song vorher geschrieben. Ich komme immer mit Inspo ins Studio – meist auch schon mit mehreren Zeilen. Oft fliegen einem die Ideen durch die allgemeine Stimmung, wie zum Beispiel den kalten Winter letztes Jahr, einfach zu. Generell habe ich ganz viele Notizen und die würfeln wir dann zusammen. 

Wenn man bestimmte Anhaltspunkte hat, kann man leicht in das Gefühl wieder reindippen und ab dem Moment, wo man ein nices Bild hat, nimmt es eine Abzweigung, bei der es nicht mehr ganz bei meinem Leben bleibt. Es macht viel Spaß, einfach nach Bildern zu gehen. 

Bei »Sterben Baby« wollte ich zum Beispiel irgendwas übers Lügen schreiben. Dann kam das Bild des Sterbens dazu – es ist auch einfach ein faszinierendes Thema. So spinnt man das weiter und kann es immer wieder in das auslösende Anfangsereignis herein interpretieren. Letztendlich muss man aber sagen, dass es sich irgendwann ein bisschen von der Realität trennt.

Fändest du es interessant, mal einen Song aus einer Perspektive zu schreiben, die gar nichts mit dir zu tun hat? 

Ja komplett! Ich hätte richtig Bock mal die Musik zu einer Filmszene zu schreiben oder aus der POV der Figuren etwas zu machen. Das geht auch wieder mehr in die Richtung des Geschichtenschreibens. 

Foto via Inga Swenson

Welche Musik hat dich denn früher als Kind geprägt? 

Mein Vater hat auf jeden Fall immer sehr sehr viel Musik immer gehört. Viel Jazz tatsächlich. Ich habe früher auch Jazz gespielt – Klarinette und Saxofon. Ich hatte auch mal Gitarrenunterricht. Außerdem hat mein Vater viel Bob Marley, Jimi Hendrix und Radiohead gehört. Ich habe das immer abgelehnt. Ich weiß gar nicht, woher das kam. Wahrscheinlich einfach aus Prinzip. Normale Rebellion gegen die Eltern

Wie sieht es mit den musikalischen Einflüssen bei »mp2« aus?

Die Einflüsse auf der EP sind tatsächlich super aktuell. Ich habe so viele Musikeinflüsse im letzten Jahr gehabt! Einfach durch meine Band und die Menschen in meinem Umfeld, weil die alle mega die Musik-Nerds sind. Super viel von »mp2« ist französisch inspiriert. Gerade bei »Mephisto« hört man das richtig krass. Bands wie La Femme und L’Impératrice. The Marías sind auch voll in der letzten Zeit dazugekommen. 

Das Erste, was wir generell im Studio machen, ist erstmal eine Stunde Musik auszutauschen und zu gucken, welche Vibes einen inspirieren. 

Bei »Sterben Baby« fällt die Diskrepanz zwischen dem eher leichteren Sound und dem düsteren Thema auf. Spielst du bewusst mit diesem Stilmittel und wenn ja, warum? 

Ja, auf jeden Fall. Ich schreibe sehr gerne düsteren Shit und es ist mir immer super schwer gefallen, auf Happy-Chords etwas zu finden, weil es mir irgendwie nicht so zugänglich ist. Musik ist ein Faktor, der die gesamtgesellschaftliche Situation ultrakrass widerspiegelt – egal ob bewusst oder unbewusst. Würde ich ihn analysieren, fände ich »Sterben Baby« ehrlich gesagt ein mega nices Beispiel. Man kann sehr viel reinlesen, was aktuelle Stimmungen angeht. Irgendwo versuchen alle weiterzumachen. Es gibt gefühlt so viel Werbung, wie noch nie. Alle sind super materialistisch unterwegs und es gibt rechte Vibes von überall. Da geht natürlich super viel verloren und ich finde es spannend, diese POV einzunehmen.

Ansonsten fällt es mir sehr leicht, poppige Einflüsse mit reinzubringen und catchy Melodien zu schreiben. Ich finde, das Lied hat, rein von der Melodie her, fast etwas von einem Kindersong. Es macht auch einfach Spaß, dem entgegenzuspielen. Obwohl Tod aktuell super relevant ist, ist es immer noch ein Tabuthema. 

Klimawandel und Kapitalismus zerstören einfach die gesamte Welt. Ich glaube, das ist der Grund für diese Diskrepanz in unserer Generation, zwischen der einen Gruppe, die nur am hustlen ist und versucht irgendwie ihren Platz im Kapitalismus zu finden und der Idee von „alle können reich werden“ zu folgen sowie der anderen Gruppe, die von einer Weltuntergangsstimmung geprägt ist und sich fragt, ob wir in zwanzig Jahren überhaupt noch hier sind und ob es überhaupt verantwortungsvoll ist in diese Welt noch Kinder zu setzen. 

Daher ist der Tod ein hochaktuelles Thema – auch wenn man einmal schaut, was gerade innen- und außenpolitisch abgeht. 

Welche Bedeutung hat »Mephisto« für dich? Von all den negativen bzw. negativ konnotierten Themen, die du auf »mp2« ansprichst, ist er nämlich das einzige personifizierte Übel.

In erster Linie geht es um die Auseinandersetzung mit sich selbst. Ich bin ein sehr impulsiver Mensch. Dementsprechend gibt es Situationen, in denen ich impulsiv gehandelt habe, mir kein guter Berater war und auch nicht mehr so glimpflich rausgekommen bin. 

Das ist, was »Mephisto« sagt. Man sitzt sich selbst gegenüber und muss sich mit sich und mit den eigenen Entscheidungen, die man getroffen hat, auseinandersetzen – mit den Situationen, in die man sich ja selbst gebracht hat und immer wieder bringt. Man ist sich ja auch manchmal sein eigener Teufel. Eventuell sitzt man dann halt auch so lange in der Küche, bis man sich nicht mehr mag.

Ich hatte beim Hören das Gefühl, dass die Geschichte von »mp2« noch nicht ganz auserzählt ist. Wird es eine Fortsetzung o.Ä. geben? 

Ja, auf jeden Fall. Ich fahre richtig auf konzeptuelle Sachen ab. Ich denke, die EP wird sich noch zu einem Album stacken. Natürlich geht es da um Gegensätze. Sie hat ja auch zwei Seiten. Von der einen Hälfte kennt man jetzt schon einiges. Das ist eine sehr offen dunkle Welt mit »Mephisto« etc., die stark mit Bildern arbeitet. Die andere Hälfte wird eine leichtere Seite einnehmen. Nicht unbedingt lyrisch – da möchte ich mich noch nicht festlegen – aber auf jeden Fall musikalisch. 

Zum einen finde ich es eine super nice Sache, wenn man mehrere Stilrichtungen integrieren kann. Zum anderen kann ich mich auch einfach nicht so gut entscheiden, welche Musik ich am liebsten mache. Deswegen lässt dieses Projekt viel kreativen Raum, in dem man je nach Stimmung, Jahreszeit und Mood frei arbeiten kann. 

Was steckt eigentlich hinter dem Titel »mp2«? 

Es geht um Doppeldeutigkeit. Die Zwei ist auf jeden Fall das Wichtigste. Ich finde Nummerieren generell spannend. Außerdem geht es musikalisch in eine 80er-, 90er-Welt. Daher die Anlehnung an das MP3-Audioformat.

Worauf freust du dich dieses Jahr noch? 

Studio! Ich freue mich so, richtig viel Zeit für Musik zu haben. Das ist mein Main-Ding.