Samphas neues Album »Lahai« – Dude, how? wow.

Der UK-Künstler Sampha Lahai Sisay wirkt so sphärisch, dass er einem manchmal schon wie ein urbaner Mythos oder eine Sagengestalt vorkommt. Seit Jahren spitzen wir gespannt unsere Ohren und freuen uns diebisch, Samphas Stimme auf Tracks anderer Künstler zu hören. Ob bei Kanye Wests »Saint Pablo«, Stormzys »Sampha’s Plea« oder Kendrick Lamars »Father Time«. »A Seat at the Table« von Solange wäre ohne Samphas Einfluss undenkbar. Wie einem Phantom jagen wir seinem Talent nach.

Seit sechseinhalb Jahren warten wir gespannt auf den Nachfolger zu »Process«. Jedes Jahr fühlt sich an wie das Jahr, in dem es endlich so weit sein könnte. Dabei baut sich eine Erwartungshaltung auf, die fast unmöglich zu erfüllen scheint. Zu viel Abwesenheit kann einem Künstler jedoch manchmal auch schaden, wie Frank Oceans Auftritt beim Coachella zeigt. 

Am Freitag hat Sampha uns endlich erlöst und sein zweites Album »Lahai« veröffentlicht. Ein Album mit dem fast sofort jegliche Erwartungen übertroffen wurden. Viel mehr kann den positiven Rezensionen, die bereits kursieren, eigentlich nicht hinzugefügt werden. Am treffendsten formulierte es Tyler, the Creator in seiner Instagram Story zu Samphas Song »Evidence«: „Sampha, dude, how? Wow.“

Definition von Schwerelosigkeit

Aber ganz dabei können wir es dann doch nicht belassen. Sampha hat die letzten Jahre sinnvoll genutzt und seinen Sound bis in jede feine Schicht ausgearbeitet. »Lahai« fühlt sich vertraut an, eben weil man nichts von »Process« vermisst.

Die Melancholie ist noch da, aber dafür auch jede Menge Freude und Freiheit, die dem gesamten Projekt eine neue Leichtigkeit verleihen. Es ist immer noch experimenteller Elektro-Pop, es gibt immer noch Piano-Passagen und über allem schwebt Samphas einzigartige Stimme.

Es gibt aber noch viel mehr. Der erst große Unterschied ist schon das Albumcover: Ein bewölkter Himmel, dahinter strahlendes Blau. Sampha ragt in einer Robe in hellen Cremétönen in den Himmel empor. In einer Ecke eine junge Frau, vielleicht ein Mädchen, die selig die Augen geschlossen hält. Ihr Kopf scheint gespiegelt. Um Sampha schweben ebenfalls creméfarbene Perlen. 

Auch die Form, in der Sampha seine ersten Konzerte in den UK gehalten hat, war anders als zuvor. Anstelle der traditionellen frontal ausgerichteten Bandformation stehen Sampha und seine Band im Kreis, umgeben vom Publikum. Die Musiker*innen stehen sich gegenüber und scheinen miteinander und füreinander zu spielen. Neben dem Cover spielen auch die Titel der Lieder wie »Suspended« und »Satellite Business« mit dem Begriff der Schwerelosigkeit und der Unendlichkeit des Weltraums.

Une machine à remonter le temps

Ein weiteres großes Thema und wunderschöner Kontrast ist das Verhältnis zwischen Maschine und Geist oder auch der Technik und dem Spirit. Zum einen weil es scheinbar im krassen Gegensatz zueinander steht. Zum anderen aber auch weil Sampha Geräte wie MIDI’s nutzt, mit welchen er akustische Instrumente programmiert und diese dann wiederum mit echten Instrumenten überspielt. Er verwendet diese Technik, um eine tiefe Spiritualität akustisch erfahrbar zu machen. Dabei manipuliert er nicht nur den Klang der Instrumente, sondern auch immer wieder seine seine eigene Stimme. Der Track »Suspended« wird so zu einem ganz eigenen Hörerlebnis. Zeit spielt immer wieder eine Rolle, sei es in Bezug auf das Leben, Zeit mit der Familie oder geliebten Menschen, aber auch im Kontext von Zeitmaschinen und Zeitreisen.

Spirit, I’ve been tryna do some summoning (Summoning)/ Like why summon her, then you summon him?/ Time machine I built has been stuttering (Stut-stut-stut-stut)/ Foolish endeavours

Sampha »Can’t Go Back«

Gerne wird hier dann schnell mit dem Begriff Afrofuturismus um sich geworfen. Wobei ganz klar gesagt werden muss, dass es bei Sampha nicht nur um die Zukunft geht. Songs wie »Can’t Go Back« handeln auch davon, dass man die Zeit nicht zurückdrehen kann. Durch den Afrofuturismus wird eher deutlich, dass Sampha einen einzigartigen Sound kreiert hat, der eben nicht immer in Worte gefasst werden kann.

Stuck In Perfection?

Im Outro zu »Evidence« (Ja, Tyler, du hast absolut recht) singt Sampha darüber, dass er sich in Perfektion, Reflexion und Richtung verlieren kann. Musikalisch kommt dieses Gefühl nicht auf. Alle Songs harmonieren perfekt miteinander. Kein Lied langweilt oder wird von anderen überschattet. Die Produktion auf »Lahai« unterscheidet sich von »Process«, da insgesamt ein größeres Team hinter Sampha stand. Zwei Namen stechen da in der Produktion besonders hervor: Riccardo „Ricky“ Damian und El Guincho.

Ricky ist, ähnlich wie Sampha, ein Multitalent und als Engineer, Produzent und Mixer tätig. In letzter Zeit hat er insbesondere an den letzten beiden Alben von Jorja Smith gearbeitet, aber auch Namen wie Ezra Collective oder Ibeyi (auch auf »Spirit 2.0« zu hören) finden sich in seinen Credits.

El Guincho, bekannt als Co-Produzent von Rosalías Hits wie »CON ALTURA« oder »MOTOMAMI«, hat auch mit britischen Künstlern wie Headie One und FKA Twigs zusammengearbeitet. Die beiden sind neben Samphas Solo-Producersongs am häufigsten als Producer Credits erwähnt. Spannend ist das vor allem, weil beide Sounds kreiert haben, die moderne Pop-Musik mitgeprägt haben und daher perfekt zu Sampha passen.

My heart glows like TV, I’m needy, don’t you know?/
But the fam besides me is what I needed most

Sampha »Rose Tint«

Speech is a necessary magic sometimes

Es ist schwer, einen Höhepunkt des Albums auszumachen. Mit der ersten Single »Spirit 2.0« hat Sampha die Messlatte bereits ziemlich hoch gelegt. Ein Wendepunkt ist »Jonathan L. Seagull«, der entfernt an »Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club« erinnert, aber statt auf der Erde im Weltall stattfindet. Das Lied ist seinem Bruder gewidmet. Familie und Lebensfreude sind durchgehende Themen. Ob es nun seine eigene Tochter als Lebensgrundlage ist, die Geschwister, die trotz eigener Erfahrungen ganz anders sind oder der Albumtitel »Lahai«, der an seinen Großvater erinnert. Lyrisch überzeugen alle. Aber die zweite Hälfte mit »Can’t Go Back«, »Evidence« und den abschließenden Songs »What If You Hypnotise Me?« und »Rose Tint« erzeugen eine konstante Gänsehaut auf den Armen.

Sampha ist dieses Jahr auf Tour und macht am 4. Dezember einen Halt im Theater des Westens in Berlin. Tickets gibt es hier.

Tracklist: Sampha – Lahai

01. Stereo Colour Cloud (Shaman’s Dream)
02. Spirit 2.0
03. Dancing Circles
04. Suspended
05. Satellite Business
06. Jonathan L. Seagull
07. Inclination Compass (Tenderness)
08. Only
09. Time Piece
10. Can’t Go Back
11. Evidence
12. Wave Theory
13. What If You Hypnotise Me?
14. Rose Tint
15. Re-Entry (nur auf Vinyl)
16. Sensory Nectar (nur auf Vinyl)

Fazit
Sampha hat sich auf Lahai nicht in der Perfektion verloren. Vielmehr verlieren wir uns beim hören komplett in seiner Welt. Es ist spirituelle aber gleichzeitig hoch technische Musik die sich aber nicht wirklich als Pop oder Elektro definieren lässt. Ein weiterer Beweis dafür, dass UK artists gerade die Nase ganz weit vorne haben. Ein unglaublich aufregendes, vielschichtiges und gleichzeitig einfach wunderschönes Album. Als eh schon großer Fan seit der »Too Much / Happens« EP für mich 9/10.
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