Seit seinem Debüt 2014 ist klar, dass Loyle Carners Musik wie ein Tagebuch funktioniert. Auf dem ersten Album »Yesterday’s Gone« (2017) sprach er offen über den Tod seines Stiefvaters, seine Dyslexie und ADHS – und setzte sich mit Verlust auseinander. Zwei Jahre später folgte »Not Waving, But Drowning« (2019), das die Belastung durch Öffentlichkeit thematisierte und Stücke wie »Ottolenghi« enthielt, benannt nach dem Koch Yotam Ottolenghi. Auf »Hugo« (2022) wurde der Ton düsterer: Themen wie Rassismus, urbane Gewalt und die Beziehung zum abwesenden Vater standen im Zentrum.
Der neue Longplayer heißt nun »hopefully!« und vermittelt mehr Ruhe. Ob das am Alter liegt (Carner wird bald 30), am Erfolg, oder an der Vaterschaft – lässt er offen: “I’m no longer the main character in my own movie – and honestly, that’s a good thing.”
Ein Album, das nach vorn schaut – ohne zu vergessen
Leichte Themen sind bei Loyle Carner selten. Gerade darin liegt seine Stärke: Er zählt zu den reflektiertesten Stimmen im britischen Rap der letzten Jahre. Während frühere Alben vor allem das Verarbeiten schwieriger Erfahrungen in den Mittelpunkt stellten, zeigt sich Carner auf seinem vierten Werk »hopefully!« versöhnlicher. Die elf Stücke sind introspektiv wie eh und je, aber sie wirken zugewandter – und öffnen sich stilistisch stärker. Musikalisch öffnet er sich weiter. In »lyin« singt er erstmals selbst – ursprünglich nur als Platzhalter gedacht: “I had just recorded a melody to replace it later – but then everyone told me to leave it in.”
Carner greift nach wie vor auf Rap zurück, doch dieser ist eingebettet in ein Klangbild aus Jazz, Soul und Indie. Er nennt Bands wie Idles, Big Thief oder Fontaines D.C. als jüngste Einflüsse. Hip-Hop bleibt ein Teil seines Ausdrucks, aber nicht mehr der einzige. Indie-Einflüsse treten auf Songs wie »in my mind« oder »all i need« zutage. Carner hat dabei erstmals mit einer Liveband gearbeitet. In »strangers« tritt der Rap zurück, er singt – mit dem Ziel, mehr Atmosphäre als Aussage zu transportieren. Der Perspektivwechsel bringt Zeilen wie “How much pressure on a man ‘fore he break? / My heart ache, tryna find a way to ease the pain“ in einen anderen Kontext. Trotz des helleren Grundtons ignoriert Carner auf »hopefully!« keine Konflikte. In »about time« stellt er sich etwa der Frage, welche Rolle er als Vater einnehmen will:
They said my son needs a father, haha
about time
Not a rapper / can I give him what he’s after?
Und im Titeltrack ist posthum Benjamin Zephaniah zu hören – Carners Mentor, der 2023 unerwartet starb. Der Text verhandelt Verlust und Vermächtnis, ohne in Pathos zu kippen. Loyle Carner bleibt seinem Ansatz treu, persönliche und intime Themen nicht auszusparen, sondern sie ungeschönt sichtbar zu machen. Diesmal begegnet er ihnen mit mehr Verständnis und Geduld. »hopefully!« ist vielleicht keine glatt polierte Wohlfühlplatte, aber gerade weil er die Dinge nebeneinander stehen lässt, wirkt das Album klarer und geschlossener als seine Vorgänger. Er gibt seinen Musiker*innen mehr Raum, nimmt sich selbst zurück und rückt stärker in die Rolle des Dirigenten. Die Texte und Kompositionen sind komplexer geworden, fügen sich aber enger zusammen. Die Stücke wirken gezielter und zugleich offener.
Am Ende steht ein Album, das wie ein neuer Anfang klingt – was als Nächstes kommt, deutet Carner selbst in »time to go« an:
I don’t know, who am I supposеd to be today? / I don’t know, all I can do is take it slow, ayy
time to go