Interview mit Luvre47 über »Herz«, die Stigmatisierung seiner Musik und die ewige Frage der Authentizität
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Luvre47 über »Herz«, die Stigmatisierung seiner Musik und die ewige Frage der Authentizität

Im Februar dieses Jahres hat der Neuköllner Luvre47 sein Debütalbum »Herz« veröffentlicht. Grund genug sich am Ort seiner Releaseparty, dem berühmt berüchtigten Burgeramt in Berlin-Friedrichshain, zu treffen, um mit ihm über seine Musik und deren Hintergründe zu sprechen. Dabei geht es um Schubladendenken in der Industrie, das Ausbrechen aus diesem und die Frage, wer eigentlich wo seine Musikvideos drehen darf.

Foto via Vanessa Seifert (v.l.n.r. Luvre47, Tom Wittpohl & Krow)

Das Album hat ja relativ lang auf sich warten lassen. Du bist schon länger dabei und hast auch gefühlt schon 100 EPs rausgebracht. Damit könnte man natürlich auch immer weitermachen und Ep nach EP rausbringen. Was war der Schlüsselmoment, wo du gesagt hast: „Jetzt ist es an der Zeit für ein Album“?
Ich hatte schon die ganze Zeit den Wunsch, ein Album zu bringen, aber ich finde, es muss halt auch immer der richtige Zeitpunkt dafür sein. Ich habe ja sehr lange unter nicht ganz so professionellen Verhältnissen Musik gemacht. Erst über die letzten anderthalb bis zwei Jahre hat sich dann dieses professionellere Umfeld ergeben, mit mehr Optionen für Studios, mehr Freiraum für Qualität.
Über die letzten zwei Jahre sind einfach immer so Songs entstanden, bei denen ich gesagt habe, okay das sind für mich Album-Dinger. Die wurden dann erstmal beiseite gelegt und ich habe mich weiter auf die EPs konzentriert. Irgendwann war mehr oder weniger der Zeitpunkt fällig – also noch länger hätte ich, glaube ich, nicht warten dürfen. Ich finde, so eines Debütalbums bedarf es schon. Ich glaube, nur EPs machen ist kacke. Du musst irgendwann mal dieses Debütalbum gemacht haben, aber es wird bestimmt auch wieder kleinere Projekte von mir geben. Also jetzt gerade will ich noch ein Album machen, aber wenn ich danach Bock habe, eine EP zu machen, ist es wieder eine EP.

Auf deinem Album befinden sich einige Songs, die im Vergleich zu deinen bisherigen Veröffentlichungen auffällig ruhig sind. Auf diesen gibst du auch persönlichere Einblicke in dein Privatleben, deine Familie und so. Wie kam es zu diesem Schritt, weil das davor ja eher eine Seltenheit war?
Mir war schon immer wichtig vielfältig zu sein oder halt das zu machen, worauf ich Bock habe in dem Moment. Gerade bei meinen Anfängen war ich direkt in so einer aggressiven Straßenrap-, Graffitirap-Schublade und das hat mir mies nicht gefallen, dass man so darin festgesteckt hat. Deswegen habe ich schon am Anfang Songs gemacht wie zum Beispiel »Jeden Tag« damals und das hat dann auch relativ gut funktioniert. Danach hätte man wahrscheinlich noch mal sowas düsteres bringen müssen, stattdessen habe ich aber wieder eine ruhigere, nachdenklichere Nummer gebracht, was dann businesstechnisch nicht so smart war. Aber es hat halt immer dieses Mindset unterstrichen: Okay ich mach das, worauf ich Lust habe, ohne mich davon leiten zu lassen, was vom Soundbild oder vom Inhalt erwartet wird. Jetzt beim Album war es mir einfach wichtig, dass das Tiefe hat, weil sonst wäre es nur wie eine weitere EP gewesen. Mit dem Titel hatte ich dann schon ein Gerüst, wo es auch erlaubt war, sowas einfließen zu lassen. Natürlich jetzt nicht auf so eine verliebte Art und Weise, aber ohne dass einem das übel genommen wird.

Was den ruhigeren Sound angeht, hast du in einem deiner Videoblogs auf YouTube gesagt, dass die Resonanz an sich sehr gut ist, aber ein paar Leute gesagt hätten, die hätten gern mehr In-Die-Fresse-Rap gehabt. Dann habt ihr die Deluxe-Version gemacht und da waren dann 5 weitere Songs drauf, und abgesehen von »Kein Bock«, sind da schon mindestens drei Songs dabei, wie »Knocki« oder »Kahn«, die gut nach vorne gehen. War das Absicht, um die Leute zu besänftigen oder was war da der Plan?
Die erste Single »Tags & Packs« geht ja auch nach vorne und ab danach ging es dann immer ein Stückchen ruhiger und melancholischer oder melodischer zur Sache. Da habe ich schon die ganze Zeit gemerkt, okay das kommt auch gut an und das holt neue Leute mit auf den Schirm. Man darf sich danach ja nicht biegen, aber es gibt trotzdem Leute, die wollen dann immer dieses eine, wofür sie dich kennengelernt haben. Ich wollte irgendwie alle glücklich machen, weißt du? Aber diese Songs so »Knocki« oder »Kahn« oder sowas, oder auch »Flip«, die habe ich halt nicht auf dem Kern-Album gesehen. Ich wollte sie trotzdem rausbringen, weil sie in meinen Augen gut genug waren, um sie zu veröffentlichen. Deswegen habe ich diese Deluxe Album Version gemacht und da wollte ich dann auch so Nach-Vorne-Dinger mit draufhaben. Gerade weil »Kein Bock« mit drauf war zum Beispiel, der ja wieder in die komplett andere Richtung geht.

Da habe ich mich auch gefragt, bei dem »Kein Bock«-Song, der kam ja schon letztes Jahr raus. Warum habt ihr euch dazu entschieden, den Song auf die Deluxe-Version zu packen, aber nicht auf das Kernalbum, wo der ja eigentlich soundmäßig gut raufgepasst hätte?
Der hätte voll raufgepasst. Wie erklär ich das? Das Ding ist, Paula hat ja auch einen gewissen Release-Zyklus. Wir kriegen ja alle mit, Paula wird einen sehr guten, steilen Weg gehen. Man musste schon berücksichtigen, wo passt das jetzt wie in die Release-Pläne rein. Wir waren halt schon voll in der Album-VÖ-Phase und ich wollte auf meinem Album kein Feature haben. Das war mir sehr wichtig. Deswegen war die Frage: Wie kriegen wir es aufs Album, ohne es aufs Album zu packen? Wir wussten, wir machen die Deluxe-Version und dann war halt alles klar. Wir packen den auf die Deluxe rauf. Dann ist er Teil des Albums, aber nicht in diesem 13-Song-Konstrukt mit drin, weil dann wärs mir tatsächlich auch zu ruhig gewesen. Ich glaub, das wäre dann ein zu krasses Gewicht auf so ruhigen, melancholischen Songs gewesen. Aber es war einfach auch eine Sache, die mit Zeit- und Releaseplan zu tun hatte, warum der Song so veröffentlicht wurde.

Thema Sound: Dass so ein Song wie »Herz«, der eher persönlich ist, kein In-Die-Fresse-Song sein kann, ist klar. Aber auch die aktuellen Songs, die mehr nach vorne gehen, klingen schon anders als auf deiner »No Face No Name«-EP von 2017. Damals war es schon auch von den Drums her traplastiger, du hast viel mehr mit AdLibs gearbeitet, hast anders geflowt und deine Stimme anders eingesetzt. Wie kommt es zu so einer Veränderung?
Veränderung ist unvermeidlich. Ich glaube, man geht einfach immer ein paar Steps weiter mit seiner persönlichen und musikalischen Entwicklung. Es macht eben keinen Spaß, immer das Gleiche zu machen. Das ist gar nicht unbedingt eine bewusste Entscheidung, sondern einfach eine stetige Weiterentwicklung oder normale Veränderungen des Stils. Also der Stil ist ja eigentlich nicht mal abhanden gekommen, aber ich weiß, was du meinst. Es ist nicht mehr ganz so dreckig und rough wie vorher. Aber ey, bei »No Face no Name« war ich glaub ich auch einfach vier Jahre jünger als jetzt oder so.

Ist das dann auch so das Finden eines eigenen Sounds?
Ja, voll! Da bin ich jetzt mittlerweile viel weiter und auch das nächste Album wird ganz anders klingen als »Herz«. Das ist glaube ich ganz natürlich, dass man sich da immer so ein Stückchen weiterentwickelt und die Musik sich natürlich entsprechend auch. Ich orientiere mich jetzt nicht immer unbedingt am Zeitgeist, der gerade vorherrscht, aber nichtsdestotrotz will ich auch nichts machen, was zu spät ist. Weißt du, also was jetzt irgendwie vor zwei Jahren cool war. Man versucht schon immer so einen Mittelweg zu finden zwischen aktuellem Sound und seinen eigenen Sound fahren. Deswegen ist das ein ganz normaler Prozess gewesen.

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Berlin war glaube ich noch nie so gefragt wie jetzt. Ich würde behaupten, in Berlin wird aktuell deutlich mehr gemalt als in New York zu den besten Zeiten.

Luvre47 über die Entwicklung von Graffiti

Was sich hingegen nicht verändert, ist die inhaltliche Thematik rund ums Sprühen. Auf den ruhigeren Songs natürlich weniger, aber du sprichst es schon immer wieder an. Ich habe so das Gefühl, dass die Graffiti-Thematik allgemein eine kleine Renaissance im Deutschrap erlebt in den letzten Jahren. Dass es einfach wieder mehr Thema ist zu Malen, nicht nur bei dir, sondern auch bei Shacke One, Papke, Saftboys oder so. Siehst du diese Entwicklung auch und wenn ja, woran glaubst du liegt das?
Ich wollte grad sagen, Shacke war ja sogar ein bisschen früher dran als ich. Aber ich habe gemerkt, dass danach irgendwie auf einmal jeder irgendwo Graffitis und besprühte Züge in seinem Video hat. Also es hat auf jeden Fall eine neue Akzeptanz und einen neuen Reiz für viele gefunden. Ich glaube generell, Graffiti ist einfach krass populär geworden, hat sich sehr doll weiterentwickelt. Man hätte auch denken können, dass das Internet Graffiti irgendwie uninteressant macht, weil alle in Multimedia sind, aber im Gegenteil, das hat Graffiti nochmal einen ganz anderen Push gegeben. Ich glaube, das war noch nie so international vernetzt wie aktuell. Und Berlin war glaube ich noch nie so gefragt wie jetzt. Ich würde behaupten, in Berlin wird aktuell deutlich mehr gemalt als in New York zu den besten Zeiten.

Also du glaubst, es liegt jetzt nicht daran, dass einfach mehr Leute darüber rappen, sondern auch dass die Szene einfach aktuell größer ist, also einfach auch mehr gemalt wird?
Ich glaube, Graffiti war eine Zeit lang total verschrien. So Baggy-Pants-, Rucksackträger, ohne Namedropping jetzt, aber einfach diese Trueschooler-Filme, dass es halt so ein lachhaftes Hobby war. Über die letzten Jahre ist es halt ein bisschen bewusster geworden, gerade in Berlin. Sehr viele Unterwelt-Leute haben auch gemalt und sowas, also das ist gar nicht so weit weg hier von der wirklichen Straße. Deswegen hat das glaube ich auch über die letzten Jahre wieder eine andere Akzeptanz gefunden, weil mehr Vertreter wieder auf den Schirm gekommen sind, die die ganze Nummer jetzt nicht so lachhaft repräsentieren. Aber ich versuche es auf jeden Fall weniger einfließen zu lassen, wie gesagt, wegen dieser Schubladen-Geschichte. Ich versuche schon vielseitig zu sein und das jetzt nicht in jedem Song zu thematisieren. Aber es kommt immer mal wieder rein.

Auf Industrieseiten haben auch ganz oft Leute ein Problem, mich in irgendwelche Schubladen reinzupacken und sind dann ganz oft einfach so richtig planlos, wie sie die Themen arbeiten sollen

Luvre47 über Genreschubladen

Apropos Schubladen: Letztens kam eine Puls Musik Analyse über dich heraus. Dort wurdest du als Teil der Berliner New Wave bezeichnet. Ist das ein Label, was dich überhaupt erstmal juckt und was denkst du darüber, ist das was, wo du dich zuordnen kannst?
Ich mich selber ist nochmal eine ganz andere Schublade, aber ich glaube, gerade in Deutschland ist das irgendwie so ein Ding, dass Leute immer diese Schublade brauchen. Auf Industrieseiten haben auch ganz oft Leute ein Problem, mich in irgendwelche Schubladen reinzupacken und sind dann so richtig planlos, wie sie die Themen bearbeiten oder wie die das einschätzen sollen. Erst wenn sie dann auf einem Konzert waren oder mal das Album dreimal hintereinander gehört haben, fällt bei denen der Groschen, was es tatsächlich für eine Kunst ist.
Zum Thema Label, also jucken tut es mich gar nicht, ich kann mich schon selber da drin sehen, ich mach ja neumodischeren Sound. Das ist jetzt kein BoomBap, aber ich zähl mich eigentlich bei nix dazu. Ich mache immer mehr mein eigenes Süppchen als auf jedem Event zu sein. Das ist auch eine Sache, wo ich versuche, dran zu arbeiten, dass ich nicht komplett abseits des Kosmos bleibe. Insgesamt sehe mich da eher so ein bisschen außen vor, aber natürlich trotzdem mehr bei diesem New Wave Label als irgendwie Trueschooler, Boom Bap, Oldschool Hip-Hop oder so.

Eine Sache, die dir dann auch immer gerne nachgesagt wird, nicht nur bei Puls sondern auch in Texten, die über dich geschrieben werden, ist, dass du wahnsinnig “schlaue” Texte schreibst, also Straßenrap, der besonders gescheit und irgendwie besonders gesellschaftskritisch daherkommt. Sind das Sachen, ohne die anzuzweifeln, die du dir selbst auf die Fahne schreibst, wo du sagst, mit der Motivation gehe ich jetzt ins Studio…
…und schreibe einen schlauen Text. (lacht)

Interview mit Luvre47 über »Herz«, die Stigmatisierung seiner Musik und die ewige Frage der Authentizität
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Nee gar nicht, passiert einfach. Das ist halt nicht bewusst, weißt du. Also wenn ich mir ein Bild male oder irgendeinen Gedankengang habe, den ich jetzt sagen will, dann sag ich den einfach und ich glaube auch die Anspruchshaltung an dich selber entscheidet darüber, was dann passiert. Wenn ich mir zum Beispiel sage, okay ich will jetzt vielleicht nicht Casino, Tarantino, Robert De Niro reimen, weil das schon 1 Million Mal passiert ist und überlege lieber dreimal, was kann ich für andere Wörter und Formulierungen benutzen. Du kannst ja ein Bild auf 100.000 verschiedene Arten malen. Ich sag im Prinzip auch auf ganz vielen Songs nix Neues. Ich sag es nur auf meine Art und Weise oder aus meinem Blickwinkel. Ich glaube, das ist entscheidend, dass du deinen eigenen Anspruch an die Formulierung und an die Lyrik so hochstellst, dass es nicht austauschbar ist. Das ist ein Punkt, wo viele sagen, das klingt jetzt bisschen schlauer oder „wie Straße aber auf klüger”. Ich bin jetzt nicht auf den Kopf gefallen, das ist mir schon bewusst, aber es ist nicht so, dass ich mir denke, okay wie sag ich das jetzt so schlau wie möglich. Also das ist dann aufgrund meines Duktus’ oder so keine Ahnung.

Duktus…  (lacht)

Ja, das ist halt einfach mein Sprachgebrauch. Genauso wie auch Wörter dazwischen sind, die wieder voll aus dem, wie soll man sagen, Street-Dictionary sind. Das ist so ein Mix aus allem. Ist ja auch nicht jeder Song sozialkritisch, das sind immer so kleine Pikser. Weißt du? Also ich gehe auch gar nicht so ran und sag, okay was will ich kritisieren, was will ich beleuchten. Zum Beispiel »Hamsterrad« ist einfach so entstanden. Ich hatte die Hook und die Hook hat halt dieses Konzept vorgegeben. Da wusste ich, ich muss dieses Bild malen, warum ist das ein Hamsterrad oder sowas, aber trotzdem schreib ich einfach frei Schnauze los. Wenn ich mir dann bei irgendwas denke, das ist nicht gut genug, dann wird es halt ersetzt.

Interview mit Luvre47 über »Herz«, die Stigmatisierung seiner Musik und die ewige Frage der Authentizität
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Im Intro-Song sprichst du über dein Verhältnis zu Geld und auch auf anderen Songs umschreibst du es quasi als Gegenleistung zur Musik. Gleichzeitig legst du es aber weder darauf an dir möglichst populäre Features zu organisieren noch möglichst mainstreamige bzw. massentaugliche Mucke zu machen, um einen möglichst großen wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Wie und wo ziehst du da diese Linie?
Ich glaube das hat was mit langfristig Denken zu tun. Ich könnte jetzt eine Platte machen, die voll poppig und mainstream aber identitätslos ist. Die hilft mir aber nur temporär. Also wenn ich dann Glück habe und mein Team arbeitet die Platte gut und kriegt die auf den Markt, dann läuft die. Das heißt aber nicht, dass die Leute sich dann mit der Identität dahinter identifizieren, sondern der Erfolg kommt dann daher, dass du eine poppige Melodie hast oder ein geilen Song. Ich bin schon Fan davon nicht Top-Ten gehen zu müssen, aber trotzdem gutes Geld damit zu verdienen, weil du dir über Jahre halt eine richtig gesunde Fanbase aufgebaut hast. So à la Trettmann, das ist für mich viel wertvoller, weil es auch viel nachhaltiger ist. Ich meine, rappen ist ja auch so eine Sache. Also ich bin gespannt, wie lange die Generationen über uns durchhalten – ich weiß einfach nicht, wie lange du rappen kannst. Ab wann nervt’s oder du denkst dir so, okay Dikka mach mal Rente jetzt, weißt du. Ich bin gespannt, wann z.B. Sido usw. aufhören.

Der ist mit den Jahren ja auch immer poppiger/mainstreamiger geworden. Also hast du auch noch Zeit später in deiner Karriere die Pop-Mucke zu machen?!
Ist nicht mal mein Ziel, aber ich würde schon gerne welche machen können mit meiner kredibilen Geschichte dahinter. Zum Beispiel »Kein Bock« ist jetzt ja nicht unpoppig.

Aber es wirkt nicht aufgezwungen.
Ja genau, aber der ist trotzdem massentauglich. Also auch von den Zahlen, was der einfährt und so. Den hätte man sogar bestimmt viel größer aufziehen können, wenn ich schon an einem anderen Punkt wäre und Paula an nochmal einem anderen. Also der ist jetzt, wo er ist, sehr groß für uns beide, ist für uns beide der erfolgreichste Song bisher. Aber ich weiß nicht, wie der in zwei Jahren funktioniert hätte, wenn wir vielleicht beide noch weiter wären, dann könnte es vielleicht viel größer sein. Also ich glaube, es gibt schon Songs, die auch Massentauglichkeit hätten, aber halt aufgrund des Standings und nicht wegen dieses aufgezwungenen Major-Konstrukts dahinter mit Promo, PR, Presse und irgendwo 20 Tik-Toker einkaufen, die deine Sachen benutzen und so. Ich meine, so funktioniert die Scheiße ja. 

Bezüglich Geld hast du auch auf dem Titelsong »Herz« gesagt, dass du in deiner Ausbildung entschieden hast, du willst niemand anderen reich machen. Das ist natürlich auch in der Musikbranche schwer. Also man macht natürlich, auch wenn man Musik macht, irgendwelche Leute zumindest reicher. Wo ist da für dich so der Unterschied?
Man sieht sie nicht, ich habe keinen Plan wer bei den Labels wie mit verdient. Aber ich kann von meinen Erfahrungen in meiner Ausbildungszeit sprechen. Dort habe ich meinen Chef jeden Tag gesehen. Meine Arbeitszeit startete um 7 Uhr, seine um 10 Uhr.

Das siehst du beim Label nicht?
Beim Plattenlabel haben die Mitarbeiter feste und geregelte Arbeitszeiten, das ist bei mir persönlich anders. Ich bin selbstständig und arbeite oftmals bis tief in die Nacht an meinen Sachen. Dadurch trage ich auch die Verantwortung für meine Einnahmen. Dementsprechend kann man das nicht von Leuten erwarten, die bei einem Konzern arbeiten und ihr festes Gehalt beziehen.

Interview mit Luvre47 über »Herz«, die Stigmatisierung seiner Musik und die ewige Frage der Authentizität
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Was die Live-Auftritte angeht, gab es bislang noch gar nicht so viele von dir. Man könnte ja behaupten, dass die älteren Songs wie »U7 Freestyle« und so, was so Abriss angeht, die live-tauglicheren Songs wären im Vergleich zu den Neuen. Wie würde sich so ein Liveset, wenn du jetzt einen Auftritt hättest, zusammensetzen?
Kommt auf das Setting an. Also bei meiner eigenen Tour habe ich schon den Anspruch, dass Vielfalt drin ist. Zum Beispiel jetzt beim Release Konzert, das war vor zwei Wochen, war es meiner Meinung nach nicht möglich auf »Kein Bock« zu verzichten, weil das der größte Song ist und da kommen definitiv Leute, um den Song zu hören, selbst wenn Paula krank ist, sie konnte halt da nicht kommen an dem Abend. Trotzdem war es irgendwie meine Pflicht, auch diese Songs zu spielen. Ich finde, bei einer Tour ist wichtig, dass du halt so einen Wechsel hast aus aktuell und alt oder ruhig und in die Fresse. Es ist wie in einem Club, ein DJ spielt ja auch nicht 3 Stunden lang nur Banger. Der hat ja auch die Aufgabe mal so alle 6, 7 Songs einen Scheißsong zu spielen, damit die Leute an die Bar gehen und sich ein Getränk holen können. So ähnlich ist es auch, ich will zwar nicht, dass die sich Getränke holen gehen, aber ich kann jetzt nicht anderthalb Stunden spielen und bei jedem Song Moshpits anzetteln, weil die dann beim letzten Song da stehen, gar keine Laune mehr haben und eigentlich nur im Arsch sind. Bei einem 30 Minuten Festival Slot ist es wieder komplett anders, da würde ich dann nur auf „in die Fresse” gehen. Die Releaseshow haben wir auch genutzt – wir haben das komplette Album gespielt – um herauszufinden, wie funktionieren welche Songs für die Tour am Ende des Jahres. Und da gibt es auch Songs wie »G«, die vermeintlich ruhiger sind, die auch voll abgerissen haben, wo Moshpits waren, obwohl das eigentlich so eine Mama-Dankeshymne ist. Genauso »Hamsterrad«, habe ich auch immer gedacht, boah der ist schwierig live, geht jedes mal übertrieben krass ab. Deswegen kann man da schon einen Mix aus allem machen, ohne dass die Leute jetzt stehen und die Hände vorm Bauch verschlagen.  

Deine Songs klingen von den Texten her so, als dass du sie eher an den Orten schreibst, von denen sie auch handeln. Jetzt warst du in Panama im Urlaub. Kommen dir dann auf einmal so Sommerhits, Lelele Hooks in den Kopf (lacht)?
Nee, das ist wirklich hart, weil da wo du bist, das schreibst du. Das habe ich krass festgestellt. Wir waren auch schon vor zwei Jahren auf Malle mal und haben eine Woche Mucke gemacht und so. Das verzerrt dann schon. Also natürlich, so Konzeptschreiber, die sich hinsetzen, welches Thema will ich machen, welche Wörter will ich sagen, die können dann natürlich anders arbeiten. Aber ich bin einer, ich schreib sehr viel aus dem Bauch raus, aus den Momenten, aus den Empfindungen, und das verzerrt bei sowas dann schon hart meine Musik. Ich wollte jetzt keinen krassen Sommerhit machen. Ich habe zum Beispiel letztes Jahr in Valencia eine Hook geschrieben, die kommt jetzt auch, das wird evtl. ne Single vom nächsten Album. Das ist dann ein bisschen sommerlicher Sound, aber die Parts heben es wieder ein bisschen auf. In Panama hatte ich vor, Sachen fertig zu schreiben für das nächste Album. Ich hab gar nichts geschrieben.

Wenn du eine Kamera hast, dann film das doch. Zeig mir doch deine “Hood”, und wenn deine Hood nicht wie eine Hood aussieht, dann sag nicht Hood.

Luvre47 über fehlende Authentizität

Das geht ja dann auch so ein bisschen in die Authentizitäts-Richtung und du hast auch auf dem letzten Song gesagt „Ihr redet nur von Hood, wir leben da”. Ist das sowas, was dich richtig abfuckt, wenn Leute darüber reden und es nicht leben, findest du da gehört zwangsweise ein gewisser Leidensweg dazu, damit das cool ist darüber zu rappen?
Ja, scheiß auf Leidensweg, aber manche Leute stellen sich in so eine Umgebung rein, in der sie eigentlich gar nicht sind oder verkörpern etwas, dass sie vielleicht gar nicht sind. Wenn du dich dann, um dein Mucke authentisch rüberzubringen, in die Brennpunkte von Berlin schleusen musst, um da irgendwie heimlich oder auf schnell ein Video zu drehen, ist das für mich irgendwie unauthentisch und geht so in die Cap Richtung. Wenn ich jetzt rappe und sage, mein Bruder verkauft das und das Ott an dem und dem Block, dann fahre ich in ein Viertel, wo ich noch nie in meinem Leben war, einfach nur weil da geile Blocks stehen, das ist als würde ich nach Harlem gehen und vor Asap Fergs altem Haus drehen und halt voll einen auf Hoodrat aus New York machen, aber ich kenn nicht einen Typen von da.

Kennt ihr Eda Vendetta? Sie ist bei uns aus dem Block und Influencerin. Eda hat das Problem in einem Post auf Twitter richtig treffend zusammengefasst.

Bruder, wenn du das bist, was du machst, dann geh an deinen Block und zeig mir deine Welt. Deswegen will ich auch immer so viel bei uns drehen, weil ich rappe ja auch darüber. Wenn du eine Kamera hast, dann film das doch. Zeig mir doch deine „Hood”, und wenn deine Hood nicht wie eine Hood aussieht, dann sag nicht Hood.

Ich hab das auch oft, dieses „boah übertrieben Ghetto dies das“. Natürlich, ist eine bisschen schlimmere Ecke, wo ich herkomme, aber es gibt in ganz Deutschland eklige Ecken. Ich will gar nicht sagen, wenn jetzt einer aus Niedersachsen kommt, dass es da keine schlimmen Ecken gibt. Zeig mir deine krasse Ecke von Hannover, gibt es safe. Wahrscheinlich gibt es auch in Göttingen einen Block, wo es scheiße ist. Aber dann zeig mir den und zeig mir den auf deine Art und Weise. Fahr nicht nach Berlin jedes Wochenende und dreh deine Videos hier.

Du hast ein schlimmes Fass aufgemacht hier grade. Ich muss Woosah machen. (lacht)

Dann machen wir zum Abschluss lieber nochmal eine nette Frage und damit das Fass dann auch zu.
Sorry, dikka, ja, wenig Schlaf. (lacht)

Was die Entstehung deiner Musik angeht, würde mich interessieren, wer mit dir im Studio sitzt, abgesehen von Produzenten? Wem zeigst du deine Mucke, bevor du sie veröffentlichst? Hast du da Leute, die im Schaffungsprozess immer eingebunden sind – auch vielleicht im Hinblick auf die erwähnte Authentizität?
Tatsächlich eigentlich bloß so, zwei, drei Personen. Einer meiner engsten Freunde, der auch Mucke macht, der veröffentlicht auch bald seine erste EP, TNF47, mit dem habe ich auch schon zwei Features gemacht. Von dem hol ich mir viel Feedback, weil wir auch die gleiche Musik hören und einen ähnlichen Musikgeschmack und ein ähnliches Musikverständnis haben. Aber das ist dann auch nicht so, dass ich mir das bewerten lasse, sondern eher so, wie findest du das, cool, weniger cool, interessant, nicht interessant. Ansonsten hol’ ich mir fast nur noch Feedback von Jessie, meiner Managerin. Abgesehen davon vertraue ich da fast komplett auf mich. Ich habe das früher viel mehr Leuten gezeigt, bevor es VÖs gab. Zum Beispiel Bilal mit dem ich mein Büro und Lager zusammen mache, dem spiel’ ich mal was vor. Der macht das Management von absent, hat also auch ein gewisses Musikverständnis. Aber ich habe aufgehört meinem ganzen Freundeskreis irgendwie jeden Sonntag meine Lieder zu zeigen und auf jede Meinung Wert zu legen.

Vielen Dank geht an das Burgeramt und Vanessa ‘Vanessagraphie’ Seifert.