Wir treffen error kurz vor seiner Show im Stage 15 Club am Samstag des Reeperbahn Festivals. Ein Hamburger Newcomer bei einem primär auf Newcomer*innen ausgelegtes Festival im Herzen Hamburgs – das passt fast zu gut. Nach einer Reihe von losen Singles und einem atemlosen ersten Jahr in der Musikszene hat der Rapper & Producer nun seine Debüt-EP »Aspartam-Bitter« veröffentlicht. Ein Gespräch über die ersten Schritte in der Musikindustrie, Genrefluidität und Studiosessions zwischen Chaos und Kohärenz.
Deine erste Single »Starkes Drehbuch, schwacher Cast« ist vor ziemlich genau einem Jahr erschienen. Fühlt es sich an wie ein Jahr?
Ich sag mal ja. Aber es ist ambivalent. Also einerseits ist so viel passiert, dass man sagen könnte, es fühlt sich länger an. Andererseits ist so viel passiert, dass ich das Ganze ja auch nicht mitbekommen habe – also beides. Auf jeden Fall wahrscheinlich das aufregendste Jahr in meinem Leben.
Jetzt geht’s ja erst richtig los zur zweiten Hälfte des Jahres: Du released deine EP »Aspartam-Bitter«. Wo kommt der Bezug zum Süßstoff im Titel her?
Ich habe schon immer eine Vorliebe für so eine gewisse Kryptik gehabt. Worum es mir so ein bisschen geht, ist dieses Paradoxon: Das ist tierisch süß. Das ist nicht bitter. Insofern schließt sich das eigentlich aus, es gibt dieses Wort offensichtlich nicht. Aber für mich passt das zusammen: Wie das letzte Jahr war, wie auch so mein Gefühl zum Leben allgemein ist. Irgendwie gibt es Höhen und Tiefen und alles gehört dazu. Und musikalisch ist es bei mir ja auch irgendwo facettenreich. Es gibt so viele unterschiedliche Genrepools. Da könnte man auch sagen, das sind irgendwie Gegensätze, die sich da zusammenfinden.
Nach deiner ersten Single gab’s noch ein paar lose Veröffentlichungen, jetzt aber kommst du mit deinem ersten richtigen Projekt. Was hat sich getan bei dir, dass du jetzt gesagt hast „Jetzt möchte ich mal ein bisschen was Kohärenteres veröffentlichen“?
Zum einen – das klingt super pragmatisch – um überhaupt auch mal mit ein paar Songs mehr rauszukommen, damit man auch was hat, womit sich eine Tour auch lohnt. Wenn man immer nur dieses Single-Business hat, sind die Zyklen ja so, dass man auch mal zwei Jahre auf der Uhr haben muss, um die 90 Minuten für ein Konzert voll zu haben. Aber dann ist es natürlich auch so, dass ich Bock hatte, ein bisschen was Übergreifendes zu haben. Also sei es inhaltlich, sei das in den Artworks. Das finde ich einfach schön, wenn die Dinge ein bisschen aus einem Guss sind und nicht immer alles so super zerfleddert, diffus, einzeln für sich steht.
Und auch gedanklich, dass ich mal das erste Jahr oder diese erste Phase, diese ersten Schritte irgendwie auf einer Platte so vereinigt habe und sagen kann okay, das ist so das erste Chapter und das auch irgendwie intrinsisch ein bisschen einordnen kann zeitlich. Weil sonst fließt das einfach immer, immer weiter und es hört ja nicht auf. Es geht ja auch wirklich ungehindert Song an Song an Song und mir tut das gut, da jetzt noch kurz irgendwie einen Schritt zurück zu machen und zu sagen: „Okay, das ist das Ding, jetzt geht es auch weiter.“
Deine engsten musikalischen Verbindungen scheinen – wenn man Instagram glauben mag – RAR und Paula Engels zu sein. Auf der EP ist es jetzt Wa22ermann geworden. Wie ist es denn dazu gekommen?
Alles andere kann auch noch kommen (lacht). Der Tag ist noch jung. Wie ist das gekommen? Ich habe ganz stumpf überlegt, mit wem ich ein Feature machen kann und hatte unterschiedliche Namen auf der Liste und dann auch sie. Hab’ sie dann gefragt und sie war nicht schnell genug im Nein sagen und zack saßen wir im Studio, haben zusammen Musik gemacht und jetzt ist es auf der Platte. Also ich glaube, einfach so gegenseitige künstlerische Wertschätzung. Aber es ist jetzt nicht so, als ob wir davor jahrelang schon befreundet gewesen wären.
Wie war es jetzt, das erste Mal nicht solo sozusagen drin zu stecken? Du hast natürlich schon mit Producer*innen zusammengearbeitet, aber sonst noch keine Features gehabt. Wie ist es dann so, sich auch mal drauf einzulassen, wie auch eine andere Person auf einem Beat von dir irgendwie klingen könnte?
Genial. Also auch ehrlicherweise: Ich bin ein schüchterner Typ. Jede Person mehr, die da im Studio sitzt, da geht mir echt die Pumpe. Da sitze ich mit schwitzigen Händen und rotem Kopf und tippe irgendwas ins iPhone. Aber was ich total inspirierend finde, dass sie ganz anders als ich arbeitet. Ich hoffe, ich lege ihr da nichts in den Mund, aber viel intuitiver. Viel mehr Bauchgefühl. Nicht so verkopft, wie ich das manchmal bin. Und das hat mir total gut getan, das zu beobachten. Sie war auch super ermutigend, finde ich. Wenn ich da dann wieder in der Ecke saß, was habe ich denn hier jetzt schon wieder geschrieben? „Meine Güte, jetzt mach doch einfach.“ Und das hat mir total gut getan.
Lass uns mal ein bisschen über dein Soundbild sprechen. Du hast ja vorhin schon gesagt, du bist genremäßig nicht so richtig zuordbar. Vielleicht kann man mal einen Schritt zurückgehen und überlegen: Wie bist du denn überhaupt so sozialisiert worden musikalisch, dass du dich jetzt in so vielen Sachen ausprobierst?
Gar nicht. Anarchie ist auch ein Ergebnis mangelnder Erziehung. Also, wenn wir ganz zurückgehen, dann habe ich schon ein bisschen klassischen Einfluss. Das fällt jetzt in der Musik natürlich überhaupt gar nicht mehr auf, aber es hat mir gut getan. Ich hatte Klavierunterricht und musste eigentlich Tonleitern üben, das hat mir auf jeden Fall geholfen im weiteren Prozess und davon habe ich mich dann irgendwann versucht zu emanzipieren und bin auf diese Popschiene gekommen. Mein Held war dann auf einmal Tom Odell, der hat was mit Klavier gemacht und das war aber mal eben nicht Händel.
Und dann irgendwann habe ich dann auch Hip-Hop für mich entdeckt und dachte: „Ah, das ist auch spannend.“ Dann gab’s noch ‘ne Indie-Phase und so hat sich das dann irgendwie geformt. Und jetzt ist es halt dieses Konglomerat von allem und nichts. Aber unterschiedliche Phasen im Leben haben so ihre eigenen Soundtracks und jetzt versuche ich, die irgendwie zusammenzupacken
Stichwort Klassik: Hilft dir das auch beim Komponieren deiner eigenen Musik? Also hat das ein bisschen was bei dir hinterlassen, dass du ein anderes Gespür dafür hast, wie Songstrukturen auch aussehen könnten?
Ich weiß ja nicht, wie es ist, wenn man das nicht hat. Ich habe schon das Gefühl, dass einen das freier machen kann, wenn man auch Verständnis hat für das, was man tut. Ich würde aber auch das Gegenteil sagen und widersprechen: Je weniger man weiß, desto besser, weil dann kann man einfach frei aus dem Bauchgefühl heraus machen und dann nicht so alles zerdenken. Ich glaube, wenn man weiß, in welchen Anwendungsbereichen es gut ist auf die Tools, die man hat, zurückzugreifen, dann ist es super. Und wenn man sich dann nicht nehmen lässt, auch dem Zufall und dem Quatsch eine Chance zu geben beim Producing, damit nicht alles total statisch gleich perfekt klingt und eine Symbiose kriegt, dann ist’s perfekt.
Apropos Producing: Du machst ja eigentlich fast alles selber. Du hast natürlich immer mal wieder Leute mit drin, aber wie sehen deine Sessions so aus? Sitzt du dann einfach in deinem stillen Kämmerchen und probierst dich aus oder kommst du schon mit festen Ideen?
Alles pures Chaos. Wenn ich das alleine mache, ist das auch wirklich total undiszipliniert. Nichts mit irgendwelchen Autor*innen, die dann jeden Tag fünf Seiten schreiben müssen. Bei mir ist wirklich viel Faulheit und viel: „Wann küsst mich die Muse?“ Nie. Dann muss ich mich doch dazu zwingen und dann passiert vielleicht auch was. Mit anderen zusammen habe ich auch wenig vorbereitet, meistens. Was es schon gibt, sind so Textstrukturen, Worte, Satzfetzen, die ich ganz klischeehaft da ins Handy hacke. Die bringe ich manchmal mit, aber selten ist’s wirklich so dezidiert, dass ich sage: „Okay, ich muss einen Song schreiben über ein Thema XY.“ Heißt nicht, dass es das nicht auch gibt aber ich würde sagen, die Mehrheit der Songs sind irgendwie intuitiv.
Und wenn du jetzt andere Leute in dein Chaos reinlässt, was du gerade beschrieben hast, zum Beispiel Alexis Troy – sieht’s dann anders bei dir aus und du versuchst dich ein bisschen mehr auf die anderen Personen einzulassen?
Andere Leute haben da natürlich auch ihre eigenen Visionen und ihre eigenen Ideen und da gibt es schon oft den Impuls oder Moment, wo ich sage: „Ach, ist es das?“ Und manchmal ist es aber total gut, dem dann nachzugeben. Und man merkt, man ist viel vielfältiger, als man das vielleicht bis dato so dachte. Mit Alexis war super entspannt. Der macht das ja nicht zum ersten Mal. Der weiß, was er tut, der hat da einen sehr professionellen Job gemacht und mir sehr viel Freiraum gegeben, das zu machen, was ich gerne machen wollte. Und dann hab ich meinen Kram geschrieben. Er hat sein Instrumental gebaut. Ich hab dann drüber gerappt, gesungen, ge-was-auch-immer-t. Wir haben also beide unsere Aufgabe wirklich relativ ernst genommen. Da bin ich auch happy.
Du hast vorhin schon angesprochen, dass dir eine kohärente Ästhetik generell und im Speziellen jetzt bei dieser EP sehr wichtig ist. Jetzt bist du ja noch gar nicht so lange dabei, aber hast schon Kontakte geknüpft mit Leuten, die gerade in dieser ästhetischen Schiene große Namen sind – Mathias Fleck oder Zeitfang. Wie sind so da die Kontakte entstanden?
Ja, also eigentlich in beiden Fällen würde ich sagen diametral unterschiedlich. Weil bei Zeitfang mach ich irgendwann das Handy auf und seh da eine DM und dann ist die von ihm und er schreibt: „Hey, wollen wir mal Fotos machen?“ Was natürlich ein Ritterschlag war für mich, weil ich kannte die Fotos, ich kannte die Person dahinter aber überhaupt nicht und habe mich da extrem drüber gefreut. Ich weiß nicht, ob da überhaupt schon irgendwas von mir draußen war, aber ich glaube nicht. Mittlerweile sind wir auch privat super miteinander!
Und mit Mathias war es andersherum, da wollte ich gerne was mit ihm machen. Ich bin dann auf ihn zugegangen, wir haben geschnackt: Was ich mir so vorstellen kann, was er sich so vorstellen kann. Und jetzt haben wir zusammen diese EP gemacht, was mich wirklich extrem freut.
Hattest du schon deine Vision, wie’s aussehen könnte und hast gedacht: er ist quasi der, der dem am meisten entsprechen könnte?
Also ich finde es gut, wenn man dann den Leuten auch die Freiheit gibt, ihr Ding zu machen. Also ich war nicht so auf dem Trip, ihm da ganz konkrete Vorstellungen reinzugeben, sondern ich wollte ja seinen Einfluss zu mir holen. Und deswegen gab es bestimmte Rahmenbedingungen. Es gab auch schon die ein oder andere Schleife, aber all in all ist er sich da extrem treu geblieben. Und deswegen mag ich das aber auch so gerne. Der ist echt ein lieber Kerl. Das finde ich ja besonders schön, wenn das in zwei Komponenten und nicht nur auf dieser professionellen Ebene funktioniert, sondern man sich auch darüber hinaus noch nett danach hinsetzen kann.
Ich würde auch mal gerne über zwei Songs von der EP ein bisschen genauer sprechen, die beide ein großes Themenfeld aufmachen. Zum einen ist da »00,00KG« mit dem Schönheitsideale-Thema. Woher kam dieses Anliegen, so einen Song zu schreiben, der ja schon auch tief schürft?
Ich habe eben gesagt, es ist immer alles völlig unintendiert und völlig ungerichtet – aber das ist einer der Songs, wo ich am meisten Vorstellungen vorher hatte und auch am stärksten dran werkeln musste, bis ich das Gefühl hatte, das passt jetzt irgendwie halbwegs und wird dem gerecht.
Ich habe den Song zusammen mit RAR gemacht. Mir gefällt’s gut, wenn es inhaltlich um etwas geht und ein bisschen über die eigenen Befindlichkeiten hinausgeht, sodass man dieses das gesellschaftliche Sieb an Leuten, die das was angeht ein bisschen größer zieht. Und das finde ich jetzt bei diesem Thema Schönheit im Allgemeinen sehr universell und geht alle irgendwie was an. Ich glaube, mir war das wichtig, ein paar Songs auf der EP zu haben, die ein bisschen über „Oh Gott, mein Herz ist gebrochen und ich bin jung und verliebt“ hinausgehen und dann mal kurz über den Tellerrand versuchen zu blicken. Ob mir das gelungen ist, das weiß der liebe Herrgott.
Ich habe in den Reaktionen zu diesem Song am meisten gelesen, dass sich da Leute sehr gesehen gefühlt haben. War das auch eine Sache, die dir so beim Schreiben durch den Kopf ging, dass du das Gefühl hast, der könnte jetzt auch tatsächlich besonders doll räsonieren mit Leuten?
Ja, das glaube ich schon. Also ich weiß ja, wenn ich was völlig Verklausuliertes schreibe, dass dann die Reaktionen vielleicht ein bisschen verhaltener ausfallen, als wenn das ein bisschen direkter ist. Andererseits kann man das auch nie wirklich voraussehen. Also ich habe da ein ganz schlechtes Gespür für, ob Sachen gut ankommen oder nicht so gut – ich lasse das dann einfach passieren.
Hättest du dir auch früher für dich selber vielleicht mal Songs gewünscht, die in die Richtung gehen? Oder hattest du da auch sogar selber welche, wo du dich ein bisschen wiedergefunden hast?
Ja, doch. Also ich bin ein Fan der Tragik und des Schmerzes in Songs. Nicht unbedingt im echten Leben, aber ohne Konflikt ist ein Song auch Käse. Und ich mochte auch gerne Songs, die irgendwie schwer sind. Das würde ich schon über mich behaupten.
Ein anderer Song, der auch ein großes Themenfeld aufmacht, ist »XY«, der Männlichkeit und Gender-Identität behandelt. Da hast du die Zeile „Wenn Männer so sind, dann bin ich das nicht.“ Wie nimmst du das Thema gerade in der Gesellschaft wahr? Ist es schon ein bisschen einfacher geworden, nicht ganz klassisch Mann zu sein oder ist da immer noch sehr viel zu tun?
Also ich bin ja wirklich der Allerletzte, der da eine fundierte Einschätzung zu geben kann. Ich glaube, es kommt total drauf an, wo man hinschaut. Ich habe das Glück, ja irgendwie in einer Blase zu leben, wo diese Geschlechterrollen aufgebrochen werden und das alles irgendwie weniger Raum einnimmt und mehr möglich ist. Bin ich auch heilfroh drüber. Man muss aber nur einmal das Handy aufmachen und Instagram checken und dann weiß man: „Okay, das ist nicht überall so, auf keinen Fall.“ Und ganz im Gegenteil: ich habe fast das Gefühl, demgegenüber steht auch ein totaler Anti-Trend, der dann damit zusammenhängt so nach dem Motto: „Wer ist hier der härteste Hund im Raum?“ Ich habe nicht das Gefühl, dass ich jetzt wirklich die ganz große Lupe ansetze und das gesamtgesellschaftlich angucke. Da hat sich bestimmt irgendwie einiges geändert, aber noch viel zu wenig.
Und vielleicht ist es auf der anderen Seite umso stärker geworden. Es driftet irgendwo auch ein bisschen auseinander. Wenn man jetzt so ein Stichwort wie Alphamentalität oder so guckt.
Aber ich glaube – also meine Lebenszeit ist zwar noch begrenzt – aber ich glaube, es hat auch mit Fortschritt immer zu tun, dass es auch Gegner gibt und dass es auch für Widerstand sorgt und sich nie weiterbewegt, wenn alle dafür sind und totale Harmonie herrscht. Ich finde, das kann man an allen Ecken und Enden gerade beobachten: Wo sich wirklich wichtige Dinge verschieben, da führt es auch zu Reibungen. Und insofern versuche es ich als gutes Omen für die Zukunft zu deuten. Aber fürs Jetzt ist es natürlich schrecklich, denn es macht wirklich das Leben jetzt auch nicht schöner.
Wie würdest du sagen, verhält es sich momentan im Deutschrap? Muss man da, überspitzt formuliert, immer noch hart sein?
Also ich würde sagen, auf jeden Fall wird es aufgeweicht. Es gibt nicht nur Kollegahs und Farid Bangs in der Welt. Also es gibt nicht nur Bosse der Bosse der Bosse und muskulöse Zuhälter, sondern natürlich auch andere Typen. Trotzdem: Ich war auf dem Splash!. Und ich höre diese Texte und ich höre auch die Texte von – da muss ich jetzt nicht gendern – von Künstlern, wo es dann heißt: „Das ist jetzt krasse Kunst, progressiv“, und dann ist es halt trotzdem echt super frauenverachtend und irgendwie schwierig. Ich habe das Gefühl, dass das jetzt ein großes Ziel ist, das aber noch nicht durchgedrungen oder irgendwie in allen Räumen, wo ich mich dann auch gerne aufhalten würde, angekommen ist. Wenn das immer so derbe und grob und so viel Protz ist, da muss ich ganz ehrlich sagen: Bin ich nicht der Typ für.
Jetzt sind wir hier auf dem Reeperbahnfestival, das sehr auf Newcomer*innen spezialisiert. Du bist jetzt selber ein Jahr so richtig dabei: Wie ist es so, Fuß zu fassen in einer so wahnsinnig schnelllebigen Welt, wo man innerhalb von drei Singles auch schon wieder vergessen sein kann, wenn man irgendeinen Algorithmus nicht richtig bedient hat?
Also ich finde es schon schwierig, muss ich ehrlich sagen. Ich will mich gar nicht beschweren, ich bin in einer tollen Position, aber: Das Tempo ist krass. Ich weiß nicht, ob man das von außen so weiß, was da eigentlich alles so dranhängt, wenn man einen Song releast. Das ist halt mehr als irgendwie mal einen Text zu schreiben oder am Klavier sitzen, das sind extrem viele Schritte und zwangsweise sind da auch viele unterschiedliche Leute dran beteiligt, je nachdem.
Wenn du alle sechs Wochen einen Song rausbolzen willst und ein Musikvideo, dann… Also Santa Maria, das ist echt eine Heidenarbeit. Das fand ich dann zu dem Zeitpunkt auch wirklich auslaugend, was dann gut war. Ich habe mich dann ja entschieden diese EP zu machen, zu dem Zeitpunkt hatte ich auch schon ein paar Songs und habe mich für spezifische Songs entschieden und konnte an denen arbeiten. Es war jetzt nicht so, dass ich irgendwie super kurzfristig jeden Monat überlegen musste: „Scheiße, was ist denn eigentlich in vier, fünf, sechs, acht Wochen? Was mache ich da?“ Sondern auf einmal gab es einen bisschen weiteren Horizont und das hat es super entschleunigt und mir wirklich gut getan.
Man sagt immer, es ist schnelllebig, das habe ich das erste Mal gefühlt und dann kommt ja auch immer noch diese Promo Sache, Social Media und etwaige Termine und dann spielt man ja auch noch live und dann hat man so ein schönes Puzzle an Dingen, die auch alle viel Spaß machen, aber die auch viele unterschiedliche Skills irgendwie erfordern, wenn man das so alles zum ersten Mal macht. Das ist ganz schön viel und ganz überwältigend. Und manchmal denkt man auch: „Boah, bin ich dafür überhaupt gemacht?“ Oder: „Wer bin ich, dass ich mir das anmaße, das zu tun?“
Im Vergleich das Motto vom Reeperbahn Festival „Let the music grow“: Das klingt ja so wahnsinnig organisch. Würdest du sagen, heutzutage Fuß zu fassen ist noch ein organischer Prozess? Oder hat man da nicht mehr so viel Platz zum growen?
Ich glaube, man muss sich den nehmen. Wenn du anfängst, dann erzählen dir alle irgendwas vom Pferd. Alle wissen, wie es geht und am Ende weiß halt keiner irgendwas. Sich davon zu emanzipieren und zu sagen: „Scheiß drauf, ich mach das so, wie ich das will, das und das mache ich. Das und das mache ich aber das und das auch nicht“ – das musste ich erstmal checken und muss ich auch immer noch lernen. Jetzt habe ich das Gefühl: „Je mehr ich mir da rausnehme, meinen Kram so zu machen, wie ich das will, desto besser geht es mir.“ Im besten Fall geht’s damit auch der Musik besser. Ob sich das jetzt immer so in Erfolg ummünzen lässt, das weiß ich nicht. Aber ich vermute, man darf sich da echt nicht zu sehr stressen. Gleichzeitig muss man sich irgendwie reinhängen und sich trotzdem mal in den Arsch treten oder sich in den Arsch treten lassen.
Du releast ja nicht nur deine EP, du hast auch die Tour im November im Anschluss und hast im Sommer auch viele Festivals gespielt. Im Vergleich: Was fühlst du mehr?
Ich würde sagen, es hat beides auf jeden Fall seine Daseinsberechtigung. Aber da ich ja noch nie eine Tour gespielt habe, weiß ich nicht, wie das ist. Ich freue mich da wirklich extrem drauf. Ich glaube, das werden sehr schöne Abende. Hoffe, irgendwer kommt. Aber irgendwer wird schon da sein und dann machen wir da schöne Shows draus. Wir haben uns auf jeden Fall viel coolen Kram überlegt und ich bin auch sehr froh, dass es die Clubs sind, die es dieses Jahr geworden sind, weil die so schön gemütlich und kuschelig und intensiv sein werden. Ich glaub, es wird wirklich ein schönes Destillat der Gefühle.